Full text: Wörterbuch des Deutschen Staats- und Verwaltungsrechts. Dritter Band. O bis Z. (3)

  
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Verwaltung, Verwaltungsrecht 
  
Kraft zustehen, die fähig sind, entgegenstehende 
Rechte von Privatpersonen aufzuheben oder zu 
beschränken, so daß diese zu weichen haben, wie 
sie im letzten Grunde aber auch gesetzlichen 
Anforderungen Privater (z. B. auf dem Gebiete 
des Nachbarrechtes, des Wasserrechtes, der Ge- 
meinheitsteilungen) weichen müssen. 
Das A#sn# behandelt so denn auch das allgemeine Polizei- 
recht überall zerstreut: so bei der Lehre vom Eigentum 
die Bau= und Forstpolizei, die Enteignung bei der Lehre 
vom Kauf, die Jagd- und Fischereipolizei bei der Lehre 
vom Erwerbe des Eigentums, die Gemeinheitsteilungen 
im Interesse der Landeskultur bei der Lehre vom gemein- 
schaftlichen Eigentum. Bei vielen Normen (z. B. des Nach- 
bar- und Wasserrechtes) ist es zweifelhaft, ob sie nur dem 
Einzelnen einen Anspruch geben sollen oder zugleich 
auch dem Staate ein Recht zum einseitigen Gin- 
griff: die „Legalservitut“ ist von der polizeilichen Pflicht 
nicht scharf geschieden (vol. Rosin, Verwürch 3, 280 Note 71). 
Oft werden die Rechtssätze nur als allgemeine, 
Pflichten auferlegende Normen formuliert, die 
es sowohl der Verwaltungsbehörde wie 
der interessierten Privatperson ermöglichen 
sollen, ihre Einhaltung zu „fordern"“. Die Vv. 
26. 12. 08 stattet daher auch in freier Zweckmäßig- 
keitserwägung, ohne Rücksicht auf eine Scheidung 
von bürgerlichem und Verw, einzelne Forde- 
rungen mit dem Privileg der exekutivischen Ge- 
walt“ aus. 
Sie gestattet z. B. Domänenpächtern IN1 grundherrliche 
Dienste im Berw Wege beizutreiben, oder den Reglerungen 
„Zwangsmittel“ (denen gegenüber „Possessorienklagen“ 
unzulässig sind) anzuwenden zur Erfüllung von Verträgen 
zwischen dem Fiskus und Privatpersonen, von denen die 
Erreichung bestätigter Etats abhängt, oder von solchen 
Berträgen über Kriegslieferungen und wichtigen Entre- 
prisen, wenn die Erfüllungsweigerung einen unwider- 
bringlichen Schaden befürchten läßt, dem der Schuldner 
nicht würde gerecht werden können ( 42): Besugnisse, 
die sich anlehnen an die zivilprozessuale vorläufige VBoll- 
streckbarkeit und die dieser wesensverwandte vorläufige 
Exekution polizeilicher Berfügungen (# 30). 
Der VerwZwang I/I hat sich aus der gericht- 
lichen Vollstreckung entwickelt (Anschütz, Verwärch 
1, S 393f, 399). Und anderseits: auch wo der 
Staat obrigkeitliche Machtbefugnisse hat, ist er 
berechtigt, diese durch die allgemeinen Formen 
des bürgerlichen Rechtes (z. B. Eintragung einer 
Last in das Grundbuch) zu verstärken (vgl. z. B. 
v. Roenne-Simon, Polizeiwesen des preuß. St. 
2, 342; 4, 408/9). 
Kurz: Die speziellen Formen des den ver- 
waltenden Staat privilegierenden Sonderrechts 
finden nur da Anwendung, wo sie entweder 
ausdrücklich durch Gewährung eines obrigkeit- 
lichen vorgeschrieben sind, oder 
wo die zu einem solchen daraus folgt, 
daß eine Pflicht in einer all- 
gemeinen auferlegt ist, die nach 
dem gedanklichen Zusammenhange, in dem sie 
steht, nicht nur Privatansprüche der an 
ihrer Befolgung Interessierten begründen will. 
Ueberall, wo solche expliziten und impliziten 
Privilegierungen des staatlichen Rechtssubjektes 
fehlen gelten nur die allgemeinen Normen 
es bürgerlichen Rechts, die aber dem Staate 
auch neben den privilegierenden zur Ver- 
fügung stehen. 
     
   
  
Auch heute noch kann die Frage, ob bürgerliches. 
oder Berw# vorliegt, da dahingestellt bleiben, wo aus- 
drückliche Gesetzesbestimmungen die Fragen des Rechts- 
wegs und der anzuwendenden materiellrechtlichen Norm 
entschieden haben. Wenn z. B. die Zuständigkeit der Ge- 
richte für vermögensrechtliche Ansprüche ver Beamten, für 
die Entschädigungen bei der Enteignung, der Untersagung 
der ferneren Benutzung einer gewerblichen Anlage (4 51 
GewO), der Zurücknahme einer wasserrechtlichen VBer- 
leihung (Preuß. Wasser G #§#84), für die Haftung des Staa- 
tes, für Ansprüche auf Freiheit von staatlichen Pflichten 
wegen eines specialls titulus usfw. ausbrücklich statuiert ist, 
kann es uns völlig gleichgültig sein, ob biese Zuweisung 
erfolgt ist auf Grund einer „falschen“ (7) Konstruktion des 
Gesetzgebers, oder mit der Absicht eine gerichtliche Zustän- 
digkeit nach 9 4 ECcc GUD „trotz“ (7) des verwaltungs- 
rechtlichen Charakters des Anspruchs zu begründen, oder 
bloß um Zweifel auszuschließen (val. Göz, Berwechts- 
pflege in Württemberg 50). (Auch das franzbsische Recht 
kennt solche ausdrücklichen Zuweisungen: vgl. Hauriou, 
Précis de drolt administratik? 503 f; Berthelemy, Traite 
GElémentaire de drolt administratik! 937 f.) 
Von praktischer Bedeutung wird die prinzipielle 
Scheidungsfrage der beiden „Rechtsarten“ erst 
da, wo die Gesetze eine Generalklausel, 
wie bürgerliche Rechtsstreitigkeit oder ähnliche, 
verwenden und damit den Gegensatz von 
Verwaltungsrecht und bürgerli- 
chem Recht zu einem gesetnzlichen 
Tatbestande machen. Dieser Fall war 
noch nicht damit gegeben, daß unsere Gesetzgebung 
durch Spezialbestimmungen den Rechtsweg immer 
mehr einschränkte, sondern erst, seitdem Theorie 
und Praxis das französische Prinzip rezipierten, 
nach dem die Gerichte nur für Streitigkeiten 
des bürgerlichen und Strafrechtes zuständig sind, 
und seit dem Beginn der 20er Jahre in völliger 
Verkennung des eigentlichen Sinnes von s 1 
Einl. z. Allg. GerO diese Norm für die gesetzliche 
Sanktionierung des französischen Prinzipes hielten, 
seitdem endlich der § 13 GVe (in Verbindung 
mit § 4 EG GV und §#4 ES 8PO) wenigstens 
die Vermutung für dies Peinzip aufgestellt hat, 
und auch Normen des materiellen Rechtes (z. B. 
à 77 EG B#B)p analoge Generalklauseln ver- 
wenden. 
B Das Prinzip der Scheidung kein apriori- 
Alle Versuche, den Gegensatz von öffentlichem 
und bürgerlichem Recht als einen apriori- 
schen zu fixrieren, müssen an der Tatsache schei- 
tern, daß dieser Gegensatz nun ein- 
mal kein apriorischer ist, daß er 
sogar unserer historischen Ver- 
gangenheit und insbesondere no ch 
unserer großen Kodifikation des 
Landrechts, der Gerichtsordnung 
und der Reformgesetzgebung zu 
Beginn des 19. Jahrhunderts un- 
5#un in 
ie Anleihen zu seiner Fixierung beim römische 
Recht (öffentliches und P seim roischen 
teresse)) konnten nicht helfen, da alle unsere 
Rechtsnormen zugleich öffentlichen wie privaten 
Interessen dienen (vgl. auch Spiegel, VerwRWiss. 
143), sowohl die bürgerlichen wie die publizistischen: 
ür uns ist das Recht als solches (die lange In- 
differenziertheit des Rechts hat uns dies besonders. 
intensiv fühlbar gemacht) Ausgleich und Ver-
	        
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