Full text: Wörterbuch des Deutschen Staats- und Verwaltungsrechts. Dritter Band. O bis Z. (3)

  
820 
Viehversicherung 
  
Indem einerseits das Gesetz den Pol Behörden die 
weitgehendsten Vollmachten zur Abwehr und 
Unterdrückung der genannten Seuchen, insbeson- 
dere auch zur Tötung von erkrankten und verdäch- 
tigen Tieren an die Hand gibt, wahrt es anderer- 
seits die Interessen der Viehbesitzer dadurch, daß es 
ihnen Entschädigung in Aussicht stellt. Nach § 67 
des Rö wird Bestimmung darüber, von wem die 
Entschädigungen zu gewähren und wie dieselben 
aufzubringen sind, von den Einzelstaaten getroffen. 
Insbesondere können den Viehbesitzern Beiträge 
auferlegt werden. 
Während andere deutsche Staaten von dieser 
Zwangsversicherung Gebrauch machten, wurde 
in Bayern durch die Landesgesetzgebung 
bestimmt, daß die Entschädigung, die nach 
dem Viehseuchengesetze zu gewähren ist, von der 
Staatskasse zu tragen ist (G v. 13. 8. 10). In 
Fällen der Rinderpest fließt die Entschädigung 
aus der Reichskasse (R v. 7. 4. 69). In Bayern 
muß demnach die Gesamtheit der Steuerzahler 
für die Entschädigungen aufkommen. Zugunsten 
ieses Verfahrens wurde die Einfachheit und 
Billigkeit der Verwaltung und das mehr oder 
minder beteiligte Interesse der Allgemeinheit gel- 
tend gemacht. 
In Preußen werden die Entschädigungen 
teils von den Provinzial- bezw. Kommunalver= 
bänden, teils von der Staatskasse aufgebracht. 
Die Regierung nahm bisher den Standpunkt ein, 
daß sich die besondere gesetzliche Regelun!d des 
V.Wesens nicht empfehle, daß aber die landwirt- 
schaftliche Verwaltung auf weitere Ausbildung der 
V., namentlich auf die Gründung von Kreis- 
und Rückversicherungsvereinen und auf eine ge- 
regelte Geschäftsführung bei den kleinen lokalen 
V. Vereinen hinwirken solle. 
Im Königreich Sachsen besteht seit 1. Juni 
1900 eine staatliche Schlacht V. Anstalt. Die Ver- 
sicherung ist obligatorisch für sächsisches Rindvieh 
und Schweine. Seit 1. 1. 13 besteht in Sachsen 
ferner auch noch eine auf Freiwilligkeit beruhende 
Anstalt für staatliche V., der zurzeit 7 Pferdever- 
sicherungsvereine angehören. 
In Württemberg sind etwa 900 Orts- 
V. Vereine vorhanden. Der Gedanke einer Zu- 
sammenfassung dieser Vereine trat auch hier her- 
vor. Es wurde indessen auf Befürwortung der 
Zentralstelle für Landwirtschaft beschlossen, vor- 
erst noch eine zuwartende Stellung einzunehmen 
un von einem legislatorischen Vorgehen abzu- 
ehen. 
Im Großherzogtum Hessen, wo 1906 etwa 
300 Ortsvereine bestanden, im Großherzogtum 
Mecklenburg und im Großherzogtum Sach- 
sen = Weimar ist der Gedanke einer staatlich 
geleiteten öffentlichen V. mehrfach hervorgetreten. 
In Elsaß-Lothringer besteht seit 1896 
ein Verband der öffentlichen V. Vereine, dem 
1912: 5 Kreis= und 106 Orts V. Vereine angehörten. 
In Koburg besteht seit 1899 eine Landes- 
V. Anstalt nach bayerischem Muster, in Schwarz- 
burg---Sondershausen, Reuß j. und 
ä. Linie eine Schlachtviehversicherung. 
In Oesterreich bestehen Landesviehversicherungs- 
anstalten, die von den Kronländern errichtet wurden und 
aufs Freiwilligkeit und Gegenseitigkeit beruhen, in Nieder- 
öfterreich seit 1898, in Oberösterreich seit 1902, in Mähren 
leit 1901, in Kärnten seit 1900, in Tirol seit 1908. 
  
In der Schweiz ist das genossenschaftliche B. Weisen 
in der Form von kantonalen und lokalen Bersicherungs- 
vereinen entwickelt. Mit Rücksicht auf die hohe wirtschaftliche 
Bedeutung der Biehzucht in der Schweiz hat das Bundeso 
v. 22. 12. 93 eine Unterstützung der Bestrebungen der Kan- 
tone zur Durchführung einer allgemeinen B. in Aussicht 
genommen und zu diesem Zwecke die Gewährung von 
Bundesbeiträgen an diejenigen Kantone vorgesehen, welche 
die obligatorische B. im ganzen Kantonsgebiet oder in ein- 
belnen Teilen desselben ins Leben rufen und unterstüten. 
In Belgien ist die allgemeine Bersicherung für die 
landwirtschaftlichen Haustiere in den Provinzen West- 
flandern, Lüttich und Antwerpen eingeführt. 
In Frankreich bestehen über 7000 Ortsvereine, 
die durch Beihilfen des Staates unterstützt werden und 
sich zu Rückversicherungsverbänden vereinigt haben. 
In Bulgarien besteht eine nach dem bayer. Muster 
eingerichtete B. Anstalt. 
éa#6. Organisation der Biehversicherung in 
Baden. In Baden wurde der erste Versuch 
gemacht, das V.Wesen gesetzlich zu regeln und 
hierbei zweckmäßig der Staatsverwaltung und 
den Gemeindebehörden einen angemessenen 
Einfluß einzuräumen. Das V. G v. 26. 7. 90, 
in der Fassung des G v. 26. 9. 10, sieht fol- 
gende Organisation des V.-Wesens vor: 
Den Unterbau bilden die durch Mehrheitsbe- 
schluß gebildeten Orts-Versicherungs- 
anstalten, in denen das gesamte in der Ge- 
meinde dauernd eingestellte Vieh gegen durch Um- 
stehen oder Notschlachtungen veranlaßte Verluste 
versichert ist. Die Voraussetzung der Errichtung 
einer solchen Anstalt ist die Stellung eines Antrages 
und die Vereinigung der Mehrheit der Tierbesitzer 
auf diesen Antrag. Die Zustimmung der Viehbe- 
sitzer ist gegeben, wenn mehr als 8 der zur Ab- 
stimmung erschienenen Besitzer von dauernd in 
der Gemeinde eingestelltem Rindvieh dem Antrag 
auf Errichtung der Anstalt beistimmt. Hiernach ist 
das Zwangsprinzip eingeführt. Die Orts V.= 
Anstalt wird vom Gemeinderat errichtet und hat 
den Charakter einer Gemeindeanstalt. Es wird 
zu ihrer Errichtung die Genehmigung der Verw- 
Behörde erfordert. Daneben können auch frei- 
willig errichtete Ortsvereine am Landesverband 
teilnehmen. Alle versicherungstechnischen Einrich- 
tungen der Orts-Versicherungsanstalten sind im 
Gesetze geregelt und der Beschlußfassung der Ein- 
zelanstalten entzogen. 
Die Orts V. Anstalten werden zum Zweck ge- 
meinsamer Schadentragung zu einem Verband 
(Versicherungsverband) mit der Wir- 
kung vereinigt, daß der einzelnen Anstalt von der 
durch sie zu leistenden Entschädigungssumme die 
Hälfte zur Last bleibt und die andere Hälfte auf 
alle zum Verband gehörigen Anstalten nach Maß- 
gabe des Durchschnitts des auf Grund der Jahres- 
Lühauen festgesetzten Versicherungswerts umzulegen 
ind. 
Die Beziehungen zwischen dem Verbande 
und den Einzelanstalten sind durch das Gesetz 
genau geregelt. Mit Rücksicht auf die Gemein- 
nützigkeit der Einrichtung hat das Gesetz derselben 
mehrfach Erleichterungen und staatliche Förderung 
zugesichert. Zunächst wurde für die Verfügungen 
der Staatsbehörden Sportelfreiheit eingeräumt 
und die Einziehung der Beiträge durch Vermitt- 
lung der staatlichen Kassen eingeräumt. Außerdem 
wurde dem Reservefonds ein Kapital von 200 000
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.