Verwaltungsakte (Verfügungen)
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#s# 6. Aufhebung.
I. Eine Uebersicht über die Auf-
hebungsgründe im allgemeinen
zeigt ein Bild von sehr verschiedenartigen Tatbe-
ständen. Soweit eine Verfügung, wie namentlich
zahlreiche Befehle des Militärrechts, nicht auf
Schaffung eines dauernden Rechtszustandes ge-
richtet sind, treten sie durch Erfüllung aus der
Welt der Rechtserscheinungen aus. Bei (gesetzlich
oder rechtsgeschäftlich) bedingten und befristeten
Verfügungen hat der Zeitablauf oder Bedingungs-
eintritt diese Wirkung. Allgemeine Aufhebungs-
gründe sind der Tod des Betroffenen, der überall
von Bedeutung ist, soweit nicht ausnahmsweise
eine Fortwirkung des V. auf den Rechtsnachfolger
des Betroffenen stattfindet, sowie der Wegfall
der Sache, auf die sich die Verfügung bezieht.
Endlich können andere publizistische Willenserklä-
rungen zur Vernichtung der Verfügung führen;
in einigen wenigen Fällen genügt eine Ab-
lehnungserklärung des Betroffenen; in anderen
Fällen erfolgt die Vernichtung unmittelbar durch
Gesetz oder Verordnung; in den meisten Fällen
aber handelt es sich um einen neuen V., der mög-
licherweise ohne jede Beziehung zu dem alten er-
geht (E 14 MSteO)y, für gewöhnlich aber eine
solche unmittelbare Beziehung hat.
II. Dieser letzte Fall des Widerrufs ver-
langt besondere Betrachtung.
1. Unter dem Begriff des Widerrufs fas-
sen wir ohne Unterscheidung die „Rücknahme“ durch
die verfügende Behörde selbst wie die „Aufhebung“
(im engeren Sinn) durch die Aufsichtsbehörde, den
vollständigen und den teilweisen (Abänderung)
Widerruf zusammen. Dagegen scheidet allerdings
die Aenderung auf Antrag, soweit dieser ein echtes
Rechtsmittel, nicht etwa bloß die Dienstbeschwerde
geltend macht, aus, da für sie die besonderen Grund-
sätze über den Rechtsschutz im öffentlichen Recht
Platz greifen. Nicht zum Widerruf gehören ferner
die bloße Wortberichtigung, auch nicht die mate-
rielle Ergänzung, ebenso wenig der unechte Wider-
ruf, d. h. derjenige, der vor dem Wirksamwerden
der Verfügung, also vor ihrer Bekanntgabe, ge-
schieht, endlich nicht die Rechtsentziehung aus
Gründen des öffentlichen Wohls und die neue
Verfügung auf selbständiger Grundlage.
Ueber Form und Bekanntgabe des
Widerrufs gelten die gleichen Grundsätze wie für
die widerrufene Verfügung selbst.
Was die Zulässigkeit des Widerrufs anlangt, so
muß, insoweit die Aufhebung der Verfügung nicht
überhaupt nur als unselbständiger V. ergehen kann,
der Grundsatz der freien Widerruflich-
keit anerkannt werden, der allerdings nicht
gleichbedeutend ist mit der Anerkennung der will-
kürlichen Widerruflichkeit.
2. Der Grundsatz der freien Widerruflichkeit
kennt aber zwei Ausnahmenn: einmal dort,
wo das Gesetz dem Betroffenen ein Recht auf Vor-
nahme des V., der widerrufen werden soll, ge-
währt hat; sodann in den Fällen, wo die Art der
durch den V. geschaffenen Wirkungen den Wider-
ruf ausschließt, — Fälle, die man meist in die
kurze, aber freilich etwas ungenaue Formel zu-
sammenfaßt, daß die Partei durch den V. ein
„Recht“ erworben hat. Eine Betrachtung der
Einzelfälle an der Hand dieser Formel ergibt fol-
gendes Bild: Verpflichtende und belastende Ver-
pflichtungen sind grundsätzlich frei widerruflich,
konstitutive Verfügungen dagegen nicht. Bei den
auf Schaffung von Rechtsverhältnissen gerichteten
Verfügungen ist zu unterscheiden, ob in dem Rechts-
verhältnis die Rechte oder die Pflichten über-
wiegen, und danach die Formel anzuwenden.
Die Rechtslagen schaffenden Verfügungen sind
grundsatiich, aber nicht immer, frei widerruflich.
asselbe gilt von den sachenrechtlichen mit Aus-
nahme der Fälle, wo sie zugleich, wie bei Enteig-
nung, Rechte schaffen. Auch die rechtsverändern-à
den Verfügungen sind nach der allgemeinen Formel
zu unterscheiden. Rechtsvernichtende Verfügungen
sind grundsätzlich frei widerruflich mit Ausnahme
der Fälle, wo die Verfügung eigene Rechte des
Staates vernichtet. Feststellungen und Verweige-
rungen, auf welche die Formel nicht recht paßt, sind
aus anderen Gründen dem Widerruf entzogen.
3. Soweit nach dem Vorstehenden statt der
freien Widerruflichkeit die beschränkte Wider-
ruflichkeit gilt, ist noch zu prüfen, unter
welchen Voraussetzungen ausnahmsweise gleich-
wohl ein Widerruf ausgesprochen werden kann.
Hier kommt zunächst in Betracht der Widerruf
wegen Wegfalls der Voraussetzungen einschließlich
der Abänderung wegen wesentlicher Veränderung
der Voraussetzungen. Soweit er überhaupt be-
grifflich möglich ist und soweit die Rechtslage nicht
etwa die ist, daß die Voraussetzungen nach dem
Willen des Gesetzgebers nur gelten sollen für die
Vornahme des V., nicht aber gleichzeitig für den
durch ihn geschaffenen Rechtszustand, so weit muß
er auch grundsätzlich als zulässig anerkannt werden.
Bei dem Widerruf „kraft Anfechtung“ ist zu
unterscheiden zwischen Formalakten und gewöhn-
lichen V. — Formalakte sind solche V., die in
bestimmter Weise streng formalisiert und zu-
gleich dem Widerruf kraft Anfechtung grundsätzlich
entzogen sind. Außer den Urteilen gehören dazu
z. B. der Enteignungsbeschluß und die Naturali-
sation. Doch ist eine Anfechtung wegen wesent-
licher Verfahrensmängel nach Art der Nichtigkceits-
klage und eine Anfechtung wegen Betruges oder
sonstiger strafbarer Handlungen im Umfang der
bürgerlichen Restitutionsklage, in anderen dem
strafgerichtlichen Urteile näher verwandten Fällen
im Umfang der strafprozessualen Restitutionsklage
(vgl. die Wiederaufnahme des Verfahrens gegen
Entscheidungen der Oberersatzkommissionen ge-
mäß Erl des preuß. Min Inn und das Kr. Min
v. 31. 7. 94) anzuerkennen. — Bei den gewöhn-
lichen V. führt eine kritische Betrachtung des sehr
umfangreichen Gesetzesmaterials zu dem Ergebnis,
daß sie widerrufen werden können: wegen Täu-
schung, bei der übrigens die objektive Täuschung
genügt und eine arglistige Täuschung nicht erfor-
derlich ist, und wegen sonstiger rechtswidriger Be-
einflussung des V. durch Zwang oder Bestechung;
wegen schlichter Gesetzwidrigkeit, d. h. wegen ein-
fachen Verstoßes gegen das materielle Recht;
wegen wesentlicher Verfahrensmängel, wozu ins-
besondere auch der Fall gehört, daß ein V., der
nur auf Antrag eines Beteiligten ergehen durfte,
ohne diesen Antrag ergangen ist, sowie der Fall,
daß die verfügende Behörde nicht ordnungsmäßig
besetzt war; dagegen nicht wegen Irrtums.
Endlich kommt für gewisse V., nämlich die auf
Schaffung von Rechtsverhältnissen gerichteten
sowie die mit Auflagen verbundenen, in Betracht