700
Verwaltung, Verwaltungsrecht
fassungsrecht zu. Die Ausgestaltung und Praxis
der Ministerverantwortlichkeit (I verhindert die
Unselbständigkeit der Exekutive. Die spezifisch
monarchische Ausprägung unseres Heeres= und
Beamtenrechtes dient demselben Zweck.
Auf der andern Seite fehlt es nicht an Normen,
welche eine Selbständigkeit der Volksvertreter
gegenüber den Organen der Exekutive sichern
Fllen! Die Bestimmungen über die Immunität
der Abgeordneten (I, die Notwendigkeit von
Neuwahlen bei amtlichen Beförderungen von
Abgeordneten, das Nichtbedürfen eines Urlaubs
zur Uebernahme eines Mandates für Beamte,
die Garantien für die Freiheit der Wahlen bei
dem Wahlverfahren und das Recht der Kammern
autonom die Rechtsgültigkeit derselben zu prü-
fen usw.
Zu s55 7--10:
v. Sarwey, Allgem. BerwK 1 /#/ 2, 3, 5—9, 11;
Ders., Das öfssentl. Recht und die Verw#echtspflege
6 3—5; G. Meyer"' 12; O. Mayer Bd. I#186, 7;
Ders., Theorie d. franz. VerwK f 1; Fleiner 1 2;
Schoen 11; Meyer-Anschütz 1585, 170, 178 ff;
Arndt 7f ; Anschütz S 27 , 151 ff Bornhak'
Bd. 1 486 70, 71, 77, 78, 85, 86; Hubrich, Preußisches
St#: Labands Bd. II / 64, 56, 64; Bd. III 4 84;
Zorn Bod. I 114; Haenel, Das Gesetz im formellen
und materiellen Sinne 1#5 5, D9, 11, 12, 16, 17; Anschütz,
Die gegenwärtigen Theorien über den Begriff der gesetz-
gebenden Gewalte; Ders., Justiz und Verw in Systemat.
Rechtswissenschafte (Kultur der Gegenwart); Arndt, Das
selbständige Verordnungsrecht; v. Martitz, Ueber den
konstitutionellen Begriff des Gesetzes in 8 Staatsw 36, 241 f;
Jellinek, Gesetz und Verordnung; Stier-Somlo,
Das freie Ermessen in Rechtsprechung und Berw (Laband
Festschrift 2, 443 f); Ders.., Justiz und Berw in O# der
Politik 1, 305 ff; Bierhaus, Gerichtsbarkeit und Berw-
Hoheit in Verwrch 11, 222 f Stein, Grenzen und
Beziehungen zwischen Justiz und Berw; Kormann, Be-
ziehungen zwischen Justiz und Verw, im Jahrb OeffR 7, 1 f;
Ders., Arch LessK 30, 253 f; Kelfsen, Hauptprobleme
der Staatsrechtslehre S 491f, 537 ; Thoma, Rechts-
staatsidee und Verw N Wissenschaft im Jahrb Oefsf 4, 196 f;
Ders., Der Polizeibefehl im badischen Recht 1, 98 fj
Bühler, Die sfubjektiven öffentlichen Rechte 66 f.
§ 11. Verwaltung, Vollziehung, Regierung.
I. Unter Regierung verstand man zu-
nächst die gesamte Staatstätigkeit, den Inbegriff
der materiellen Hoheitsrechte, den weiten Be-
griff der Verw (vgl. § 1 1). Später wurden die
Regierungssachen den Justizsachen gegenüber-
gestellt (vgl. I§ 4 und 6), so daß unter ihnen alle
Landeshoheits-, Polizei= und Finanzsachen (bei
denen es „keine Appellation“ gibt), darunter be-
griffen wurden. Als dann infolge der Gewalten-
teilung und der Ausprägung des konstitutionellen
Gesetzesbegriffes auch die Legislative besonderen
Normen unterstellt wurde, bedeutete Regierung
bald dasselbe wie Verw im engeren Sinne (vgl.
& 1II. ## 7 ff), oder, es blieb, wenn man hier-
für die Terminologie Vollziehung, Administration,
Verw (lüber die Rezervtion dieses Terminus aus
Frankreich vgl. Gesetz-Revision Pensum XII S99)
gebrauchte, für die „Regierung" nur noch die
„Oberleitung des Ganzen“, die „geistige Beeinflus-
sung desselben“, das „Allgemeine, das darüber
steht“, übrig.
In diesem Sinne hat der Begriff der Regie-
rung auch heute noch Bedeutung und Berechti-
gung als ein besonderer Begriff neben dem dber
Verw behalten. Denn so zweifellos die funktionelle
Gewaltenteilung auch bei uns durchgeführt ist,
und eine vierte „Gewalt" neben den drei formellen
Hoheitsrechten undenkbar ist, so ist doch infolge
der personalen Gestaltung der Gewaltenteilung
(vgl. § 10) in der Hand der Krone eine solche
Machtkonzentration vorhanden, die ihr Recht,
Pflicht und Fähigkeit zur Oberleitung und geisti-
gen Beeinflussung des Ganzen gibt. So wird
denn auch das Wort Regierung gerade personell
gebraucht (vgl. auch E. Rosenthal, Die Reichs-
regierung 74 ff) als Gegensatz zur Volksvertretung;
auch in der Verbindung „die verbündeten Regie-
rungen“: einem zunächst nicht eigentlich juristischen
Begriff, als Abbreviatur für das höchst kompli-
zierte Verhältnis des organisatorischen Nebenein-
ander= und Miteinanderarbeitens von Kaiser,
Bundesrat und den durch konstitutionelle Verant-
wortlichkeits-- und Instruktionsbeziehungen mit dem
Kaiser bzw. den einzelstaatlichen Fürsten ver-
bundenen Ministern (Reichskanzler, dessen Stell-
vertreter und einzelstaatliche Minister).
II. Von einem durch die Gewaltenteilung nicht
berührten „vierten Gebiet“ (O. Mayer)
können wir nur bezüglich der „erfassungs-
rechtlichen Hilfstätigkeiten“ spre-
chen. Dieser von O. Mayer geprägte Begriff,
der die „mancherlei Anordnungen und Geschäfts-
besorgungen, um die Verfassung in Bewegung
zu setzen und in Gang zu halten“ umfaßt, ist
leider bisher nicht genügend beachtet worden,
zuotbem er ein höchst fruchtbarer Begriff sein
irfte.
Er scheidet aus dem Bereiche der Verw aus
und gehört in die Rechtsordnung der
Verfassung (vgl. 5 1 1); denn er findet seine
Stätte in der die Gewaltenteilung selbst erst
setzenden, die staatlichen Hauptorgane konstituieren-
den, ihr Tätigwerden und Zusammenwirken nor-
mierenden obersten Strukturordnung des Staates.
Unter diesen Begriff fallen aber nicht nur Tätig-
keiten der „Regierung“ wie das Antreten der
Regierung, der Regentschaft, das Ausschreiben von
Wahlen, Berufung, Vertagung und Schließung der
Parlamente, sondern auch Tätigkeiten der Parla-
mente: so wenn sie bei der Regentenbestellung
mitwirken, den Verfassungseid des Monarchen ent-
gegennehmen, sich selbst eine Geschäftsordnung ge-
ben, ihren Präsidenten wählen, Wahlprüfungen
vornehmen, die gerichtliche Verfolgung von Abge-
ordneten genehmigen, interpellieren, kurze An-
fragen stellen usw. usw. Auch die Vereidigung des
Heeres und der Beamten gehören hierher. End-
lich auch die Geltendmachung der Ministerverant-
wortlichkeit durch die Volksvertretungen: eine
Konstruktion, die die Bedeutung der Minister-
verantwortlichkeit als eines Mittels des Zusam-
menwirkens von Krone und Parlament, und
demnach als eine „staatsrechtliche“ Verantwort-
lichkeit und darum von den Normen der Reichs-
justizgesetze unberührte klar herausstellt. 1#
Schon aus diesem Beispiel erhellt, daß auch
der Begriff der verfassungsrechtlichen Hilfstätig-
keiten ein formaler ist: denn die Ministerverant-
wortlichkeit gehörte vor ihrer Differenzierung aus
dem strafrechtlichen Gewande, in den Bereich der
Justiz. Auch die Wahlprüfungen z. B. können
statt als verfassungsrechtliche Hilfstätigkeit aus-