Plazet — Politik 83
Mittel zur Erzwingung des P. sind staatsgesetz-
lich nicht vorgesehen.
6 6. Elsaß-Lothringen. Da das französische
Konkordat von 1801 und die zu ihm erlassenen sog.
Organischen Artikel v. 18 Germinal IX als
Staatsgesetze verkündet worden sind, so#
haben ihre Vorschriften in den Reichslanden auch
nach deren Abtretung an Deutschland verbindliche
Kraft bewahrt. Die Kündigung des Konkordats
in Frankreich und die Außerkraftsetzung der Orga-
nischen Artikel in dem französischen Kirchenstreit
(1903) hindert das Weitergelten ihrer Bestim-
mungen in Elsaß--Lothringen nicht. Maßgebend
fur das P. sind die Organischen Artikel 1: Au-
cune bulle, bref, rescrit, décret, mandat, pro-
vision, signature servant de provision, ni autres
expéditions de la cour de Rome, méme ne con-
cernant due les particuliers, ne pourront étre
regus, publiés, imprimés ni autrement mis
en exécution, sans Pautorisation du gouverne--
ment. Eine Ausnahme machen, infolge De-
krets v. 28. 2. 1810, nur die Breven der Pö-
nitenziarie, welche sich auf das forum inter-
num beziehen. Die nach a 1 für päpstliche
Bullen erforderliche staatliche Ermächtigung
erfolgt durch kaiserliche Verordnung, welche fol-
genden Vermerk enthält: „Solches verordnen
Mir ohne Anerkennung der in der Bulle enthalte-
nen Klauseln, Formeln und Ausdrücke, welche
mit den bestehenden Gesetzen und den Grund-
satzen des in Elsaß-Lothringen geltenden Kirchen-
rechts in Widerspruch stehen oder stehen könnten
und unbeschadet aller Uns im Namen des Reichs
in Elsaß-Lothringen zustehenden Hoheitsrechte.“
Für Synodalschlüsse ist in den Organi-
schen Art 3 besondere Bestimmung dahin getrof-
sen: Les décrets des synodes é trangers, méme
ceux des conciles généraux, ne pourront étre
publiés en France avant qdue le gouvernement
en ait examiné la forme, leur conformité avec
les lois, droits et franchises de la république
françaisc et tout ce qui dans leur publication
Peut altérer ou intéresser la tranquillité publique.
Bei Verletzungen des P. findet der appel
comme d’'abus statt, welcher jedoch nur zu der
Erklärung des Bundesrats führt, daß ein Miß-
brauch vorliegt und demnächst die Unterdrückung
des mißbräuchlichen Schriftstücks zur Folge hat.
Literatur: Für die Geschichte Hinschius,
Kirchenrecht, 1883, 3, S 749 ff, 838 f; Hinschius,
Allgemeine Darstellung des Verhältnisses von Staat und
Kirche, 1883;:; Kahl, Lehrsystem des Kirchenrechts und
der nKirchenpolitik, 1894, 375 f. Ueber das P. auf dem
Vatikanum Granderath-Kirch, Gesch. d. Vatik.
Konz. 3, 1906, S 668 f. 677 ff, 6914 ff. — Bayern: Hen-
ner, Die katholische Kirchenfrage in Bayern, 1854; v.
Aler, Das Placetum regium 1871; Kahl, Ueber
die Temporaliensperre, 1876, 132 f: Reinhard,
Die Kirchenhoheitsrechte des Königs von Bayern, 1884;
v. Hauck, Studie über das PlIacct. rex 1889;
Siven im Alch. f. kath. KR. 62, 433; Gebsattel,
Pi Recht des Körigs von Bayern, 1892; Max Soy-
del, Bayer. Staatsrecht, 1803, 6, 208 fe· Nicklas im
Arch OeffR 10, 181. — Sach sOn: Zur königl. sächs. Ge-
setzgebung über die Verhältnisse des Staats zur kath. Kirche in
3 für Kirchenrecht, 14, S 121 ff. 206 ff. — Württem-
berg: Golther, Der Staat und die kath. Kirche in
Württemberg, 1874; Menz, Geschichtliche Darstellun c von
der Ausübung des Placet. reg. in Württemberg, 1876;
Gaupp--Gök, Das Staatsrecht d. Königreichs Würt-
temberg, 1904, 417; Fleiner, Staatsr. Gesetze Württ.,
1907, 480. — Elsaß. Lothringen: Leoni, Staats-
recht von Elsaß--Lothringen, 1883; Geigel, Das fran-
zösische und reichsländische Staatskirchenrecht, 1884.
I7 Kirchenhoheit, auch Konkordate, staatskirchliche Ge-
richtsbarkeit.) Lübler. (1)
Politik
# 1. Bedeutungen des Begriffs. # 2. Politik als Er-
ziehungf’lehre. 1 3. Politik als Verfassungskritik; Ver-
knüpfung mit der Geschichte; Uebergänge zur Rechtswissen-
schaft. 1 4. Einfügung in die metaphysischen Systeme
(Aristoteles). 3 5. Begrenztheit der antiken Politik. 1 6.
Mittelalter und Renaissance. 1 7. Charokter der älteren
Politik bis zum 18. Jahrbundert. Spaltung der meta-
physischen und der geschichtspbilosophischen Betrachtung.
5 8. Anfänge einer kritischen Politik (David Hume). 1 0.
Moderne kritisch-unparteiische Politik. 1 10. Politische
Soziallehre und politische Rechtelehre. & 11. Staatslehre
i. c. S. und Politik i. e. S. ## 12. Politik als Staatslehre
und als Unterweisung in der Staatskunst.
§ 1. Bedentungen des Begriffs. Das Wort
„Politik“ ist nach seiner sprachlichen Herkunft und
nach seiner Verwendung im heutigen Sprach-
gebrauch vieldeutig.
„llo####d“, „Politik“ bedeutet ursprünglich die
die „staatlichen Dinge“; denn „Polis" ist für die
gesamte klassische Zeit der griechischen Kultur, die
sich nur im Rahmen des „Stadtstaats“ entwickelt
und zu Reife entfaltet, soviel wie für den
modernen Menschen der „Staat“ schlechthin.
Die staatlichen Dinge aber sind das Leben
und Wirken des Staats. Der Staat (Nj
ist der Verband der durch die Interessengemein-
schaft gemeinsamen Wohnsitzes, Gebiets, verbun-
denen Menschen und bewährt die Existenz dieser
seiner höheren Einheit über der Vielheit darin,
daß er im Dienst der allen Gliedern gemeinsamen
Bedürfnisse materieller oder geistiger Art mit
gesammelten Kräften dauernde Einrichtungen
schafft und fortlaufende Tätigkeiten verwirklicht.
In den staatlichen Einrichtungen —
in den Gesetzen, besonders Verfassungsgesetzen,
in Vehördensystem, Flotten= und Heeresorgani-
sation, Straßen= und Häfenanlagen, — sowie
in den staatlichen Tätigkeiten — in di-
plomatischer Verhandlung, Kriegführung, Do-
mänenverwaltung, Steuererhebung, Anleiheauf-
nahme, Maßregeln der Bildungs-, Gesundheits-,
Armenpflege —, in Institutionen und
Operationen, verkörpert sich also das
Staatsleben, die P. in diesem Sinn, die
„praktische Politik“. Meist denkt man
dabei an die Summe der unaugsgesetzt im Gang
befindlichen Tätigkeiten, die die Hand-
lungswerkzeuge des staatlichen Verbands, seine
„Organe“, auf allen Gebieten verrichten.
Aber schon früh ist der Begriff P. auf ein
Anderes übertragen worden, auf den Litera-
turzweig, der sich mit dem Staatsleben
beschäftigt. Im Gegensatz zu den ältesten Schriften
der griechischen Denker (des Protagoras, Platon),
die vom Autor den Titel vom „Staate“ (Koktreia,
6 *