Full text: Wörterbuch des Deutschen Staats- und Verwaltungsrechts. Dritter Band. O bis Z. (3)

  
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Verwaltungsgerichtsbarkeit (Preußen) 
  
4. Zuständigkeit. 
1 — sachliche Zuständigkeit im ein- 
zelnen Falle ist dahin geordnet, daß die 
höheren Behörden, Bezirksausschuß, Provinzial- 
rat und Ou#, sowohl zur Entscheidung von 
Rechtsmitteln gegen die untergeordneten, wie 
auch zur Rechtsprechung in erster Instanz be- 
rufen sind, ein Verhältnis, wie es z. B. auch 
zwischen Landgericht und Amtsgericht besteht. 
Die Zuständigkeit hängt teils von der Art des 
Anspruchs, teils von der Person der Beteiligten 
ab, aber niemals von dem Streitwert. Dieser 
hat im gegenwärtigen Recht überhaupt keinen 
Einfluß auf die Zulässigkeit des Verfahrens oder 
einer Instanz. 
Er soll aber nach der Novelle zum L V für die Revi- 
sion in Abgabensachen maßgebend sein, in denen in ersier 
Instanz die Kreisausschüsse oder die neu zu bildenden 
Kammern für Abgabensachen zuständig find. 
II. Die örtliche Zusständngreit ist 
dahin geregelt, daß in Angelegenheiten, welche 
sich auf Grundstücke beziehen, die Behörde der 
belegenen Sache, in anderen Sachen die Behörde 
des Bezirks, in dem der Betroffene (im Verw- 
Streitverfahren der Beklagte) seinen Wohnsitz 
hat, zuständig ist. Diese Vorschriften bedürfen 
einer weitgehenden ausdehnenden Auslegung, 
um praktisch brauchbar zu werden, und nament- 
lich das OV hat den Begriff der Angelegen- 
heiten, die sich auf Grundstücke beziehen, außer- 
ordentlich ausgedehnt. 
Die Novelle will diese Bestimmungen klarer stellen, aber 
nicht in sehr glücklicher Weise, da sie sogar zu dem Begriff 
des „räumlichen Bezirks einer privatrechtlichen Körperschaft, 
Stiftung oder Vermögensmasse“ Zuflucht nimmt. 
III. Die Bestimmung des zustän- 
digen Gerichts kann sowohl im Falle der 
Unsicherheit als auch bei persönlicher Beteiligung 
der von dem Kreisausschuß vertretenen Kreis- 
körperschaft erfolgen. 
Die Novelle will einige Berbesserungen bringen. 
Jedenfalls soll für jeden Streitfall und jede 
Angelegenheit nur eine Behörde zuständig sein, 
ein Wahlrecht der Beteiligten in keinem Falle 
stattfinden, eine Vereinbarung ist unzulässig, 
die Prüfung erfolgt von Amts we- 
gen. Nach geltendem Verfahren kann ein 
rechtsmittelsähiges Zwischenurteil über die Zu- 
ständigkeit erlassen werden (LVG ## 113 IV), 
das in Zukunft wegfallen soll. 
Dagegen ist die Anbringung der Klage oder 
eines anderen Rechtsbehelfes bei einer unzu- 
ständigen Behörde nicht immer schädlich, indem 
die angerufene Behörde die Eingabe ohne Zögern 
an die zuständige Behörde abliefern soll, in vielen 
Fällen sogar ausdrücklich vorgeschrieben ist, daß 
auch die Anbringung bei einer gewissen unzu- 
ständigen Behörde ausreicht, um die Sache an- 
hangig zu machen und die Frist zu wahren. 
Diese Fälle sollen in der Novelle noch erweitert werden. 
s5. Cbrigkeitliche Gewalt. Die VG sind 
Staatsgerichte, sie haben die obrigkeit- 
liche Gewalt öffentlicher Behörden mit der Be- 
fugnis, Eide abzunehmen, das Erscheinen von 
Zeugen und Sachverständigen zu erzwingen und 
den Ungehorsam zu bestrafen, und die Sitzungs- 
polizei auszunben. Einzelne Bestimmungen wei- 
chen, namentlich auch in bezug auf das Strafmaß, 
  
  
von denen des Zivilprozesses ab, doch wird die 
Novelle eine Ausgleichung bringen. 
Die Mitglieder der Gerichte unterliegen der 
Ausschließung und Ablehnung un- 
ter denselben Voraussetzungen wie im Zivilprozeß; 
nur ist das Verfahren anders und selbständig 
geordnet. Es gibt sogar die Ausschließung eines 
ganzen Gerichts, nämlich des Kreisausschu sses, 
wenn die von ihm vertretene Kreiskörperschaft 
selbst Partei ist, dann wird ein anderer Kreis= oder 
Stadtausschuß an seiner Stelle als zuständig 
bestimmt, dagegen werden Stadtausschuß und 
Gemeindevorstand in Schankkonzessionssachen als 
2 verschiedene Behörden behandelt, nur daß 
dieselben Personen nicht in derselben Angelegen- 
heit in beiden tätig sein dürfen. · 
Eine Gerichtsschreiberei ist selbst- 
verständlich überall vorhanden, aber der Ge- 
richtsschreiber hat eine viel geringere Selbständig- 
keit als bei den ordentlichen Gerichten, obgleich die 
Vorbildung der Sekretäre der Regierung und 
des OB, wohl auch der des Kreisausschusses 
nicht hinter der der Gerichtsschreiber zurücksteht. 
Daher hat der Vorsitzende eine Reihe von Ge- 
schäften zu besorgen, die im Zivilprozeß der 
GVebchteschreber seabständig ausführt. 
ie e äftssprache [F] ist die deut- 
sche im Sinne des G v. 28. 8. 5# st 
8 6. Die Parteien. Dem VerwStreitverfah- 
ren ist eigentümlich, daß es stets nur zwischen 
2 vollständig voneinander getrennten Parteien 
stattfinden kann. Wenn es an einer fehlt, so 
muß diese geschaffen werden durch Bestellung 
eines Kommissars für das öffentliche Interesse. 
Die Parteien können im Verwtreit- 
verfahren dieselbe Stellung haben, die sie ge- 
wöhnlich im Zivilprozeß haben, Geltendmachung 
subjektiver eigener Rechte nach eigenem Er- 
messen und mit der Befugnis, durch Anerkennung, 
Verzicht oder Vergleich darüber zu verfügen. 
Dieses Verfügungsrecht wird, wenn es im ma- 
teriellen Rechte begründet ist, auch im Streit- 
verfahren nicht vereitelt oder beschränkt, darüber 
besteht Einigkeit, auch bei den Vertretern der 
herrschenden Meinung, welche die geltende Pro- 
zeßmaxime als Offizialmaxime auffassen. 
Aber diese Parteien haben diese Stellung 
nicht immer. So gut wie der Staatsanwalt im 
Ehe-= und Kindschaftsprozeß als Be hörde 
kraft Amtspflicht, nicht in Wahrnehmung eines fub- 
jektiven Rechts, auftritt, so kann auch, und zwar 
in viel mehr Fällen, im Verw Streitverfahren 
eine Behörde kraft Amtspflicht auftreten. Diese 
sat keine Verfügung über den Streitgegenstand 
ie hat die ihr aufgenötigte Parteirolle (in der 
Regel Widerspruch gegen die Klage) bis zum 
Schluß des Verfahrens aufrecht zu erhalten. Der 
Beamte, der die Behörde vertritt, ist nicht be- 
fugt, seine eigene abweichende Meinung zur 
Geltung zu bringen, er kann sich aber auf inhalt- 
lose Erklärungen beschränken, wenn ihm nicht auch 
in dieser Beziehung eine besondere Anweisung 
gegeben wird. Eine solche Stellung hat stets der 
Kommissar zur Wahrnehmung des ö f- 
fentlichen Interesses, aber nicht nur dieser. 
Es beschließt z. B. die Bürgermeistereiversammlung 
eine Gehaltszulage für den Bürgermeister. Der Bürger- 
meister, dem die Zulage zugute kommen soll, wird ange- 
wiesen, den Beschluß zu beanstanden, weil nur der Kreisaus-
	        
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