Verwaltungsgerichtsbarkeit (Schutzgebiete — Preußen)
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waltungsgerichtliche Instanzen zu schaffen sein
oder auch nur Beschlußbehörden, wobei wenig-
stens die erste Instanz in der Kolonie selbst liegen
müßte. Als Zusammensetzung dürfte sich empfeh-
len ein Kollegium unter dem Vorsitze des Be-
zirksrichters und unter Zuziehung von Beamten
und Laien, weiterhin entsprechend unter dem
Vorsitze des Oberrichters. Bei der intensiven
Berührung von privatem und öffentlichem Recht
in der kolonialen Normsetzung erscheint dieser
Zusammenhang mit den Kolonialgerichten sach-
fördernd, die Zuziehung von Beamten in das
Kollegium selbst die Autorität der kolonialen
Regierung wahrend. Für die Behebung von
Kompetenzkonflikten wären Vorschriften erfor-
derlich. Der innige Zusammenhang des kolonialen.
Rechts mit der Besonderheit kolonialer Wirtschaft
und Kultur widerrät eine Zuteilung an das
Reichs Verw, macht vielmehr die Uebertragung
an das allgemeine Reichskolonialgericht wün-
schenswert.
Der Reichstag hat in einer Resolution v. 21.3. 14
einen geordneten Rechtsgang gegenüber öffent-
lichen Abgaben gefordert. Vgl. auch die Erklärung
des Staatssekretärs des Reichs-Kolonialamts v.
9. 3. 14. Die deutsche Kolonialgesellschaft hat sich
in der Hauptversammlung zu Danzig (6. 6. 14) für
einen stärkeren Rechtsschutz in der Verwaltung,
namentlich bei Steuersachen, ausgesprochen.
Bgl. Kolonialzeitung 1914, Nr. 24, S. 397; ferner
Wunderlich, Die Notwendigkeit der Einführung einer
B. in den deutschen Schutzgebieten, 1913.
Literatur. Hänel, StK8K S 756, 763; Fleiner,
Institutionen des Verwr.“, 1913, 235; Friedrichs,
Verwürch 6, 1898, S 546—552; vor allem die Gutachten
für den Juristentag von Schultzenstein (29. DJIrT
1908, 11 3—36), Thoma, Anschütz, Bierhaus,
Lukas (30. DJr 1910 151—111; 489—512; II 300—330;
330—342); dazu Fleischmann, DIJg3 1908 Sp. 957;
Laband, DJ3 1910 Sp. 009;
VerwB!l 31 (1910) S711, Verw Arch 19, 1911 S538—544—
Rathenau, Sol dergerichtshöfe für gewerblichen Rechts-
schuß (Gutachten für den Juristentag 1910 1 320 fl.
Reischmann.
III. verwaltungsgerichttdarkelt in den einzelnen
aaten
Behäörden (Tabelle) Band I, S 394/95
A. Preußen
5 1. Geschichte. 12. Die Behörden. 4 3. Zulässigkeit
des Verfahrens. 7 4. Zuständigkeit. 1 5. Obrigkeitliche Ge-
walt. #4 6. Die Parteien. 4 7. Bertreter. ## 8. Das Ver-
sahren. Grundsätzliches. 1 9. Verfahren erster Instanz. 1 10.
Rechtsmittel. Wiederaufnahme des Verfahrens. Zwangs-
vollstreckung. 11. Besondere Arten der Verwaltungs-
gerichtsbarkeit.
Kl. Geschichte der Verwaltungsgerichtsbarkeit.
I. Geschichte des Verwaltungsstreit-
verfahrens. In Preußen gibt es eine Verw-
Gerichtsbarkeit seit dem 1. 7. 71. An diesem Tage
trat das AG v. 8. 3. 71 zum Bundesgesetz über
den Unterstützungswohnsitz in Kraft, in welchem
vor einer besonderen Behörde (Deputation für das
v. Stengel-Fleischmann, Wörterbuch. 2. Aufl.
Schultzenstein,
Heimatwesen) ein Parteienstreit über öffentlich-
rechtliche Angelegenheiten in einem gesetzlich gere-
gelten und geordneten Verfahren eingeführt wurde.
Dieses Verfahren hat bis zum 1. 4. 90 noch
in Posen bestanden, wo es durch Gv. 19. 5. 89
aufgehoben wurde. Ein letzter Rest (5 49) be-
steht noch. [J Armenwesen I 204.)
Inzwischen kam aber auf anderer Grundlage
ein Lerw treikverfahren für andere, allgemei-
nere Zwecke auf. Seit der Einführung der Ver-
fassung und der damit zusammenhängenden Bil-
ung der politischen Parteien hatte sich nament-
lich in den letzten Jahren der Regierung Friedrich
Wilhelms IV. (nach dem Zeugnis Gneists) der
Mißbrauch herausgebildet, daß die ganze Verwal-
tung, selbst zuletzt die Bestätigung der Gemeinde-
beamten, die Genehmigung von Gast= und
Schankwirtschaften, die Erteilung von Pässen und
Bauscheinen usw. von der politischen Stellung
der Beteiligten abhängig gemacht wurde.
Dieser Mißbrauch wurde zuletzt nirgends tiefer
empfunden als in der preußischen Zentralregie-
rung selbst, und war einer der wesentlichsten Be-
weggründe für die Umgestaltung der inneren
Verwaltung, die mit dem Gesetzesentwurf vom
8. 10. 69 begann. Die Reform beruht (nach
Gneist) auf der eigensten Entschließung Bis-
marcks, der alsbald nach Beendigung des Kon-
flikts mit dem Abgeordnetenhaus die Umgestal-
tung mit allen Kräften in Angriff nahm und die
Selbstverwaltung und die damit zusammen-
hängende Verwerichtsbarkeit als das geeignete
Mittel erkannte, nachdem ein früheres Mittel,
die Erweiterung des Rechtsweges (N1, sich nicht
als geeignet erwiesen hatte. Zwei Entwürfe einer
Kreisordnung (/N)j| scheiterten, der zweite an dem
Widerstand des Herrenhauses, ein dritter wurde
erst mit Hilfe eines Pairsschubes durchgebracht.
Am 1. 1. 74 trat die Verw Gerichtsbarkeit in einer
Anzahl von Provinzen ins Leben.
Die Kr O v. 13. 12. 72 kannte zunächst nur 2
Instanzen, den Kreisausschuß und das VG, dem
zugleich die Befugnis der Deputation für das
Heimatwesen übertragen wurde. Das Verfahren
und die Zuständigkeit beider Instanzen wurde in
der KrO §§ 135, 140—166, 187—198 geregelt.
Es folgte das VGG v. 3. 7. 75, das zunächst die
dritte und Oberinstanz in der Form des OVG
schuf, die Verfassung und das Verfahren der 3
Instanzen und unter Aufhebung der Bestimmun-
gen der Kreisordnung neu regelte. Von dort aus
wurden diese Bestimmungen möglichst unver-
ändert in das zur Zeit noch geltende LV v.
30. 7. 83 übernommen, das schrittweise auf die
einzelnen westlichen Provinzen übertragen und
in Posen eingeführt wurde. Die Vorschriften
über die Zuständigkeit erlitten noch verschiedene
Umgestaltungen und wurden zuletzt im Zust G
v. 1. 8. 83 zusammengefaßt, sind aber seitdem
durch eine große Reihe von Sondergesetzen und
Verordnungen im ständigen Fluß geändert
worden, im Zusammenhang mit der Aenderung
und Entwicklung des materiellen Rechts, aber im
übrigen ziemlich grundsatzlos, da die Vorschriften
des Zuständigkeitsgesetzes bald in die neuen ma-
teriellen Gesetze übernommen und dadurch ersetzt
und aufgehoben, bald aber ausdrücklich in bezug
genommen und dadurch aufrecht erhalten wurden
(so werden selbst in dem sorgfältig gearbeiteten
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