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dem Vorflutrechte zu trennen. Der allgemeine
Inhalt des Rechtes auf V. geht dahin, daß der
Eigentümer des tiefer gelegenen Grundstücks den
durch die Bodenverhältnisse gegebenen Ablauf des
Wassers von den höher gelegenen Grundstücken
sich gefallen lassen und, soweit es sich um die V. in
Wanszerläufen handelt, diejenigen Hindernisse des
Ablaufs beseitigen muß, die auf seinem Grund
und Boden durch die natürliche Veränderung der
Wasserläufe entstehen. Das römische Recht hat
besondere Bestimmungen nur für die V. in bezug
auf Schnee= und Regenwasser gegeben (Dig.
39, 3). Diesen Vorschriften unterliegen aber auch
solche Gewässer, die durch atmosphärische Nieder-
schläge angeschwollen und in ihrem Laufe oder
ihrer Ausdehnung beeinflußt sind (1I. 1 pr. 88 2,
15, 16, 17 Dig. h. t.). In Deutschland wirkt die
natürliche Bodennässe in weit größerem Umfange
kulturschädlich als in Italien. Infolgedessen hat
die moderne Gesetzgebung das Recht der V. weiter
ausgebildet und zum Teil unter polizeilichen
Schutz gestellt.
Die Gesetzgebung über die V. war in Preußen
nur für die landrechtlichen Gebietsteile eine ein-
heitliche. Die einschlägigen Bestimmungen sind
außer im ALR in 99—116 I, 8 in dem V.=
Edikt v. 15. 11. 1811 und im Privatfluß G v. 28. 2.
43 enthalten. Die im Jahre 1866 hinzugekom-
menen Provinzen hatten durchweg ihr früheres
Recht behalten. Das Wasser G v. 7. 4. 13 schafft
für die Monarchie im wesentlichen einheitliches
Recht, val. jedoch nachstehend 2.
§ 2. Die Vorflut bei dem wild ablaufenden
Wasser. Das römische Recht und die neueren Ge-
setzbücher verpflichten den Besitzer des tiefer lie-
genden Grundstücks zur Aufnahme desjenigen
wilden Wassers, das vermöge des natürlichen Ge-
fälls von dem höher belegenen Grundstück ab-
fließt. Der oberhalb liegende „Besitzer darf aber
diese Pflicht nicht durch künstlich beschleunigte oder
vermehrte Zuführung des Wassers erschweren
(Dig. 39, 3; bayer. Wasser Ga#17; württ. Wasser G
à 6; sächs. Wasser G §§ 11, 12; bad. Wasser G § 11).
Das rheinische Recht steht auf demselben Stand-
punkte (Cocke oivil a 640). Noch weiter gehen
in der Verpflichtung des Unterliegers die in
Schleswig-Holstein geltenden Partikulargesetze
(schlesw. provisor. Verf v. 6. 9. 63 56.2; holstein.
Wasserlösungs O v. 16. 7. 57 § 1). Dem oberhalb
liegenden Besitzer ist aber nicht jede Einwirkung
auf die Gestaltung des Wasserablaufs untersagt.
Schon das römische Recht gestattete ihm, gewöhn-
liche Wasserfurchen zu ziehen (opus, quod agri
colendi — frumenti quserendi — causa aratro
fit — 1. 1 §3 3 Dig. bh. t.), und das gleiche wird
auch im modernen Rechte anzunepmen sein
(Nieberding, S 91, 60; vgl. auch sächs. Wasser G
5 12 Abs 2). Wenn sich der vorhandene Ablauf
des wild abfließenden Wassers durch natürliche
Ereignisse ändert, hat der Grundeigentümer, dem
die Veränderung zum Nachteile gereicht, diesen
zu tragen. Eine vielumstrittene Meinung (vgl.
Windscheid, Pandekten # 169) gesteht ihm nach
gemeinem Rechte die Befugnis zu, den früheren
Zustand wieder herzustellen. Die Wassergesetze
für Bayern (a 17 Abs 3), Württemberg (a 6 Abs 2)
und Sachsen (* 13) haben eine dahingehende Be-
stimmung ausgenommen, doch haftet der Wieder-
hersteller für den entstehenden Schaden.
Vorflut
Anders war die Rechtslage im Gebiete des
ALR. Danach ist der Unterlieger zur Aufnahme
des ihm wild zufließenden Wassers grundsätzlich
nicht verpflichtet. Er kann sich vielmehr dagegen
durch Anlagen auf seinem Grundstücke schützen
(ALe 1, 8 # 102) und braucht es nur dann auf-
zunehmen, wenn der Oberlieger es durch Ver-
anstaltungen auf eigenem Grund und Boden
nicht abführen kann (s 103) und es ihm selbst
nicht etwa durch natürliche Hindernisse unmöglich
wird, das Wasser weiter abzuleiten (§# 104, 105).
Das preußische Wassergesetz von
1913 hat sich in ös 198, 330 den landrechtlichen
Vorschriften angeschlossen. Jedoch ist durch den
im Landtage hinzugefügten Abs 2 des §s 198
für gewisse Gebietsteile, namentlich des bis-
herigen französischen und gemeinen Rechts der
frühere gemeinrechtliche Grundsatz aufrecht er-
halten worden.
Im übrigen Be= und Entwässerung.
& 3. Die Vorflut bei Gräben und Privat-=
flüssen. Bei den natürlich vorhandenen oder
künstlich angelegten nicht-öffentlichen Wasserläufen
geht der Inhalt des Vorflutrechts zunächst darauf,
daß niemand an oder in den Wasserläufen etwas
vornehmen darf, wodurch der natürliche Abfluß
zum Nachteile des oberhalb Liegenden gehemmt
wird (I. 1 Dig. 43, 13 und wegen der Privatge-
wässer Endemann, Wasserrecht, 57 ff; preuß. Was-
serG #§ 41; bayer. Wasser G a 38; württ. Wasser G
à22, 6; sächs. Wasser G 12, 82; bad. Wasser G's I1;
hess. G v. 30. 7. 87 in der Fassung der Bek v.
20. 9. 99 a 106; els. lothr. G v. 2. 7. 91 § 91, 3:
wegen des rheinischen Rechtes Nieberding, S 97.
122). Eine weitere Verpflichtung des Besitzers
besteht darin, die natürlichen Abflußhindernisse
zu beseitigen, die durch Verschlammen, Verwach-
sen, Versanden des Wasserlaufs und den Abbruch
der Ufer entstehen. Diese Verpflichtung zur
Räumung ist dem rômischen Rechte unbe-
kannt. Dieses verpflichtet den unterhalb Liegen-
den nur, dem Besitzer des höheren Grundstücks
das Betreten seines Grundstücks und die Reini-
gung des Wasserlaufs gegen Entschädigung zu
gestatten. Die übrigen Gesetzgebungen enthalten
zum Teil keritergehende t Destimmungen. wobei
zwischen natürlichen und künstlichen Wa ã
zu Huntescheiden i stich sserlaufen
Für die natürlichen Wasserläufe erledi
sich die Frage wegen der Räumungspflicht diet
denjenigen Staaten, in welchen die Unterhaltung
der Gewässer allgemein gesetzlich geregelt ist
wie in Preußen, Bayern, Sachsen, Baden, Hessen,
öiut dätssiner Ddem bie- Unterhaltung be-
greift die Räumung in sich. Gewässer
berhaltung) sawwie #kaseerrecht sser (A. Un
ie nstli hergestellten Gräbe
Kanäle und die künstlichen Wasserläufe überbeund
sind im Gebiete des preußischen Wasser-
gesetzes von dem Eigentümer und, wenn dieser
nicht zu ermitteln, von dem Anlieger zu unter-
halten (Is 115, 1). Nach dem ba yerischen
Wassergesetz gehören die Kanäle und Gräben zu den
geschlossenen Gewässern und stehen im Eigen-
tume des Grundbesitzers (a 16). Dieser kann von
der Verw Behörde aus Rücksichten des Gemein-
wohls zur Instandhaltung angehalten werden
(a 107). In Sachsen liegt bei künstlichen
Wasserläufen, in denen Wasser aus einem fließen-