Full text: Wörterbuch des Deutschen Staats- und Verwaltungsrechts. Dritter Band. O bis Z. (3)

  
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Verwaltungsgerichtsbarkeit (Reich) 
  
künftige Erweiterung der reichsverwaltungsge- 
richtlichen Kontrolle, die nach verschiedenen 
Richtungen bereits abzusehen ist. So wird mit 
den wachsenden Eingriffen des Reiches in den 
finanziellen Rechtsstand seiner An- 
gehörigen (Steuern, Zölle) auch mehr und mehr 
das Bedürfnis nach einem Rechtsschutz durch das 
Reich rege. Es wird der gleiche Grund in den 
Fällen, die bisher zu einer reichsrechtlichen Be- 
stimmung des landesgerichtlichen Schutzes durch 
GewO ##8 20, 21 geführt haben, die letztinstanz- 
liche Zuweisung an ein Reichs Verw G erfordern 
(Vereinsrecht!). Darüber hinaus könnte es den 
Einzelstaaten unbenommen bleiben, ihrer Landes- 
verwaltungsgerichtsbarkeit einen oberinstanzlichen 
Abschluß durch Uebertragung der Zuständigkeit 
an das Reichs Verw G zu geben (entsprechend der 
Rechtslage für das Heimatamt und das Privat- 
versicherungsamt) — darin läge zugleich für die 
kleineren Staaten der Antrieb zu einer mit ge- 
ringeren Kosten verbundenen Einführung der V. 
— oder in weiterem Maße ihn mit der Entschei- 
dung von Konfliktsfällen zu betrauen: hier kämen 
u. a. die Zuweisungen an das Reichsgericht (&§ 11, 
17 EGz. G, 1766 nebst Kais. V v. 26. 9. 79 
für Bremen) in Wegfall I[X Konflikt. Die Eig- 
nung eines Reichs Verwo# auch für gewisse 
Streitigkeiten verfassungsrechtlichen Ursprungs 
(z. B. Wahlrecht, wie für einen VGH in Elsaß- 
Lothringen nach dem VerfsG v. 31. 5. 11 5+9 
oder Streitfragen zwischen Senat und Bürger- 
schaft in Hamburg nach R v. 14. 3. 81 oder 
von Fall zu Fall gemäß a 76 Abs 1 RV) wird 
sich nicht verkennen lassen. — Der verschiedene 
Unterbau in den einzelnen Staaten braucht nicht 
entgegen zu stehen, wie als Beispiel das einstige 
Oberhandelsgericht und jüngst das thüringische 
O lehren! 
Ein einheitliches Reichs Verw wird 
trotzdem nicht zu erreichen sein. Das würde 
eine Verschmelzung der bestehenden Sonder- 
Verwu# erfordern. Und dies erscheint bei ihrer 
fortgeschrittenen Entwicklung weder noch möglich 
(Reichsversicherungsamt nebst dem ihm zweck- 
mäßig anzugliedernden Oberschiedsgericht; Pa- 
tentamt mit seinem großen Amtskörper (J S 441) 
noch auch zweckdienlich; das letztere dort nicht, 
wo für die Mitglieder der Verw# eine Vertraut- 
heit mit den Bedürfnissen des besonderen Verw- 
Zweigs verlangt werden muß (Reichsrayon- 
kommission; Privatversicherungsamt; wohl auch 
Patentamt). Für das Heimatamt, das Reichs- 
eisenbahnamt, das Oberseeamt (dem die Fach- 
kunde in den Beisitzern gewährleistet ist) lägen 
diese Hinderungsgründe für eine Verschmelzung 
dagegen nicht vor. Uebrigens zeigt in Preußen 
das Beispiel des Landeswasseramtes (Kgl. V v. 
18. 3. 14, GS 35, § 16), daß auch das Bestehen 
eines Oberverwaltungsgerichts die Bildung von 
Sonderverwaltungsgerichten nicht hindert. 
Formell würde ein verfassungänderndes Reichs- 
gesetz erforderlich sein. 
III. Die Frage nach dem Bedürfnis eines 
Reichs VerwEG hat den Reichstag wiederholt 
schon beschäftigt (Dbdl 12. Leg.-Per. 1. Session 19. 
1.009, Band 234 S 6363; 13. Leg.-Per. 1 Session 
30. 5. 13, (Vhdl. über das Staatsangehörigkeits- 
gesetz; Band 290 S 5340). Antr. Bassermann 
  
v. 14. 2. 12 und Resol. v. 11. 3. 13 (Entschei- 
dung von Wahlprüfungen ), Drucks. Nr. 94, 866. 
Ganz allgemein fordert ein Reichsverwaltungs- 
gericht ein Antr. Bassermann v. 14. 2. 12 (Drucks. 
92): schließlich eine Resolution v. 20. 1. 14 „ben 
Ausbau des Bundesamts für das Heimatwesen 
zu einem Reichsamt für das Heimats= und Finanz- 
wesen.“ (Drucks. 1291). 
Zu alledem Berhdl. in der 6. 13. 14. 20. 40. 132. 
153. 155. 207. Plenarsitzung. 
Dasu auch anderweite Anregungen zur Bermeidung 
einer Verschiedenheit des Reichsrechts in den Einzelstaa- 
ten. 12. Leg. Per. 2. Session, Band 278 S. 3817 (Wert- 
zuwachssteuer, 1911); Antrag Bassermann-Schiffer, Drucks. 
1912/18 Nr. 1219. Bagl. noch Zeilers Umfrage über den 
Rechtshof in der deutschen Richterzeitung 1914 Nr. 3. 
Der 30. Deutsche Juristentag (1910) hat 
sich einstimmig dafür erklärt: „Es besteht ein Be- 
dürfnis nach Schaffung einer reichsrechtlich ge- 
ordneten höchstrichterlichen Instanz für Verwal- 
tungssachen, um die Einheitlichkeit in der An- 
wendung des Reichsverwaltungsrechts zu sichern“ 
(Vhdl II. S 352, 565) — unter dem Eindrucke 
der gründlichsten Erörterungen, die der Frage 
bisher gewidmet worden sind; von Schultzenstein, 
Thoma, Anschütz, Vierhaus, Lukas. 
55. Konsulargerichtsbezirte und Schutzgebiete 
sind in dieser Hinsicht immer noch rechtlich un- 
geschieden. Für beide gilt die Vorschrift, daß, 
soweit nach den Reichs= oder Landesgesetzen, die 
für jene Gegenden gelten, eine Entscheidung im 
Verwtreitverfahren zu treffen ist, sie „in erster 
und letzter Instanz von dem Bundesrate erlassen“ 
wird (5 23 Abs 2 Kons GE, §& 3 Schutzgeb G). 
Die Unzulänglichkeit dieses Rechtszustandes, der 
das oberste politische Organ auch zum Richter 
macht, wird nicht bezweifelt und auch dadurch 
nicht behoben, daß durch die Nov. zum Schutzgeb G 
v. 22. 7. 13 (RG Bl 599) der Reichskanzler zur 
Entscheidung in Vereinssachen berufen ward. 
Die Abhilfe wird aber nicht für beide Gebiete 
auf dem gleichen Wege zu treffen sein. 
Für die Konsulargerichtsbezirke 
ist sie nicht dringlich und wäre ohne weiteres durch 
Schaffung einer einzigen Instanz beim (künftigen) 
Reichs Verw zu gewinnen. 
Anders für die Schutzgebiete: Bei dem 
Anwachsen des Verkehrs, insbesondere der Ver- 
mögenswerte in den Kolonien einerseits, dem 
in weitem Maße für das öffentliche Recht aber 
dem Gouverneur und nachgeordneten Instanzen 
übertragenen Befugnis zur Rechtssetzung an- 
dererseits, ist das Bedürfnis nach einem 
Rechtsschutze in der Verwaltung ersichtlich und 
auch fühlbar geworden, namentlich durch Ver- 
sagung des Rechtsweges in Grundsteuerstreitig- 
keiten, bei Streit über Nachverzollung u. a. m., 
über beträchtliche Summen und der abweichenden 
Stellungnahme der Gerichte in diesen Fragen. 
Befriedigt ist es im allgemeinen nur durch die 
Beschwerde gegen polizeiliche Anordnungen bis 
an den Reichskanzler und in einzelnen Fällen durch 
Schaffung besonderer Kommissionen in Entschä- 
digungs= oder Steuerfragen (z. B. Südwestafrika 
V v. 19. 3. 09, Kolon Gg 13, 182), die sich aus 
Beamten und ehrenamtlich tätigen Personen 
zusammensetzen. Die Hauptstreitpunkte werden 
dadurch nicht betroffen. Hierfür werden ver-
	        
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