Verwaltungsgerichtsbarkeit (Elsaß-Lothringen)
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à 45 6 gehört überhaupt nicht hieher, da er
gewöhnliche Verwükte, keine Gerichtsbarkeit be-
trifft;a 4 &7 aber ist zweifellos weggefallen. Es
handelte sich dabei um eine aus den Wirren der
Revolutionszeit stammende Zuständigkeit über
Streitigkeiten wegen verkaufter Staats-
güter; man hatte diese aus politischen Gründen
den bürgerlichen Gerichten entzogen, die geneigt
schienen, die großen revolutionären Eigentums-
verschiebungen zurückzurevidieren. Die Bestim-
mung ist gegenstandslos geworden.
II. Zu diesen spärlichen und unsicheren Ueber-
bleibseln tritt aber nun eine Anzahl verein-
zelter Zuständigkeiten aus verschiede-
nen Verw Zweigen, welche die spätere französische
Gesetzgebung von Fall zu Fall geschaffen hat:
über Maßregeln der öffentlichen Forstverwaltung,
Maßregeln gegen ungesunde Wohnungen, Strei-
tigkeiten von Syndikatsgenossenschaften, über Ver-
teilung der Interkalarfrüchte.
Vor allem ist die neuere Landesgesetzgebung
sichtlich bestrebt, den Umfang der VN..Pfl wieder
zu erweitern durch Sonderzuweisungen. Es sind
drei Hauptgruppen von Zuständigkeiten, welche
dem Bezirksrat daraus erwachsen sind:
er entscheidet über Anfechtung von Wah-
len zu Bezirks-, Kreis= und Gemeindevertre-
tungen, wie zu den Gewerbegerichten; bis zur Ein-
führung der neuen Verfassung auch, in Abweichung
von dem sonst üblichen, über die angefochtene Gül-
tigkeit von Wahlen zur Landesvolksvertretung,
zum Landesausschuß (V v. 1. 10. 79 5 19);
gelegentlich der Einführung der Gewerbe-
ordnung hat die V v. 24. 12. 88 in einer
Reihe von Gewerbepolizeisachen einen Rechts-
weg zu ihm eröffnet;
die Gemeindeordnung v. 6. 7. 95
6 70 ebenso in verschiedenen Gemeindeverwaltungs-
angelegenheiten.
§s 4. Zuständigkeit des Kaiserlichen Rates.
Der Kaiserliche Rat ist ursprünglich nur gedacht
als zweite Instanz über dem Bezirksrat
(G v. 30. 12. 71 J 8 Abs 1). Diese Zuständigkeit
besteht fort und ist nur dann ausgeschlossen, wenn
das Gesetz eine Entscheidung des Bezirksrates für
endgültig erklärt (V v. 24. 12. 88 §5 25 Abs 2).
Dazu sind aber nach und nach gewisse unmit-
telbare Zuständigkeiten des Kaiser-
lichen Rates gekommen: in Gewerbepolizeisachen
für Rekurse gegen Verfügungen des Bezirkspräsi-
denten (V v. 24. 12. 88 §58 6 Abs 1, 5 13 Abs la,
#§ 16 Abs 2 und 3, 519, 5 21 Abs 1), in Wasser-
nutzungsfragen (G v. 2. 7. 91, V v. 1. 2.92 5 4),
in Strafsachen der Verkehrssteuerverwaltung (G
v. 15. 11. 04).
Besonders wichtig ist die Bestimmung des G
v. 13. 6. 98 §+ 2, wonach durch Kaiserliche Verord-
nung die Zuständigkeit des Kaiserlichen Rates er-
weitert werden kann, so daß die Rückgängig-
machung nur durch Gesetz möglich ist. Auf Grund
dieser Bestimmung ist die V v. 22. 9. 02 ergangen,
welche dem Kaiserlichen Rat eine unmittelbare
Zuständigkeit verleiht über Rekurse gegen Ver-
fügungen des Bezirkspräsidenten in Kirchhofs-
sachen, Baupolizeisachen, sanitätspolizeilichen Ge-
meindeangelegenheiten, Wahl= und Schulange-
legenheiten sowie über solche Wahlreklamationen,
die dem Bezirksrat nicht überwiesen sind. Dabei
ist in mehreren dieser Sachen durch § 4 der V
die Zuständigkeit des Kaiserlichen Rates auf den
Fall beschränkt, daß eine Verletzung des geltenden
Rechts behauptet wird. Darin liegen die An-
fänge einer obersten Verwaltungs=
rechtspflege zur Nachprüfung im
Rechtspunkt (Rechtskontrolle). Vgl jedoch
RZ 32, 107.
5. Verfahren. Die Regelung des Verfahrens
war durch G v. 30. 12. 71 88 und 8 13 dem
Reichskanzler überlassen worden. Die V v. 1.
9. 72 und die V v. 22. 2. 73 waren nach dem Vor-
bild der älteren preußischen Zivilprozeßgesetze er-
gangen. Die Verordnung des Statthalters v. 23.
3. 89 hat das Verfahren mehr mit den Grund-
bien der neuen deutschen 8PO in Einklang ge-
racht.
Die Klage ist beim Bezirksrat schriftlich
einzureichen und zwar, wenn es sich um Rekurs
gegen eine behördliche Verfügung handelt, inner-
halb einer Notfrist von einem Monat von der
Eröffnung der Verfügung ab; in Gewerbepolizei-
sachen beträgt die Frist 14 Tage (V v. 23. 3. 89
520, V v. 24. 12. 88 §5 24). Ein vom Vorsitzenden
ernannter Berichterstatter leitet die Instruktion,
behufs welcher zwischen den Parteien ein Schrif-
tenwechsel stattfindet. Nach Beendigung dieses
" Verfahrens wird Termin zur mündlichen Ver-
handlung anberaumt. Die Parteien werden von
Amts wegen vorgeladen und können persönlich
oder durch einen Vertreter erscheinen. Zur Wah-
rung des öffentlichen Interesses kann der Bezirks-
präsident einen besonderen Kommissar für die
Sache bestellen, welcher in der mündlichen Ver-
handlung mit seinen Ausführungen und Anträgen
zu hören ist. Die Verhandlung beginnt mit einem
Vortrag des Berichterstatters; dann erhält die
Partei das Wort. Beim Ausbleiben einer Partei
können die von der etwaigen Gegenpartei vorge-
brachten Tatsachen für erwiesen erachtet werden.
Wird eine Beweisaufnahme angeordnet, so ist
sie von Amts wegen zu betreiben.
Der Rekurs an den Kaiserlichen Rat ist nur
gegen Endurteil zulässig und muß binnen einer
Notfrist von 30 Tagen von der Zustellung ab er-
hoben werden. Aufschiebende Wirkung hat er
nur, wenn er innerhalb der ersten 10 Tage dieser
Frist erhoben wird. Die Form ist die Einreichung
einer Rekursschrift beim Bezirksrat.
Das Verfahren vor dem Kaiserlichen
Rat ist im wesentlichen dasselbe, wie vor dem
Bezirksrat. Der mit der Wahrung des öffent-
lichen Interesses beauftragte besondere Kommissar
wird vom Ministerium bestellt, welchem auch in
jeder Sache vor der Terminsbestimmung die
Akten vorzulegen sind.
Literatur: Otto Mayer, Theorie des franz.
Verwechts, 1886, 87 ff; Leoni, Das Verfecht von
Elsaß-Lothringen, 1892, 118 ff; Rosenberg, Reform
der Verwaltungsgerichtsbarkeit in Elsaß Lothringen (An-
nalen 1906, 811); Bruck, Verfassungs= und Verwhecht
von Elsaß--Lothringen, 1908 und 1910, 1 158 ff, III 284 ff;
Fischbach, Das öffentliche Recht des Reichslandes Elsaß-
Lothringen, 1914 1 109.
Otto Mader.