Full text: Wörterbuch des Deutschen Staats- und Verwaltungsrechts. Dritter Band. O bis Z. (3)

  
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Wahlrecht (Klassenwahl) 
  
Deutschland außer bei den Wahlen zum deutschen 
Reichstag vor allem im deutschen Süden: Bayern, 
Satemkern Baden, Elsaß-Lothringen, Koburg- 
Gotha. 
Alle übrigen Bundesstaaten haben ungleiche 
Wahlrechte. 
III. Pluralwahlrecht besteht im Kö- 
nigreich Sachsen, Hessen, Oldenburg und Reuß 
j. L. (hier gemischt mit Klassenwahlsystem). Am 
einfachsten gestaltet ist das Pluralwahlrecht in 
Hessen und Oldenburg. In Hessen hat jeder Wäh- 
ler 1 Stimme; wer das 50. Lebensjahr zurück- 
elegt hat, darf 2 Stimmen abgeben; in Olden- 
urg hat ebenfalls jeder Wähler 1 Stimme; 
2 Stimmen hat, wer zur Zeit der Wahl das 40. 
Lebensjahr vollendet hat. Komplizierter gestaltet 
ist das Pluralwahlrecht im Königreich Sachsen 
und in Reuß j. L. 
Im Königreich Sachsen hat jeder Wähler eine 
Stimme, sofern ihm nicht ausdrücklich mehrere Stimmen 
zuerkannt sind. 2 Stimmen haben die Wahlberechtigten 
mit einem Einkommen von über 1600 Mk. (schon bei einem 
Einkommen von 1400 Mk. bezw. 1250 Mk. bezw. einer 
gewissen Besitzgröße haben 2 Stimmen öffentliche Beamte, 
private Angestellte, selbständige Gewerbetreibende, kleine 
Landwirte), dann Personen, die die Borbedingungen für 
den einjährig-freiwilligen Dienst erfüllen. 3 Stimmen haben 
die Wahlberechtigten mit einem Einkommen über 2200 Mk. 
(wiederum bei einem geringeren Einkommen haben 3 Stim- 
men Beamte, Angestellte, Angehörige der freien Berufe, 
selbständige Gewerbetreibende und Landwirte). 4 Stimmen 
haben die Wahlberechtigten mit einem Einkommen über 
2800 Mk. (wiederum bei einem geringeren Einkommen 
haben 4 Stimmen Beamte, Angestellte, Angehdrige der 
freien Berufe, selbständige Gewerbetreibende und Land- 
wirte). Vollendetes 50. Lebensjahr bei Abschluß der Wähler- 
liste gibt eine Zusatzstimme; doch darf niemand mehr als 
4 Stimmen abgeben. In Reuß f. L. werden von 21 
Abgeordneten 20 gewählt (3 von den Hoöchstbesteuerten, 
17 von den übrigen Wählern nach Pluralwahlrecht ähnlich 
wie in Sachsen). 
§s# 6. Klassenwahlrechte. 
Steuer- und Einkommensklassen- 
wahlrechte weisen auf: Preußen, Braun- 
schweig (hier gemischt mit Berufsklassenwahlrecht), 
Anhalt (hier gemischt mit Berufsklassenwahlrecht), 
Sachsen-Meiningen, Sachsen-Altenburg, Schwarz-= 
burg-Sondershausen, Schwarzburg-Rudolstadt, 
Lippe-Detmold, Waldeck, Hamburg (hier gemischt 
mit Berufsklassenwahlrecht) und Lübeck. Vom 
Braunschweiger Wecht soll hier nur die Technik 
der Dreiklassenwahl dargestellt werden; das an- 
haltische und das hamburgische WRecht sollen im 
Zusammenhang unten beim Berufsklassenwahl- 
recht behandelt werden. 
1. Steuerklassen wahlrecht. 
a) In Preußengilt das sog. Dreiklassen- 
wahlrecht. Hier zerfällt das ganze Land in 
WBezirke und die WBeNzirke zerfallen wieder in Ur- 
wahlbezirke von je 750—1749 Seelen. In jedem 
Urwahlbezirk wählen die Urwähler 3—6 WMänner 
und die W Männer wählen zusammen die Abgeord- 
neten. Die Klasseneinteilung besteht darin, daß 
die Urwähler nach Maßgabe der von ihnen zu 
entrichtenden direkten Staats= und Gemeinde- 
steuern — wobei Wherechtigte ohne direkte 
Staatssteuerleistung so angesehen werden, als 
wenn sie 3 Mk. Staatssteuer entrichteten — in 3 
Abteilungen geteilt sind und daß auf jede Abtei- 
  
  
lung ½ der Gesamtsumme der Steuerbeträge 
aller Urwähler fällt. Diese Gesamtsumme wird 
urwahlbezirksweise berechnet. Die 1. Abteilung 
besteht aus den Urwählern, die die höchsten 
Steuerbeträge bis zum Belaufe von ½ der Ge- 
samtsteuer bezahlen. Die 2. Abteilung besteht aus 
den Urwählern, auf die die nächst niedrigeren 
Steuerbeträge bis zur Grenze des 2. Drittels 
fallen. Die 3. Abteilung besteht aus den übrigen 
Urwählern (also auch denen, die keine Steuern 
zahlen). Jede Abteilung wählt ½° der W#äänner, 
hat also gleichen Einfluß auf das WErgebnis. 
die Zahl der W Männer nicht durch 3 teilbar (sind 
es also 4 oder 5), so fallen der 3. Wählerklasse, 
evtl. auch der 1. Wählerklasse 2 WMänner zu. 
d) In Braunschweig werden 30 von 48 Abgeord-- 
neten im Wege der Dreiklassenwahl gewählt. Dabei ist der 
Aufbau im ganzen wie in Preußen gestaltet. Jedoch geschieht 
die Drittelung anders als in Preußen, nur nach der Gemeinde- 
steuer; besonders bestimmt ist ferner, daß die Steuerdritte- 
lung gemeindeweise, nicht urwahlbezirksweise stattfindet und 
daß die Zahl der Urwähler in der 1. Steuerklasse mindestens 
5% in der 2. Steuerklasse mindestens 20% betragen muß. 
c) In Waldeck herrscht ebenfalls ein Dreiklassenwahl- 
system ähnlich wie in Preußen; nur wählt dort jede der 
3 Abteilungen der Gemeindebürger, die in der Gemein- 
deordnung vorgesehen sind, ½ der WMänner, und 
die W Männer der verschiedenen Abteilungen wählen ihrer 
seits wieder zusammen die Abgeordneten. Doch geschieht 
auch hier die Drittelung wie in Braunschweig nach ver 
Gemeindesteuer und gemeindeweise. 
d) Anders gestaltet ist das Dreiklassenwahlrecht in Sa ch- 
sen Altenburg. Dort werden von 32 Abgeordneten 
9 von den Höchstbesteuerten (auf je 500 Seelen in den ein- 
delnen WBezirken kommt 1 Wähler der Höchstbesteuerten) 
und 23 von den übrigen Wählern (11 Abgeorbnete der 
Städte, 12 Abgeordnete des platten Landes) gewählr. Für 
die W der letzteren 23 Abgeordneten werden die Wähler 
in jedem WBezirk nach Ausscheidung der Höôchstbesteuerten 
in 3 Abteilungen nach Maßgabe ihrer direkten Staatssteuer 
derart geteilt, daß jede Abteilung # der Steuern, die von 
den WBerechtigten im WBezirk gezahlt werden, umfaßt 
und in der 1. Klaste wählen die Wähler, die vie höchsten 
Steuerbeträge zahlen, in der 2. Klasse die Wähler, die die 
nächstniedrigen Steuerbeträge zahlen und in der 3. Klasse 
die Wähler, die die niedrigsten Steuern entrichten. Im 
Gegensad zu Preußen aber wählen die Wähler jeder Klasse 
(im direkten W Verfahren) ihre eigenen Abgeordneten 
Eine gewisse Aehnlichkeit damit weist das Dreiklassenwahl- 
spstem in Lippe-Detmold auf. Auch dort bestehen 
3 Abteilungen. In der 1. Abteilung der Hôchstbesteuerten 
werden 5 Abgeordnete von den Wnerechtigten, die jährlich 
mindestens 90 Mk. Grundsteuer, und 2 Abgeordnete von 
den Wwerechtigten, die jährlich mindestens 180 Mk. Ein- 
kommensteuer zahlen, gewählt; in der 2. Abteilung werden 
7 Abgeordnete von den W erechtigten gewählt, die nicht 
zur 1. Abteilung gehören und an Grund- und Einkommen- 
steuer jährlich mindestens 36 Mk. zur Staatskasse zablen: 
in der 3. Abteilung endlich werden 7 Abgeordnete von ven 
übrigen WBerechtigten gewählt. 
he) In Sachsen-Meiningen, Schwarzbu *“ 
Sondershausen und Schwarzburag Rubol. 
stadt neten zu den aus allgemeinen 28 hervorgehenden 
Abgeordneten noch solche, die von den Oöchstbesteuerten 
gewählt werden. In Sachsen -Meiningen werden 
von den 24 Abgeordneten 4 gewählt von den höchstbesteuerten 
Großgrundbesitern (mit einer jährlichen Steuerleistung aa 
Grund und Gebäudesteuer von mindestens 20 Talern) 
4 von den WVerechtigten, die die höchsten Personalsteuern
	        
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