Full text: Wörterbuch des Deutschen Staats- und Verwaltungsrechts. Dritter Band. O bis Z. (3)

  
Warenhaus 
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kommen bei anderen Unternehmungsarten des 
Kleinhandels ganz in der gleichen oder nur in einer 
entsprechend umgestalteten Weise vor. Die W. in 
ihrem ausschlaggebenden Teil haben bald mit der- 
artigen Gebarungen vollkommen gebrochen. Im- 
merhin bildeten aber diese anfänglichen Auswüchse 
nicht zu unterschätzende und in vollstem Maße 
ausgenutzte Angriffspunkte gegen die W. und 
blieben so nicht ohne Einfluß auf die noch an- 
dauernde allgemeine Rechtslage des Warenhauses. 
II. Sonderstellung im öffentli- 
chen Leben. Das Erscheinen und der damit 
sofort einsetzende zweifellose wirtschaftliche Er- 
folg der W. mußte naturgemäß dem bisherigen, 
den Detailhandel so gut wie allein beherrschenden 
Kleinbetrieb, welcher vermöge jener Alleinherr- 
schaft in althergebrachter Betriebsweise beharrt 
hatte und dadurch den Forderungen der Neuzeit 
gegenüber in einem höheren Grade rückständig 
geworden war, aus seiner beschaulichen Ruhe auf- 
rütteln, was zunächst scharfe Angriffe 
auf die die Existenz des Kleinbetriebes bedrohen- 
den W. zeitigte, später jedoch auch eine vorteilhafte 
Umbildung der Kleinbetriebe, deren Fortbestehen 
neben den W. sich als sehr wohl möglich erwies, 
herbeiführte. Den Angriffen des bisher alleinigen 
Kleinbetriebes des Detailhandels schloß sich mit 
mehr Eifer als wirklicher Sachlichkeit die neu- 
entstandene sog. Mittelstandsbewegung 
an, eine wirtschafts= und sozialpolitische Par- 
teiung, welche der Erhaltung eines gefestigten und 
lebensfähigen Mittelstandes dienen will, aber auch 
jetzt in ihren Zielen kaum völlig abgeklärt erscheint. 
Das eigentliche Ziel dieser Angriffe war die 
völlige Beseitigung der Warenhäu- 
ser, die man nicht als eine berechtigte Erschei- 
nung, sondern als krankhafte Auswüchse im wirt- 
schaftlichen Leben ansah, die deshalb zur Wieder- 
herstellung eines regelrechten und gesunden all- 
gemeinen Wirtschaftsstandes unbedingt zu beseiti- 
gen wären. Sofern nach den allgemeinen Grund- 
sätzen der bestehenden Gewerberegelung ein ein- 
faches Verbot des W. Betriebes nicht zu erreichen 
stünde, wollte man indirekt diesen Betrieb durch 
die Steuergesetzgebung und die Bau- 
polizei unmöglich machen; namentlich hin- 
sichtlich der Besteuerung verlangte man eine der- 
artige Grundlage, daß darnach ein Bestehen der 
W. ausgeschlossen wäre (Erdrosselungssteuer). 
Der allgemeine gemeinnützige Zweck, welchen 
die Mittelstandsbewegung auf ihre Fahnen ge- 
schrieben, Erhaltung eines gefestigten und le- 
bensfähigen Mittelstandes, mußte natürlich von 
den Regierungen in vollstem Maße anerkannt 
und gefördert werden. Die letzteren waren bei 
dieser Sachlage vielfach gezwungen, dem An- 
drängen einer größeren Parteiung mit einem 
derartigen, dem Staatsinteresse entsprechenden 
Zweck, wenn sie solches in seiner äußersten Kon- 
sequenz auch als über das Ziel hinaussehend an- 
sehein mochten, bis zu einem gewissen Grade nach- 
zugeben. 
So entstanden die Warenhaussteuer und 
die baupolizeilichen Sondervorschriften, die 
beide der Stellung der W. im Verw#echt eine 
Eigenart geben. 
§+2. Warenhaussteuer. 
I. Allgemeine Charakterisierung. 
Nach der Art ihres Entstehens entspringt die 
  
  
W. Steuer keinerlei Finanzbedürf- 
nis des Staats oder der Gemeinden, wie solches 
sonst bei einer wirklichen Steuer der Fall ist und 
dem Steuerbegriff als solchem entspricht. Das 
Erträgnis spielt bei der W. Steuer überhaupt 
keine Rolle. Die W. Steuer, wie sie jetzt als eine 
eigene und selbständige Steuer besteht, ist ledig- 
lich als ein Kampfmittel gegen die 
Warenhäuser ins Leben gerufen und dient 
wesentlich und in erster Linie wirtschaftlichen und 
sozialen Zwecken, hinter welchen der eigentliche 
Steuerzweck gänzlich zurücktritt. Daß die Regie- 
rungen den Anträgen der W. Gegner, die eine zur 
Beseitigung der W. führende Steuer verlangten, 
nicht in vollem Umfang nachgaben und durch die 
Höhe der Steuer unter keinen Umständen die 
Lebensfähigkeit der W. unterbinden wollten, än- 
dert an der Sachlage selbst nichts; die Regierungen 
haben sich dadurch jedoch fortgesetzten Anträgen 
auf Verschärfung der Steuer ausgesetzt. 
Die W. Steuer, mag sie als eine selbständige 
Steuer, mag sie in eine andere Steuerart, wie 
namentlich die Gewerbesteuer (7/0, zum Teil aber 
auch Einkommensteuer [NI, eingegliedert erschei- 
nen, bewegt sich niemals in dem Rahmen der all- 
gemeinen Besteuerung und widerspricht dadurch 
dem obersten Steuerprinzip der Gerechtigkeit, das 
Allgemeinheit und Gleichmäßigkeit der Besteue- 
rung in einem übertragenen Sinne fordert. Es 
handelt sich bei der W. Steuer stets um eine 
Sonderbesteuerung. Steuerpolitisch ist 
die W. Steuer unbedingt zu verwerfen; entgegen 
dem praktischen Vorgehen der Regierungen wird 
dieses von der Theorie mit mehr oder weniger 
Schärfe allgemein anerkannt. Die Bedenken ge- 
gen die W. Steuer als Sonderbesteuerung lassen 
sich auch dadurch, wie versucht, nicht heben, daß 
für das Steuererträgnis die Verwendung zu 
einem besonderen gemeinnützigen Zweck, nament- 
lich Förderung des Kleinhandels und Kleinge- 
werbes, gesetzlich vorgeschrieben wird. 
II. Geschichtliche Entwicklung. Die 
erste kurze geschichtliche Entwicklung der W. Steuer 
beginnt in Frankreich, woselbst die ersten W. 
entstanden. Während England und im wesent- 
lichen auch Nordamerika diese Besteuerung nicht 
aufnahmen, fand sie seit Ende des 19. Jahrhun- 
derts in Deutschland einen rasch ansteigenden 
Eingang. Zunächst erschien hier die W. Steuer 
als eine reine Gemeindesteuer, welche einzelne 
Gemeinden auf Grund ihrer Besteuerungsbefug- 
nis zur Einführung brachten. Besonders ausge- 
dehnt und in sehr verschiedener Gestaltung griff 
dieses von Anfang an und auch in späterer Folge 
im Königreich Sachsen Platz, woselbst man von 
staatlicher Steuerregelung bislang Abstand ge- 
nommen hat. Durch staatliche Gesetzgebung 
führte eine W. Steuer zuerst Bayern 1899 
ein, unmittelbar danach folgte Preußen 
1900, dann Württemberg 1903, Baden 
und Braunschweig 1904, Anhalt und 
Reuß j. L. 1906, Elsaß--Lothringen 
1909 und Hessen 1911. Regelmäßig ist die 
Steuer dadurch als Gemeindeabgabe festgelegt, 
deren Hebung zum Teil sogar in das Belieben der 
Gemeinden gestellt ist. 
Grundsätzlich ablehnend gegen eine W. Steuer 
verhielten sich bislang trotz verschiedentlicher ernst- 
licher Anregungen die Hansestädte sowie Sachsen-
	        
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