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Viehversicherung
Indem einerseits das Gesetz den Pol Behörden die
weitgehendsten Vollmachten zur Abwehr und
Unterdrückung der genannten Seuchen, insbeson-
dere auch zur Tötung von erkrankten und verdäch-
tigen Tieren an die Hand gibt, wahrt es anderer-
seits die Interessen der Viehbesitzer dadurch, daß es
ihnen Entschädigung in Aussicht stellt. Nach § 67
des Rö wird Bestimmung darüber, von wem die
Entschädigungen zu gewähren und wie dieselben
aufzubringen sind, von den Einzelstaaten getroffen.
Insbesondere können den Viehbesitzern Beiträge
auferlegt werden.
Während andere deutsche Staaten von dieser
Zwangsversicherung Gebrauch machten, wurde
in Bayern durch die Landesgesetzgebung
bestimmt, daß die Entschädigung, die nach
dem Viehseuchengesetze zu gewähren ist, von der
Staatskasse zu tragen ist (G v. 13. 8. 10). In
Fällen der Rinderpest fließt die Entschädigung
aus der Reichskasse (R v. 7. 4. 69). In Bayern
muß demnach die Gesamtheit der Steuerzahler
für die Entschädigungen aufkommen. Zugunsten
ieses Verfahrens wurde die Einfachheit und
Billigkeit der Verwaltung und das mehr oder
minder beteiligte Interesse der Allgemeinheit gel-
tend gemacht.
In Preußen werden die Entschädigungen
teils von den Provinzial- bezw. Kommunalver=
bänden, teils von der Staatskasse aufgebracht.
Die Regierung nahm bisher den Standpunkt ein,
daß sich die besondere gesetzliche Regelun!d des
V.Wesens nicht empfehle, daß aber die landwirt-
schaftliche Verwaltung auf weitere Ausbildung der
V., namentlich auf die Gründung von Kreis-
und Rückversicherungsvereinen und auf eine ge-
regelte Geschäftsführung bei den kleinen lokalen
V. Vereinen hinwirken solle.
Im Königreich Sachsen besteht seit 1. Juni
1900 eine staatliche Schlacht V. Anstalt. Die Ver-
sicherung ist obligatorisch für sächsisches Rindvieh
und Schweine. Seit 1. 1. 13 besteht in Sachsen
ferner auch noch eine auf Freiwilligkeit beruhende
Anstalt für staatliche V., der zurzeit 7 Pferdever-
sicherungsvereine angehören.
In Württemberg sind etwa 900 Orts-
V. Vereine vorhanden. Der Gedanke einer Zu-
sammenfassung dieser Vereine trat auch hier her-
vor. Es wurde indessen auf Befürwortung der
Zentralstelle für Landwirtschaft beschlossen, vor-
erst noch eine zuwartende Stellung einzunehmen
un von einem legislatorischen Vorgehen abzu-
ehen.
Im Großherzogtum Hessen, wo 1906 etwa
300 Ortsvereine bestanden, im Großherzogtum
Mecklenburg und im Großherzogtum Sach-
sen = Weimar ist der Gedanke einer staatlich
geleiteten öffentlichen V. mehrfach hervorgetreten.
In Elsaß-Lothringer besteht seit 1896
ein Verband der öffentlichen V. Vereine, dem
1912: 5 Kreis= und 106 Orts V. Vereine angehörten.
In Koburg besteht seit 1899 eine Landes-
V. Anstalt nach bayerischem Muster, in Schwarz-
burg---Sondershausen, Reuß j. und
ä. Linie eine Schlachtviehversicherung.
In Oesterreich bestehen Landesviehversicherungs-
anstalten, die von den Kronländern errichtet wurden und
aufs Freiwilligkeit und Gegenseitigkeit beruhen, in Nieder-
öfterreich seit 1898, in Oberösterreich seit 1902, in Mähren
leit 1901, in Kärnten seit 1900, in Tirol seit 1908.
In der Schweiz ist das genossenschaftliche B. Weisen
in der Form von kantonalen und lokalen Bersicherungs-
vereinen entwickelt. Mit Rücksicht auf die hohe wirtschaftliche
Bedeutung der Biehzucht in der Schweiz hat das Bundeso
v. 22. 12. 93 eine Unterstützung der Bestrebungen der Kan-
tone zur Durchführung einer allgemeinen B. in Aussicht
genommen und zu diesem Zwecke die Gewährung von
Bundesbeiträgen an diejenigen Kantone vorgesehen, welche
die obligatorische B. im ganzen Kantonsgebiet oder in ein-
belnen Teilen desselben ins Leben rufen und unterstüten.
In Belgien ist die allgemeine Bersicherung für die
landwirtschaftlichen Haustiere in den Provinzen West-
flandern, Lüttich und Antwerpen eingeführt.
In Frankreich bestehen über 7000 Ortsvereine,
die durch Beihilfen des Staates unterstützt werden und
sich zu Rückversicherungsverbänden vereinigt haben.
In Bulgarien besteht eine nach dem bayer. Muster
eingerichtete B. Anstalt.
éa#6. Organisation der Biehversicherung in
Baden. In Baden wurde der erste Versuch
gemacht, das V.Wesen gesetzlich zu regeln und
hierbei zweckmäßig der Staatsverwaltung und
den Gemeindebehörden einen angemessenen
Einfluß einzuräumen. Das V. G v. 26. 7. 90,
in der Fassung des G v. 26. 9. 10, sieht fol-
gende Organisation des V.-Wesens vor:
Den Unterbau bilden die durch Mehrheitsbe-
schluß gebildeten Orts-Versicherungs-
anstalten, in denen das gesamte in der Ge-
meinde dauernd eingestellte Vieh gegen durch Um-
stehen oder Notschlachtungen veranlaßte Verluste
versichert ist. Die Voraussetzung der Errichtung
einer solchen Anstalt ist die Stellung eines Antrages
und die Vereinigung der Mehrheit der Tierbesitzer
auf diesen Antrag. Die Zustimmung der Viehbe-
sitzer ist gegeben, wenn mehr als 8 der zur Ab-
stimmung erschienenen Besitzer von dauernd in
der Gemeinde eingestelltem Rindvieh dem Antrag
auf Errichtung der Anstalt beistimmt. Hiernach ist
das Zwangsprinzip eingeführt. Die Orts V.=
Anstalt wird vom Gemeinderat errichtet und hat
den Charakter einer Gemeindeanstalt. Es wird
zu ihrer Errichtung die Genehmigung der Verw-
Behörde erfordert. Daneben können auch frei-
willig errichtete Ortsvereine am Landesverband
teilnehmen. Alle versicherungstechnischen Einrich-
tungen der Orts-Versicherungsanstalten sind im
Gesetze geregelt und der Beschlußfassung der Ein-
zelanstalten entzogen.
Die Orts V. Anstalten werden zum Zweck ge-
meinsamer Schadentragung zu einem Verband
(Versicherungsverband) mit der Wir-
kung vereinigt, daß der einzelnen Anstalt von der
durch sie zu leistenden Entschädigungssumme die
Hälfte zur Last bleibt und die andere Hälfte auf
alle zum Verband gehörigen Anstalten nach Maß-
gabe des Durchschnitts des auf Grund der Jahres-
Lühauen festgesetzten Versicherungswerts umzulegen
ind.
Die Beziehungen zwischen dem Verbande
und den Einzelanstalten sind durch das Gesetz
genau geregelt. Mit Rücksicht auf die Gemein-
nützigkeit der Einrichtung hat das Gesetz derselben
mehrfach Erleichterungen und staatliche Förderung
zugesichert. Zunächst wurde für die Verfügungen
der Staatsbehörden Sportelfreiheit eingeräumt
und die Einziehung der Beiträge durch Vermitt-
lung der staatlichen Kassen eingeräumt. Außerdem
wurde dem Reservefonds ein Kapital von 200 000