Full text: Wörterbuch des Deutschen Staats- und Verwaltungsrechts. Dritter Band. O bis Z. (3)

  
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Verwaltungsgerichtsbarkeit (Bayern) 
  
Viehseuchen und über die Reblaus, dann über 
Flurbereinigungen, Erwerbs= und Wirtschafts- 
genossenschaften, über private Versicherungsunter- 
nehmungen, Zwangserziehung. 
Der VerwRechtsweg ist für den Vollzug der 
Gesetze über die Arbeiterversicherung INl beseitigt 
[J Versicherungsbehörden!l. 
Besondere Zuständigkeiten des Verwaltungs- 
gerichtshofs sind noch: 
1. Vorentscheidung über die Frage des amtlichen 
Verschuldens (oben § 3); 
2. schiedsrichterliche Entscheidung in zweiter 
Instanz (über der Kreisregierung, Kammer des 
Innern oder dem Bezirksamt) bei Auseinander- 
setzungen über Ortschafts-, Gemeinde-, Distrikts-, 
Kreis-, Kirchen-, Gemeinde= oder Schulvermögen 
und -Anstalten, wenn Aenderungen im Bestande 
der bezüglichen Verbände eintreten und sich die 
Beteiligten nicht einigen können. 
+5. Parteien und deren Vertretung; Staats- 
anwaltschaft. Der Verw#echtsstreit setzt wie 
jeder Rechtsstreit zwei streitende Teile voraus, 
die möglicher-, aber nicht notwendigerweise auch 
Prozeßparteien sind. Die Staatsgewalt als solche 
verzichtet in der Regel, wenn ein öffentlicher 
Rechtsstreit zwischen ihren Organen und einem 
einzelnen oder einer Körperschaft entsteht, auf 
die Rolle einer Partei im Prozesse. Eine Aus- 
nahme besteht nur für die Streitigkeiten vor den 
verwaltungsrechtlichen Senaten der RegFinanz- 
kammern. Hier ist die Staatsgewalt durch einen 
Staatsanwalt vertreten, der die Rechte einer 
Prozeßpartei hat. 
Eine völlig andere Stellung hat die Staats- 
anwaltschaft beim VGH. Sie vertritt die Staats- 
gewalt nicht als Prozeßpartei, sondern das „öffent- 
liche Interesse“ an einer richtigen und gleichmäßi- 
gen Rechtsprechung (a 4). 
Die Prozeßrollen von Kläger und Beklagtem 
sind für das verwaltungsgerichtliche Verfahren da, 
wo nur eine Prozeßpartei auftritt, gegenstandslos. 
Sie haben aber auch da, wo zwei Prozeßparteien 
vorhanden sind, keine erhebliche sachliche Bedeu- 
tung. Es gibt im verwaltungsgerichtlichen Pro- 
zesse keine Beweislast, sondern die Ermittlung der 
objektiven Wahrheit ist Aufgabe des Verwaltungs- 
richters. 
Das verwaltungsgerichtliche Verfahren kennt, 
abgesehen von den Verhandlungen des Kompetenz- 
senates beim VGH, keinen Anwaltszwang. 
#6. Leitende Grundsätze des Verfahrens. 
Die Prozeßparteien haben Anspruch auf rechtliches 
Gehör (a 27, 35, 41). Das Verfahren ist, von 
den Verw Untergerichten abgesehen, regelmäßig 
mündlich und öffentlich (a 33, 41; Ausnahmen 
Seydel-Piloty, Bayer. Staatsrecht? 1 #& 90). 
Im allgemeinen besteht für die Parteien kein 
Zwang zum Erscheinen bei Gericht. Es gibt kein 
Versäumnisurteil. Wenn Parteien nicht erschei- 
nen, gpird nach Lage der Sache erkannt (a 19, 27, 
35, 41). 
Der Satz, daß der Richter nur auf Anrufen 
tätig wird, gilt für das verwaltungsgerichtliche 
Verfahren dann nicht, wenn eine VerwBehörde, 
welche zugleich Verw ist, in ihrer ersteren Eigen- 
schaft aus Zweifel über ein Rechtsverhältnis stößt, 
deren Beseitigung ihre amtliche Pflicht und nur 
im VerwRechtswege möglich ist. Auch kann in 
solchem Falle die höhere Verw Behörde die Ein- 
  
leitung des verwaltungsrechtlichen Verfahrens an- 
ordnen. 
Die Verhandlungsmaxime ist auf das verwal- 
tungsgerichtliche Verfahren nicht anwendbar. 
Die Feststellung des Sachverhalts geschieht von 
Amts wegen (a 20). Die Verw G sind nicht auf 
das von den Beteiligten gebotene Beweismaterial 
beschränkt (a 27) und würdigen es nach freier 
Ueberzeugung (a 21 Abs 1). 
Die Sachinstruktion und Beweisaufnahme ge- 
schieht zunächst durch die Distriktsverwaltungs- 
behörde (a 31, 36, 40, 45). Beweismittel sind: 
Augenschein, Zeugen, Sachverständige, Urkunden 
(a 27 und Vollzugsvorschriften). 
Der Parteieneid ist im verwaltungsgerichtlichen 
Verfahren ausgeschlossen (a 20 Abs VII). 
Aus der Aufgabe des Verw, den wahren 
Sachverhalt, selbst im Gegensatze zu dem Partei- 
vorbringen, zu ermitteln, ergibt sich dessen Recht, 
unabhängig von den Parteianträgen die rechtlichen 
Folgerungen aus dem gefundenen Sachverhalte 
zu ziehen und denselben gemäß zu erkennen. 
. Entscheidungen, Rechtskraft, Rechtsmittel. 
I. Jeder Endbescheid, sowie jeder Zwischenbe- 
scheid, gegen welchen auf Grund besonderer gesetz- 
licher Bestimmung selbständig Beschwerde erhoben 
werden kann, ist mit Entscheidungsgründen zu ver- 
sehen. Beschwerdeinstanzen können auch auf die 
Entscheidungsgründe der Vorinstanzen verweisen. 
Mit jedem Endbescheid ist ein Beschluß über den 
Kostenpunkt (über die Prozeßkosten s. Seydel-Pilo- 
ty a. a. O. & 95) zu verbinden. Die Entscheidungen 
sind in schriftlicher Ausfertigung zuzustellen (a 21). 
II. Die Rechtskraft einer verwaltungsrecht- 
lichen Entscheidung erstreckt sich auf alles, was zur 
Entscheidung gestellt war, von der entscheidenden 
Behörde entschieden werden wollte und von der- 
selben entschieden worden ist. Das G v. 8. 8. 78 
enthält keine Bestimmung, durch welche die Rechts- 
kraft auf die Entscheidungsformel beschränkt würde. 
(Ueber Verhängung von Ordnungs= und Frivoli- 
tätsstrafen a 25, 40.) 
III. Das ordentliche Rechtsmittel des ver- 
waltungsgerichtlichen Verfahrens ist die Beschwerde 
(à 22, 25). Die Beschwerde kann sich sowohl 
auf Mängel des Verfahrens als auf den Inhalt der 
angefochtenen Entscheidung beziehen. Ein Unter- 
schied zwischen Berufung und Nichtigkeitsbeschwer- 
de besteht nicht. Das Gesetz enthält keine Be- 
stimmung darüber, daß und welche Mängel des 
Verfahrens Nichtigkeit desselben bewirken. Es 
begnügt sich mit der Bestimmung (a 14, 36, 41), 
daß die höhere Instanz „die Aufhebung des Ver- 
fahrens wegen wesentlicher Mängel desselben von 
der Zeit des eingetretenen Beschwerdegrundes 
an auch von Amts wegen aussprechen“ könne. 
Die Beschwerde frist beträgt, soferne nicht in 
einzelnen Gesetzen eine kürzere Frist bestimmt ist, 
vierzehn Tage. Diese Frist läuft nur für die Ein- 
legung der Beschwerde, nicht für deren Ausfüh- 
rung, da letztere keinen gesetzlich notwendigen Be- 
standteil der Beschwerde bildet. Die Beschwerden 
sind bei der ersten Instanz des Verw Rechtszuges 
in den Fällen, wo der VGH erste und letzte ver- 
waltungsrichterliche Instanz ist, bei derjenigen 
Verw Instanz einzulegen, welche die angefochtene 
Entscheidung erlassen hat. Die Einlegung bei 
einer unrichtigen Instanz ist nach Maßgabe der K. 
Deklaration v. 15. 6. 98 unschädlich.
	        
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