Full text: Wörterbuch des Deutschen Staats- und Verwaltungsrechts. Dritter Band. O bis Z. (3)

  
Verwaltungsgerichtsbarkeit (Allgemeines) 
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noch formell auf den Schutz subjektiver Rechte 
beschränkt. Für die Verw des süddeutschen 
Typus ist dagegen, von den mehrerwähnten 
Ausnahmen namentlich für die unteren Instanzen 
in Bayern abgesehen, das Vorliegen eines Streits 
über subjektive öffentliche Rechte nicht nur tat- 
sächlich, sondern meist auch formell Voraussetzung. 
Folge dieser gesetzlichen Regelung war für sie, daß 
sie sich bei ihrer Rechtsprechung fortwährend 
mit der Feststellung der schwierigen Grenzlinie 
zwischen subjektivem Recht und bloßem Interesse, 
zwischen zwingendem Recht und freiem Ermessen 
zu befassen hatten und in Ermangelung genü- 
gender Klärung dieser Probleme nicht selten 
zu einer im Ergebnis unerwünschten Versagung 
des VerwRechtsschutzes gelangten, weil das gel- 
tend gemachte Interesse nicht als subjektives 
Recht anerkannt werden könne (so Bayern und 
namentlich Württemberg, Bühler 319 f, 369 #). 
Diese Schwierigkeiten blieben dagegen dem 
preußischen OV infolge der von Grneist richtig 
berechneten anderen Art der Bestimmung seiner 
Zuständigkeit erspart und soweit sie sich eigent- 
lich auch hier ergeben hätten, wie bei den polizei- 
rechtlichen Verfügungen, hat das OVG sich über 
sie hinwegzusctzen gewußt. Die Art, wie das 
preußische OVG alle Zweige der Verwaltung 
seiner Kontrolle zu unterwerfen wußte, hat aber 
mit der Zeit auf die andern Verwc eingewirkt. 
Sie hat insbesondere in Oesterreich den VGH 
veranlaßt, das Gebiet der rechtlichen Gebunden- 
heit und damit des Bereiches seiner Kontrolle 
der Verwaltung weiter zu fassen als anfangs 
(vgl. Tezner, Jahrb. ö R. V, 1911, 103) und sie 
hat in Sachsen das OV nicht nur von Anfang 
an davor bewahrt, den Begriff des subjektiven 
öffentlichen Rechts zu eng zu fassen, sondern auch, 
trotz der im sächsischen VRPflGesetz deutlich 
ausgesprochenen Beschränkung auf Rechtkontrolle 
es veranlaßt, in steigendem Maß Akte des freien 
Ermessens (namentlich freie Erlaubniserteilungen) 
auf Ermessensfehler zu prüfen. Dem kommt 
eine neueste Richtung in der Theorie entgegen 
(v. Laun, Freies Ermessen, 1910, W. Jellinek, 
Gesetz u'w., 1913), indem sie gewisse dieser Er- 
messensfehler den Rechtsfehlern, d. h. Verstößen 
gegen regelrechte Gesetzesbestimmungen gleich- 
behandelt sehen möchte. Dies hat zur Folge, daß 
auch die Akte des freien Ermessens, welche die 
auf Rechtskontrolle beschränkten Verw nach 
der erklärten Absicht der Gesetzgebungen insoweit 
nicht sollten zu überprüfen haben, als das freie 
Ermessen reicht, d. h. nicht durch zwingende 
Rechtsvorschriften eingeschränkt ist, der Kontrolle 
der Verwaltung doch mehr oder weniger voll- 
ständig unterworfen werden, daß der Unterschied 
zwischen rechtlicher Gebundenheit und freiem Er- 
messen, zwischen den zu Rechten erhobenen und 
daher mit besonderem Schutz ausgestatteten und 
den nicht zu Rechten erhobenen Interessen ver- 
wischt wird und die Praxis bei der Auslegung 
des Begriffs Rechtsverletzung den sicheren Boden 
verliert. Aus diesem Grunde treten der erwähn- 
ten Auffassung, die der Verschiedenheit der Grund- 
lagen der V. in den verschiedenen Staaten nicht 
genügend Rechnung trägt, entgegen Tezuer, 
Jahrb OeffR V, 1911, 67 , und Bühler 158 f. 
Verneint wird die Möglichkeit, die Ermessens- 
kontrolle mit der Beschränkung auf den Schutz 
  
subjektiver Rechte in Einklang zu bringen, auch 
von Fleiner, Institut. 244 und ebenso stellt 
Anschütz (402) den Schutz vor solchen „Unbillig- 
keiten des administrativen Verfahrens, die for- 
mell nicht als rechtwidrig zu bezeichnen sind“ als 
Interessenschutz in Gegensatz zum Rechtsschutz. 
Auf diesem Unterschied hat tatsächlich außerhalb 
Preußens Theorie und Praxis der V. von jeher 
aufgebaut und er hat sich auch in neuester Zeit 
als unentbehrlich erwiesen. So ist für das thü- 
ringische OVG die Beschränkung bei der An- 
fechtungsklage auf Rechtskontrolle im Sinne des 
Ausschlusses der Ermessensfragen (bei der Re- 
vision sind weitergehend auch die Tatfragen aus- 
geschlossen), wegen des Verhältnisses des O### 
zu der Vielheit der Landesverwaltungen als 
nötig anerkannt, wenn auch durch wörtliche Ueber- 
nahme des 5127 III preuß. LVG mangelhaft 
zum Ausdruck gebracht worden und ebenso wäre 
für ein künftiges Reichsverwaltungsgericht eine 
solche Beschränkung unentbehrlich (vgl. insbes. 
das Gutachten Thoma). 
Die Grenzlinie zwischen rechtlicher Gebunden- 
heit und freiem Ermessen hat also trotz ihrer 
prinzipiellen Ignorierung in der prenßischen 
VerwGesetzgebung ihre Bedeutung nicht ver- 
loren und wird sie auch nicht verlieren und für 
die außerpreußischen Rechte muß daher auch 
ihre immer feinere Herausarbeitung, nicht ihre 
Verwischung als die Aufgabe von Theorie und 
Rechtsprechung bezeichnet werden. 
II. Der Begriff der V. ist nach dem Aus- 
geführten für die verschiedenen Rechtsordnungen 
kein einheitlicher. Der den süddeutschen Aus- 
gestaltungen zugrunde liegende ist enger, der 
preußische weiter. V. in jenem engeren Sinn 
ist prozeßartig ausgestaltetes, vor Organen der 
Verwaltung sich abspielendes Verfahren zur 
Entscheidung von Streitigkeiten über subjektive 
öffentliche Rechte der Untertanen oder auch von 
Verworganen oder des Staats selbst. Die 
V. in Preußen und den seiner Ordnung folgenden 
Staaten ist dies in der Mehrzahl der Fälle auch, 
aber sie ist es nicht immer und nicht einmal grund- 
sätzlich, sie ist zuweilen auch Verfahren zur Ent- 
scheidung von Streitigkeiten über bloße Interessen 
und zuweilen gar nicht Verfahren zur Entschei- 
dung von Streitigkeiten, nicht Verfahren zur 
Korrektur eines anderen Verfahrens, sondern 
ursprüngliche VerwHandlung. Sie dient ferner 
in manchen Fällen nur der Aufrechterhaltung 
des objektiven Rechts und betrifft endlich aus- 
nahmsweise auch nicht die Erledigung öffentlich- 
rechtlicher, sondern privatrechtlicher Angelegen- 
heiten (vgl. Austrag von Wildschadensstreitig- 
keiten im Verw Streitverfahren, preuß. Jagd O 
v. 15. 7. 07 §J 59). Gemeinsam ist diesen ver- 
schiedenen Funktionen der V. im prenußischen 
Recht nur die Form, und sie läßt sich daher nur 
bestimmen als diejenige Tätigkeit gewisser, nicht 
zur Justiz gehöriger Behörden, die in einem be- 
sonderen, parteimäßig ausgestalteten Verfahren, 
von den Gesetzen „Verwaltungsstreitverfahren“ 
genannt, vor sich geht und mit Rechtskraftwir- 
kung ausgestattet ist (so im wesentlichen auch 
Otto Müller, Begriffe 27/30, Otto Mayer Ie2, 
141, während die Theorie im übrigen ganz 
überwiegend den Begriff der V. auch für 
Preußen in einer Weise bestimmt, die in
	        
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