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Verwaltungsgerichtsbarkeit (Preußen)
4. Zuständigkeit.
1 — sachliche Zuständigkeit im ein-
zelnen Falle ist dahin geordnet, daß die
höheren Behörden, Bezirksausschuß, Provinzial-
rat und Ou#, sowohl zur Entscheidung von
Rechtsmitteln gegen die untergeordneten, wie
auch zur Rechtsprechung in erster Instanz be-
rufen sind, ein Verhältnis, wie es z. B. auch
zwischen Landgericht und Amtsgericht besteht.
Die Zuständigkeit hängt teils von der Art des
Anspruchs, teils von der Person der Beteiligten
ab, aber niemals von dem Streitwert. Dieser
hat im gegenwärtigen Recht überhaupt keinen
Einfluß auf die Zulässigkeit des Verfahrens oder
einer Instanz.
Er soll aber nach der Novelle zum L V für die Revi-
sion in Abgabensachen maßgebend sein, in denen in ersier
Instanz die Kreisausschüsse oder die neu zu bildenden
Kammern für Abgabensachen zuständig find.
II. Die örtliche Zusständngreit ist
dahin geregelt, daß in Angelegenheiten, welche
sich auf Grundstücke beziehen, die Behörde der
belegenen Sache, in anderen Sachen die Behörde
des Bezirks, in dem der Betroffene (im Verw-
Streitverfahren der Beklagte) seinen Wohnsitz
hat, zuständig ist. Diese Vorschriften bedürfen
einer weitgehenden ausdehnenden Auslegung,
um praktisch brauchbar zu werden, und nament-
lich das OV hat den Begriff der Angelegen-
heiten, die sich auf Grundstücke beziehen, außer-
ordentlich ausgedehnt.
Die Novelle will diese Bestimmungen klarer stellen, aber
nicht in sehr glücklicher Weise, da sie sogar zu dem Begriff
des „räumlichen Bezirks einer privatrechtlichen Körperschaft,
Stiftung oder Vermögensmasse“ Zuflucht nimmt.
III. Die Bestimmung des zustän-
digen Gerichts kann sowohl im Falle der
Unsicherheit als auch bei persönlicher Beteiligung
der von dem Kreisausschuß vertretenen Kreis-
körperschaft erfolgen.
Die Novelle will einige Berbesserungen bringen.
Jedenfalls soll für jeden Streitfall und jede
Angelegenheit nur eine Behörde zuständig sein,
ein Wahlrecht der Beteiligten in keinem Falle
stattfinden, eine Vereinbarung ist unzulässig,
die Prüfung erfolgt von Amts we-
gen. Nach geltendem Verfahren kann ein
rechtsmittelsähiges Zwischenurteil über die Zu-
ständigkeit erlassen werden (LVG ## 113 IV),
das in Zukunft wegfallen soll.
Dagegen ist die Anbringung der Klage oder
eines anderen Rechtsbehelfes bei einer unzu-
ständigen Behörde nicht immer schädlich, indem
die angerufene Behörde die Eingabe ohne Zögern
an die zuständige Behörde abliefern soll, in vielen
Fällen sogar ausdrücklich vorgeschrieben ist, daß
auch die Anbringung bei einer gewissen unzu-
ständigen Behörde ausreicht, um die Sache an-
hangig zu machen und die Frist zu wahren.
Diese Fälle sollen in der Novelle noch erweitert werden.
s5. Cbrigkeitliche Gewalt. Die VG sind
Staatsgerichte, sie haben die obrigkeit-
liche Gewalt öffentlicher Behörden mit der Be-
fugnis, Eide abzunehmen, das Erscheinen von
Zeugen und Sachverständigen zu erzwingen und
den Ungehorsam zu bestrafen, und die Sitzungs-
polizei auszunben. Einzelne Bestimmungen wei-
chen, namentlich auch in bezug auf das Strafmaß,
von denen des Zivilprozesses ab, doch wird die
Novelle eine Ausgleichung bringen.
Die Mitglieder der Gerichte unterliegen der
Ausschließung und Ablehnung un-
ter denselben Voraussetzungen wie im Zivilprozeß;
nur ist das Verfahren anders und selbständig
geordnet. Es gibt sogar die Ausschließung eines
ganzen Gerichts, nämlich des Kreisausschu sses,
wenn die von ihm vertretene Kreiskörperschaft
selbst Partei ist, dann wird ein anderer Kreis= oder
Stadtausschuß an seiner Stelle als zuständig
bestimmt, dagegen werden Stadtausschuß und
Gemeindevorstand in Schankkonzessionssachen als
2 verschiedene Behörden behandelt, nur daß
dieselben Personen nicht in derselben Angelegen-
heit in beiden tätig sein dürfen. ·
Eine Gerichtsschreiberei ist selbst-
verständlich überall vorhanden, aber der Ge-
richtsschreiber hat eine viel geringere Selbständig-
keit als bei den ordentlichen Gerichten, obgleich die
Vorbildung der Sekretäre der Regierung und
des OB, wohl auch der des Kreisausschusses
nicht hinter der der Gerichtsschreiber zurücksteht.
Daher hat der Vorsitzende eine Reihe von Ge-
schäften zu besorgen, die im Zivilprozeß der
GVebchteschreber seabständig ausführt.
ie e äftssprache [F] ist die deut-
sche im Sinne des G v. 28. 8. 5# st
8 6. Die Parteien. Dem VerwStreitverfah-
ren ist eigentümlich, daß es stets nur zwischen
2 vollständig voneinander getrennten Parteien
stattfinden kann. Wenn es an einer fehlt, so
muß diese geschaffen werden durch Bestellung
eines Kommissars für das öffentliche Interesse.
Die Parteien können im Verwtreit-
verfahren dieselbe Stellung haben, die sie ge-
wöhnlich im Zivilprozeß haben, Geltendmachung
subjektiver eigener Rechte nach eigenem Er-
messen und mit der Befugnis, durch Anerkennung,
Verzicht oder Vergleich darüber zu verfügen.
Dieses Verfügungsrecht wird, wenn es im ma-
teriellen Rechte begründet ist, auch im Streit-
verfahren nicht vereitelt oder beschränkt, darüber
besteht Einigkeit, auch bei den Vertretern der
herrschenden Meinung, welche die geltende Pro-
zeßmaxime als Offizialmaxime auffassen.
Aber diese Parteien haben diese Stellung
nicht immer. So gut wie der Staatsanwalt im
Ehe-= und Kindschaftsprozeß als Be hörde
kraft Amtspflicht, nicht in Wahrnehmung eines fub-
jektiven Rechts, auftritt, so kann auch, und zwar
in viel mehr Fällen, im Verw Streitverfahren
eine Behörde kraft Amtspflicht auftreten. Diese
sat keine Verfügung über den Streitgegenstand
ie hat die ihr aufgenötigte Parteirolle (in der
Regel Widerspruch gegen die Klage) bis zum
Schluß des Verfahrens aufrecht zu erhalten. Der
Beamte, der die Behörde vertritt, ist nicht be-
fugt, seine eigene abweichende Meinung zur
Geltung zu bringen, er kann sich aber auf inhalt-
lose Erklärungen beschränken, wenn ihm nicht auch
in dieser Beziehung eine besondere Anweisung
gegeben wird. Eine solche Stellung hat stets der
Kommissar zur Wahrnehmung des ö f-
fentlichen Interesses, aber nicht nur dieser.
Es beschließt z. B. die Bürgermeistereiversammlung
eine Gehaltszulage für den Bürgermeister. Der Bürger-
meister, dem die Zulage zugute kommen soll, wird ange-
wiesen, den Beschluß zu beanstanden, weil nur der Kreisaus-