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Verwaltungsgerichtsbarkeit (Allgemeines)
Wirklichkeit nur auf die V. i. e. S. paßt).
Diesem weiteren Begriff der V. könnte nun
noch ein dritter weitester angereiht werden, der
außer der von Organen der Verwaltung aus-
geübten Kontrolle über die Verwaltung auch
die von den ordentlichen Gerichten direkt (ogl.
Zuständigkeit der Zivilgerichte in Stempelsteuer-
sachen, # Rechtsweg und Kompetenzkonflikt, Reich
und Preußen, 5 5) oder indirekt (Prüfung der
Gültigkeit von Polizeiverordnungen durch den
Strafrichter, überhaupt Entscheidung öffentlich-
rechtlicher Vorfragen durch den ordentlichen
Richter) ausgeübte Kontrolle der Verwaltung
mitumfaßt. Es ist jedoch nicht üblich und auch nicht
empfehlenswert, diese Fälle zur eigentlichen V.
zu rechnen, sie werden besser unter dem Aus-
druck Zuständigkeit der ordentlichen Gerichte
gegenüber der Verwaltung zusammengefaßt und
als indirekte Kontrolle der Verwaltung bezeich-
net, die allerdings die eigentliche V. sehr häufig er-
setzen mußte, zum Teil jetzt noch ersetzen muß (so in
den Hansestädten, #Hamburg 86, I] Bremen 11,
Lübeck §& 4 G v. 17. 12. 60), fast überall aber
ergänzt ( Rechtsweg und Kompetenzkonflikt).
II. Auch die Terminologie in Bezieh-
ung auf die mit V. verwandten Ausdrücke
VRPfl, VerwRechtsprechung, Verwtreitver-
fahren schwankt noch. Faktisch wird der Aus-
druck „Verwaltungsstreitverfahren" namentlich
von den preußischen und den ihnen nachgebildeten
Verw#esetzen gebraucht, von denen des süd-
deutschen Systems dagegen nicht. Da er auf
die vom preußischen Recht ausgebildeten Fälle
hinweist, in denen die V. nichts anderes als ein
auf Parteienstreit zugeschnittenes Verw Verfah-
ren ist, so empfiehlt es sich, ihn auf dieses System
zu beschränken. Andererseits werden die Aus-
drücke „Verwaltungsrechtsprechung“ und „Ver-
waltungsrechtspflege“, die unter sich identisch
sind, in den preußischen Gesetzen vermieden,
dagegen in denen des anderen Systems häufig
verwandt(VRPflGin Württemberg, Baden, Sach-
sen, Braunschweig). Das Gegebene erscheint
daher auch in der Wissenschaft, sie nur zur Be-
zeichnung derjenigen Art von V. zu verwenden,
die nur dem Schutz subjektiver öffentlicher Rechte
dient. Der Ausdruck „Verwaltungsgerichtsbar-
keit“, der sich auch faktisch in den Gesetzen der ver-
schiedenen Ausgestaltungen findet, wird zweck-
mäßig als neutraler Oberbegriff verwendet, der
also in einem engeren und in einem weiteren
Sinn gebraucht wird.
5s6. Organisation, Zuständigkeit, VBerfahren.
1. Die Organisation der V. weist in
den verschiedenen Staaten erhebliche Unter-
schiede auf. Dies gilt zunächst vom Instanzen-
aufbau. Preußen, Bayern, Hessen, auch Anhalt
und S.-Meiningen haben 3 — Braunschweig und,
aus besonderen Gründen, Thüringen haben nur 1
— die übrigen Staaten 2 verwaltungsgericht-
liche Instanzen, von denen für die Anfechtung
staatlicher Verfügung freilich im allgemeinen die
obere allein in Betracht kommt. Diese besteht
überall aus einem Kollegium von Beamten, die
jedoch nicht durchweg Verwichter im Haupt-
amt sind, sondern zuweilen zugezogene Zivil-
richter, zuweilen auch jetzt noch höhere Verwe-
amte. In den unteren Instanzen wird die V.
regelmäßig von Verw Behörden nebenher aus-
geübt; diese sind (von der untersten Instanz in
Bayern abgesehen) überall ebenfalls kolle gial
organisiert. Während aber in Preußen und
den meisten ihm folgenden Staaten diese Kolle-
gien aus Laien unter dem Vorsitz eines Staats-
beamten bestehen, haben die süddeutschen Ge-
setzgebungen die Zuziehung von solchen im all-
gemeinen nicht für zweckmäßig gehalten; in
Baden allerdings ist es schon im Gesetz von 1863
geschehen, aber nicht ohne Bedenken, ob sich
Laien zu solcher Tätigkeit eignen und nur deshalb,
weil auf andere Weise eine untere Kollegialinstanz
nicht zu gewinnen war. Richterliche Unabhängig-
keit ist fast überall nur den Mitgliedern der oberen
Instanz ausdrücklich zugestanden und durch for-
melle Garantien gesichert; doch ist anerkannt,
daß auch die Mitglieder der unteren Instanzen,
und zwar auch soweit sie VerwBeamte sind, in
ihrer verwaltungsrechtsprechenden Tätigkeit an
Weisungen der höheren Behörden nicht gebun-
den sind.
II. In der Bestimmung der Zuständig-
keit der Verw ergeben sich zwei Hauptsysteme,
die jedoch fast nirgends rein ausgebildet sind:
als Enumerations prinzip erschöpfende Auf-
zählung der einzelnen Streitigkeiten, die vor sie
kommen können — (s. Zt. durchgeführt in der
preuß. Kr O von 1872, jetzt noch in S.-Meiningen)
und Erlaß einer allgemeinen Bestim-
mung, daß im Fall einer Rechtsverletzung die
Verw angerufen werden können (so das österr.
VerwG v. 1875, vgl. oben 5 3). In den übrigen
Gesetzgebungen sind die beiden Prinzipien kom-
biniert und zwar in verschiedener Art: entweder
so, daß die Generalklausel nur für die Anfech-
tung staatlicher Verfügungen gilt, während für
Parteistreitigkeiten das Aufzählungsprinzip ein-
greift (so das württ. und sächs. VRoflesetz),
oder so, daß neben der Aufzählung die General-
klausel der Rechtsverletzung mit der Wirkung
eingreift, daß die aufgezählten Streitigkeiten nur,
soweit es sich bei ihnen um Rechtsverletzungen
handelt, vor die Verw# sollen kommen können
(so namentlich das bayr. VerwGesetz und das
braunschw. VMR PflGesetz); oder endlich so, daß
neben im allgemeinen kajuistischer Aufzählung
wenigstens für ein großes Gebiet, wie das der
Polizei, eine allgemeine Bestimmung über die
Zulässigkeit der Verwäflage bei Rechtsverletzung
gilt, die sich also als (beschränkte) Generalklausel
auffassen läßt (so namentlich Preußen und die
meisten ihm folgenden Staaten, im gewissen
Sinne auch Baden).
In Beziehung auf den Zeitpunkt des Ein-
greifens der VerwEG und den Instanzenzug sind
hauptsächlich zwei Ordnungen zu unterscheiden:
nach der einen sollen zwar bei Parteistreitig-
keiten die Verwe# eingreifen, sobald die Sache
überhaupt streitig wird, in dem wichtigeren Falle
der Anfechtung staatlicher Verfügungen dagegen
sollen die VerwE# nur ausnahmsweise zur Kor-
rektur der Verwaltung eingreifen, und es wird
daher verlangt, daß diese die Verwenstanzen
vorher größtenteils oder sämtlich durchlaufen
haben und es ist dann in der Regel oder doch
sehr häufig die Entscheidung eines Ministeriums,
welche die Verw nachzuprüfen haben (so
insbesondere Württemberg und Sachsen). Nach
dem anderen System kann gerade die Entschei-