Full text: Wörterbuch des Deutschen Staats- und Verwaltungsrechts. Dritter Band. O bis Z. (3)

  
746 
Verwaltungsgerichtsbarkeit (Allgemeines) 
  
das Erfordernis der Rechtsverletzung hier nur 
für den Klagegrund der Ziff. 1 ausgenommen 
wurde, blieb die Möglichkeit offen, wegen des 
zweiten Klagegrunds, unrichtiger Tatsachenwürdi- 
gung, auch andere als rechtsverletzende Akte der 
Polizei anzufechten und das OV hat in dem 
Drange, seiner Kontrolle die Handhabung der 
Polizei möglichst vollständig zu unterwerfen, dies 
auch getan. Es prüft auch Akte des freien Er- 
messens wie die Versagung (ebenso die Zurück- 
nahme) von Polizeistundenverlängerung (J1, die 
Versagung der Erlaubnis zu Tanzbelustigun- 
gen [IXI, von Baudispensen [NI usw., auf welche 
Gewährungen der einzelne nie Anspruch hat, 
durch deren Versagung er also nie in seinen Rech- 
ten verletzt sein kann, doch darauf hin nach, ob sie 
nach Lage der Sache begründet waren. So ist 
in der Praxis aus dieser Ziff. 2, die ursprünglich 
nur klarstellen sollte, daß mit der Beschränkung 
auf Rechtskontrolle in Ziff. 1 nicht wie bei der 
Revision auch der Ausschluß der Tatfragen (son- 
dern eben nur der der Ermessensfragen) gemeint 
sei (uvgl. Bühler 307), ein selbständiger Anfech- 
tungsgrund geworden, den Anschütz (401) Sach- 
widrigkeit nennt und der insoweit, als er rechtlich 
nicht gebundenen Akten gegenüber angewendet 
wird, Ermessenskontrolle bedeutet, und das Fehlen 
der Beschränkung auf Rechtskontrolle auf allen 
Gebieten, auch dem der Polizei, muß als eine 
der Haupteigentümlichkeiten der V. in Preußen 
betrachtet werden. 
Daß sie auch insofern über die Aufgabe „Schutz 
der subjektiven Rechte der einzelnen“ hinaus- 
reicht, als sie zuweilen nur der Aufrechterhaltung 
des objektiven Rechts dient, pflegt man mit 
Fällen wie dem des & 15 ZustGE zu belegen, 
wonach die Gemeindevertretung im Fall der Be- 
anstandung ihrer Beschlüsse durch den Gemeinde- 
vorstand, weil sie ihre gesetzlichen Befugnisse 
überschreiten oder die Gesetze verletzen, die 
Verwälage erheben kann; in dem analogen 
Falle des § 126 LV0 , der von Beanstandung der 
Beschlüsse des Provinzialrats usw. durch den 
vorsitzenden Staatsbeamten handelt, legt indes 
das Gesetz selbst eine andere Konstruktion nahe, 
indem es sagt, die Behörde sei befugt zur Wahr- 
nehmung „ihrer Rechte“ in dem Verfahren vor 
dem O einen besonderen Vertreter zu wäh- 
len. Aehnlich kann man, wenn gegen eine Ent- 
scheidung der Einkommensteuerveranlagungskom- 
mission deren Vorsitzender ein Rechtsmittel ein- 
legt (IS 43 ff Eink t G), sagen, daß er damit 
einen konkreten Steuerforderungsanspruch des 
Staates wahrnimmt, ebenso wie der Staatsan- 
walt, der zuungunsten des Beklagten ein Rechts- 
mittel einlegt, das subjektive Strafrecht des 
Staates. Das Eigentümliche an diesen Fällen, 
für die sich Analogien auch in andern Staaten 
finden (vgl. 8 77 sächs. VRPflG) ist also nicht 
sowohl, daß sie die Aufrechterhaltung des ob- 
jektiven Rechts bezwecken, als daß die V. bei 
ihnen nicht zum Schutze der Untertanen gegen 
die obrigkeitliche Gewalt, sondern zum Schutze 
der Rechte von Verworganen und auch zum 
Schutz der Rechte des Staats gegen gesetzwidrige 
Beeinträchtigung durch Selbstverwaltungskörper 
in Tätigkeit tritt. Doch weist das preußische Recht 
auch einige Fälle echter Popularklage auf 
(5 57 Zustc: gegen Einziehung oder Verlegung 
  
  
eines öffentlichen Weges; # 110, 113 Kr O: 
Anfechtung von Kommunalwahlen und -Wahl- 
verzeichnissen), in denen die Konstruktion fub- 
jektiver Rechte zwar auch nicht unmöglich (vgl. 
oben), aber doch gezwungen ist und richtiger die 
Wahrung des objektiven Rechts als Aufgabe des 
Eingreifens der V. bezeichnet wird. 
Eine dritte Eigentümlichkeit der preußischen 
V. besteht darin, daß sie nicht immer zum Zweck 
der Korrektur eines durch die Verwaltung er- 
lassenen Aktes eingreift, sondern für gewisse 
einschneidende Verwokte, namentlich gewerbe- 
polizeiliche (Entziehung von Konzessionen, Unter- 
sagung der Fortführung eines Betriebs i. S. der 
88 35, 53 GewO, i. V. mit 119 f ZustG) das von 
vornherein einzuhaltende Verfahren bildet (sog. 
ursprüngliche Verwaltungsstreit- 
sachen). Betrachtet man als Aufgabe der 
Rechtsprechung Streitentscheidung, wozu die Ana- 
logie mit dem Zivilprozeß doch wohl nötigt 
(anders allerdings Otto Mayer 12, 155), so kann 
die Tätigkeit der Verw# in solchen Fällen offen- 
bar nicht Rechtsprechung genannt werden, sie ist 
dann vielmehr einfach ein Verw Verfahren, das 
im Interesse des betroffenen Privaten partei- 
mäßig ausgestaltet ist und sich vor einem Laien- 
kollegium abspielt. Eine ganz ähnliche Sicherung 
stellt nun aber das in der preußischen Gesetz- 
gebung ebenfalls ausgebildete Beschlußverfah- 
ren [NIl dar, sofern auch hier die Entscheid ung 
durch ein solches Kollegium und in einem ähnlich 
ausgestalteten Verfahren (mit fakultativer, in ge- 
wissen Fällen — & 119 LVG — sogar obligato- 
rischer mündlicher Verhandlung) ergeht, ein 
Verfahren, das der Sache nach auch in anderen 
Bundesstaaten verwirklicht ist (vgl. Tätigkeit der 
Bezirksräte in Baden als Verw Behörden schon 
auf Grund des Org# von 1863, jetzt der V v. 
31. 8. 84, der württembergischen Bezirksräte 
in staatlichen Angelegenheiten gemäß BezO v. 
1906, der sächsischen Kreis- und Bezirksausschüsse 
nach dem OrgG von 1873). Jene in die Sphäre 
des Untertanen besonders scharf eingreifenden 
Verw'Akte, von denen einige in Preußen zu ur- 
sprünglichen Verw Streitsachen gemacht worden 
sind, werden in diesen anderen Staaten regel- 
mäßig zunächst im Beschlußverfahren behandelt 
und dann erst durch Einlegung eines Rechtsmittels 
in das verwaltungsgerichtliche Verfahren über- 
geleitet; aber auch in Preußen selbst ist das für 
eine Reihe solcher Akte geschehen (z. B. Unter- 
sagung und Beschränkung von gewerblichen An- 
lagen gemäß 88§ 27, 51 GewO, &§ 110—113 Zust G, 
ferner S§ 114, 115, 117 Satz 2 ZustG). Es sind 
also Akte ganz derselben Natur teils dem einen, 
teils dem anderen Verfahren zugewiesen und 
daraus ergibt sich die Unmöglichkeit, das preußi- 
sche Verwtreitverfahren durch die Art der in 
ihm zu erledigenden Angelegenheiten charakteri- 
sieren zu wollen. Diese unterscheiden sich unter- 
einander zum Teil mehr als von Angelegenheiten, 
die nicht dem Verw Streitverfahren zugewiesen 
sind; das gemeinsame an ihnen, dem auch die 
Begriffsbestimmung Rechnung zu tragen haben 
wird, ist eben nur die Form der Erledigung der 
Angelegenheit. 
#5* 5. Würdigung der Hauptansgestaltungen. 
Begriff. Terminologie. 
I. Die V. in Preußen ist also weder tatsächlich
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.