Waldeck (Fürstentum) — Wandergewerbe und Wanderlager
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beschadet der staatlichen Hoheitsrechte. In Orten
mit gemischter Konfession sind die Familien der
konfessionellen Minderheit soweit tunlich mit be-
nachbarten Schulen ihrer Konfession in Verband
zu setzen. Sind aber in den letzten 10 Jahren
mindestens 50 schulpflichtige Kinder solcher Fa--
milien jährlich vorhanden gewesen, so müssen
nach Konfessionen getrennte Elementarschulen
errichtet werden. Die Beaufsichtigung und Ver-
waltung des Volksschulwesens ist dem Landes-
direktor als Oberschulbehörde unterstellt, dem
als technischer Berater ein Schulrat beigegeben
ist; die weitere Aufsicht in den Kreisen erfolgt
durch den Kreisschulvorstand und die Kreisschul-
aufseher und in den Gemeinden durch den Orts-
schulvorstand, in dem der Ortspfarrer den Vorsitz
führt. Der Landesdirektor ist auch zuständig
für den Privatunterricht und für die Privat-
unterrichts-- und Erziehungsanstalten. An höhe-
ren Lehranstalten sind in Waldeck vorhanden das
Landesgymnasium in Corbach, das Realgym-
nasium in Arolsen, die Realschule in Wildungen
und das Pädagogium in Pyrmont; diese Lehr-
anstalten wie das, höhere Schulwesen überhaupt
sind dem Königlichen Provinzial-Schulkollegium
in Kassel unterstellt.
III. Die Militärverhältnisse sind
durch die mit Preußen abgeschlossene Militär-
konvention IK v. 24. 11.77 geregelt. Danach bildet
das frühere waldecksche Kontingent das III. Ba-
taillon des Infanterie-Regiments v. Wittich
(3. kurhess.) Nr. 83 und hat seine Garnison in
Arolsen. Der Fürst steht zu dem in W. dislozierten
Truppenteil im Verhältnis eines kommandierenden
Generals. Das Begnadigungsrecht in bezug auf
die Militärgerichtsbarkeit ist unter Zusicherung
möglichster Berücksichtigung etwaiger Wünsche des
Fürsten dem König von Preußen vorbehalten.
IV. Die Finanzverwaltung regelt sich
nach dem Staatshaushaltsetat, der für eine
3jährige Finanzperiode durch Gesetz festgestellt
wird. Die dauernden Staatseinnahmen setzen
sich zusammen aus den Zinsen und Einnahmen
des Staatsvermögens, aus dem Ertrage der
Steuern, aus den Ueberweisungen des Reichs,
aus dem preußischen Verwaltungskostenzuschuß
(oben & 1) und aus einer Jahresrente von
15 000 Mk., welche von Preußen auf Grund
des Staatsvertrages über die Lotterieverhält-
nisse zu leisten ist. UAn direkten Steuern
bestehen eine Klassensteuer, welche durch das
Gv. 8. 1. 08 teilweise den Charakter einer Ein-
kommensteuer erhalten hat, ferner eine Grund-
steuer, Gewerbesteuer, Betriebs-, Hausiergewerbe-
und Hundesteuer. Der Steuersatz bei der Klassen-
steuer ist ein progressiver; eine Freilassung der
geringen Einkommen ist bisher nur bis zum Be-
trage von 300 Mk. eingeführt. Die Einschätzung
der Steuerpflichtigen erfolgt durch die sog.
Umlegungsbehörde, welche die Stelle der Ver-
anlagungskommission in Preußen einnimmt und
an deren Spitze der Kreisamtmann steht; be-
sondere Voreinschätzungskommissionen bestehen
bisher nicht. Zur Abgabe einer Steuererklärung
ist nur derjenige verpflichtet, der von der zu-
ständigen Behörde dazu aufgefordert wird. Die
Realsteuern werden zu ihrem vollen Betrage
vom Staat erhoben. Die Grundsteuer beruht
auf dem Gv. 20. 7. 53, das zwar später abge-
ändert ist, aber wegen der verbesserten Landes-
kultur auf die heutigen Verhältnisse vielfach nicht
mehr zutrifft und daher der Revision bedarf.
Für die Gewerbesteuer ist das Gewerbesteuer-
gesetz v. 26. 6. 62 maßgebend, Gegenstand dieser
Steuer ist der selbständige Gewerbebetrieb inner-
halb des Fürstentums. Eine indirekte Staats-
steuer, insbesondere eine Stempelsteuer, gibt
es in W. als Landessteuer nicht. Das Staats-
schulden wesen ist durch die G v. 14. 10. 54
(für W.) und v. 21. 8. 60 (für Pyrmont) sowie
durch das G v. 20. 4. 83, betreffend die Kon-
vertierung der waldeckschen Staatsanleihe und
der Pyrmonter Staatsanleihe, geregelt.
Duellen und Literatur: Die waldeckschen
Gesetze und Berordnungen werden im „Fürstlich Waldeck-
schen Regierungsblatt“ veröffentlicht. — L. Curtze,
Geschichte und Beschreibung des Fürstentums W., 1850;
C. Waldeck., Der Artikel „Waldeck“ in Weiskes Rechts-
lexikon Bd. 14, 1860; Böticher, Das Staatsrecht des
Fürstentums W., in Maraquardsens HB des öffentlichen
Rechts III. Band, 1884; Bictor Schultze, Waldeckische
Landeskunde, 1900; Ingelmann, Ständische Ele-
mente in der Bolksvertretung nach den Verfassungsurkunden
der Jahre 1806—1819, 1914, S 68—84. v. Glasenapp.
wWanderarbeitsstätten
Bettelwesen (Band 1 442)
Wandergewerbe md Wanderlager
#In 1. Begriff. 1 2. Bom Ankauf oder Feilbieten im Um-
herziehen ausgeschlossenen Gegenstände. ## 3. Wander-
gewerbeschein. # 4. Mitführung von Begleitern und Kindern.
* 5. Der ambulante Gewerbebetrieb. #3 6. Handlungsrei-
sende. 1# 7. Ausländer. 1 8. Wanberlager. 1 9. Besteuerung.
## 1. Begrisf Wandergewerbe. Die GewO
unterscheidet zwei Formen des Gewerbebetriebs,
den „stehenden Gewerbebetrieb“ und den „im
Umherziehen“. Eine Zwischenstellung nimmt der
(gesetzestechnisch dem stehenden Gewerbe zuge-
rechnete) sog. ambulante Gewerbebetrieb ein (unten
#5). Gewerbebetrieb im Umherziehen und ambu-
lanten Gewerbebetrieb pflegt man zusammenzu-
fassen als: Wandergewerbe, auch Hausiergewerbe.
I. Gesetzliche Merkmale des Ge-
werbebetriebs im Umherziehen
( 55 Gew)j:
1. Der Gewerbetreibende muß das Gewerbe
außerhalb des Gemeindebezirks seines Wohn-
ortes oder dessen nächster Umgebung ausüben
(Wohnort gleichbedeutend mit Wohnsitz im Sinne
des §7 BGB). Ein innerhalb des Gemeindebezirks
des Wohnortes, auch wenn dieser aus mehreren
Ortschaften besteht, betriebenes Gewerbe ist des-
halb selbst dann kein W., wenn es auf den Straßen
oder von Haus zu Haus betrieben wird.
2. Aber auch dann, wenn das Gewerbe außer-
balb des Gemeindebezirks des Wohnorts betrie-
en wird, liegt ein Gewerbebetrieb im Umher-
ziehen nicht vor, wenn der Gewerbetreibende an
dem Orte des Gewerbebetriebs eine gewerbliche
Niederlassung begründet.