Verwaltungsgerichtsbarkeit (Preußen)
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schuß zuständig sei. Die Bersammlung klagt gegen den Bür-
germeister auf Aufhebung der Beanstandung. Dann hat der
Bürgermeister die Beanstandung gegen sein subiektives In-
teresse zu verteidigen und zu vertreten, durch so viele In-
stanzen, wie ihm von seiner Aussichtsbehörde aufgegeben wird.
Im Zusammenhang hiermit mag darauf hin-
gewiesen werden, daß die Versäumung
im Verw treitverfahren eine viel geringere Be-
deutung hat als im Zivilprozeß.
Abgesehen von der besonderen Stellung der Be-
hörden, die im Verw Streitverfahren viel mehr
ausgeprägt ist als im Zivilprozeß, gelten für die
Parteifähigkeit keine besonderen Vor-
schriften, sie richtet sich nach dem materiellen
Rechte. Dasselbe gilt von der Prozeß-
fähigkeit und von der Sachlegiti-
mation, wegen der zu erwähnen ist, daß eine
Popularklage dem Verwötreitverfahren nicht
unbekannt ist. Es kommt in gewissen Fällen
vor, daß jedes Mitglied eines gewissen Personen-
kreises eine Klage erheben kann, auch ohne ein
eigenes subjektives Interesse zu haben. Freilich
muß er in den meisten Fällen vorher einen Ein-
spruch bei der VerwBehörde erhoben haben
und mit diesem zurückgewiesen sein. Das gilt
z. B. bei Streitigkeiten über die Richtigkeit von
Wählerlisten und über Wahlen. In gewissen
Fällen kann auch ein und dasselbe Recht von
Mehreren geltend gemacht werden, ohne daß
eine eigentliche Popularklage vorliegt, z. B.
wenn eine VerwMaßregel sowohl von dem
unmittelbar Betroffenen als auch von einer
Behörde im öffentlichen Interesse angefochten
werden kann (näheres Mueller, Begriffe, 141, 142).
Der Begriff der Streitgenossenschaft
ist dem Verw Streitverfahren bekannt. Das CVG
kennt auch eine notwendige Streitgenossenschaft
und behandelt sie ebenso wie im Ziovilprozeß.
Vielfach ist eine Streitgenossenschaft ausdrücklich
im Gesetz als notwendig bezeichnet.
Diese Fälle werden in der Novelle zum LBVG noch ver-
mehrt, aber mit der Maßgabe, daß die Ausdehnung der Klage
auf einen Streitgenossen unter gewissen Umständen nachge-
holt werden kann.
Die Beteiligung Dritter am Rechtsstreit erfolgt
nicht durch Nebenintervention oder durch Streit-
verkündung, sondern nur durch Beiladung#),
die von dem VerwE von Amts wegen oder auf
Antrag (auch des Beizuladenden) verfügt werden
kann. Die Rechtsprechung des O# hat das
Institut der notwendigen Beiladung geschaffen,
namentlich ist bei Wahlstreitigkeiten die Bei-
ladung des Gewählten notwendig. Dieser not-
wendig Beigeladene kann Rechtsmittel einlegen
und überhaupt alle Rechte einer dritten Partei
wahrnehmen. Im übrigen haben das O##
und das Heimatamt der Vorschrift, daß die Ent-
scheidung auch dem Beigeladenen gegenüber
gültig sei, nur eine sehr beschränkte Anwendung
gegeben. Namentlich in bezug auf Rechtsmittel
ist die Stellung des Beigeladenen eine sehr un-
glückliche. Er kann Rechtsmittel einlegen, gilt
aber nur dann als zur Sache legitimiert, wenn
ein im Verwtreitverfahren geltend zu machen-
des Interesse desselben durch das angefochtene
1) Neuere Bearbeitung: Mohrmann, die Beiladung,
Diss. Göttingen, 1910; Schultzenstein, Verwrch
19, 1911, 1—42. (D. S.)
Urteil wirklich berührt wird, ein Fall, der abge-
sehen von der notwendigen Beiladung noch nie
festgestellt worden ist.
Die Novelle will dieser unglücklichen Stellung ein Ende
machen; sie hebt die Bestimmung, daß das Urteil dem Bei-
geladenen gegenüber gültig sei, auf, sie bestimmt ausdrücklich,
daß der Beigeladene nicht Partei sei und als Zeuge und
Sachverständiger vernommen werden kann. Der bisher
notwendig Beigeladene wird Hauptpartei, kann aber nach-
träglich auch nach Ablauf der Klagefrist hinzugezogen wer-
den. Der Beigeladene behält also für jedes spätere Ber-
fahren alle seine Rechtsbehelfe. Ob die so geordnete Bei-
ladung noch als Streitverkündung im Sinne BG # 200
II 4, ½ 215, 220 angesehen werden kann, mag späterer Er-
wägung vorbehalten bleiben.
Als dritte Partei kann auch der Vertreter
des öffentlichen Interesses in das
Verwtreitverfahren eintreten, etwa wie der
Staatsanwalt in Ehesachen, die zwischen den
beiden Ehegatten geführt werden. Der Ver-
treter des öffentlichen Interesses hat nur eine
Gutachtertätigkeit, und ist zur Einlegung von
Rechtsmitteln nicht befugt (LVG 5K 74 II). Da-
gegen kann der Vorsitzende gegen das Urteil
des Kollegiums ein Rechtsmittel im öffentlichen
Jutresse einlegen, das dann in der weiteren
nnstanz durch einen besonderen Kommissar ver-
treten wird (LVG F 84, 95).
Die Novelle will dieses ändern, indem das Rechtsmittel
durch den Vorsitzenden abgeschafft wird, und dagegen dem
Kommissar die Einlegung von Rechtsmitteln zugestanden
wird. Diese Aenderung bedeutet eine sehr viel wirksamere
Vertretung des öffentlichen Interesses als das bisherige
Recht sie hatte (vgl. Friedrichs im Verwüarch 6, 416).
Im Beschlußverfahren [XI kommt eine Mehr-
eit von Parteien nur ausnahmsweise vor. Die
egel ist der Kampf des einzelnen gegen das
öffentliche Interesse, das von der Behörde von
Amts wegen wahrzunehmen ist. In diese Klasse,
aber mit möglicher Beteiligung von entgegen-
esetzten subjektiven Interessen gehört das Ver-
ahren bei Genehmigung gewerblicher Anlagen.
Es gibt auch Beschlußverfahren, bei denen die
Mehrheit von Parteien wesentlich ist, diese
dienen dann aber regelmäßig nur zur Vorberei-
tung eines Verwtreitverfahrens oder des
Rechtsstreits im ordentlichen Rechtsweg, sodaß
oft keine Beschwerde an die höhere Beschluß-
behörde zulässig ist. Dahin gehören z. B. die
Auscinandersetzungen zwischen Gemeinden usw.
bei Gebietsveränderungen, Streitigkeiten zwi-
schen Gemeinden und ihren Beamten über deren
Vermögensansprüche us.
§ 7. Vertretung der Parteien. Die Parteien
können sich vertreten lassen. Das gilt auch für
öffentliche Behörden. (Auch diese können einen
Vertreter bestellen, und es ist nichts Ungewöhn-
liches, daß ein Rechtsanwalt als Vertreter einer
solchen erscheint.) Sie haben aber das besondere
Vorrecht, daß ihnen für die mündliche Verhand-
lung vor dem Bezirksausschuß und dem OVG
ein Beamter (Kommissar) als Vertreter be-
stellt werden kann (LVG K 74. Für gewisse
Kollegien ist ferner das Recht, einen besonderen
Vertreter zu bestellen, ausdrücklich ausgespro-
chen. Es handelt sich um Provinzial-Landtag,
Provinzialausschuß und Provinzialkommission
(Prov O # 118), den Kreistag (KrO #§ 180; Zust G
*l4), die Gemeindevertretung und den kollegiali-