Württemberg
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Sache von König und Landtag, sondern königlicher
Willensakt, für den die ständische Zustimmung
bloße Bedingung ist, und ist dem König in # 89
VU ein weitgehendes Notverordnungsrecht ge-
wahrt. Die Thronfolge ist verfassungsmäßig eine
agnatische mit subsidiärer Nachfolge der Kognaten.
Die Uebernahme der Regierungsgeschäfte bedarf
im Anklang an die altwürttembergische Verfassung
einer urkundlichen Zusicherung der unverbrüch-
lichen Festhaltung der Landesverfassung, ohne
eine solche wird der Huldigungseid der Unter-
tanen verweigert. Das württ. Staatsrecht unter-
scheidet im Gegensatz zum preußischen eine ordent-
liche Reichsverwesung (bei Minderjährigkeit) und
eine außerordentliche. Letztere bedarf eines
Mehrheitsbeschlusses der Agnaten und der Zu-
stimmung der Ständeversammlung. Eine zeit-
weilige auftragsmäßige Erledigung der Regie-
rungsgeschäfte durch einen bevollmächtigten Stell-
vertreter bei Behinderung des Königs ist in der
Verfassung nicht vorgesehen, aber Herkommen;
sie beschränkt sich nicht auf einen bestimmten Per-
sonenkreis. Die Reichsverwesung ist insbesondere
dadurch beschränkt, daß jede Abänderung eines
Verfassungspunktes nur auf die Dauer der Re-
gentschaft gilt (VuU § 15). Die finanziellen Be-
dürfnisse des Königs und des Hofstaats werden
durch eine teils in Geld, teils in Naturalien be-
stehende Zivilliste (nach G v. 29. 5. 13 in Geld
2 150 000 Mk.) gedeckt, die für die Regierungszeit
verabschiedet wird und eine Abfindung für die
Abtretung des Kammerguts an den Staat dar-
stellt. Das Kammergut haftet an erster Stelle für
die Leistung der Zivilliste. Das hiervon verschie-
dene Hofdomänenkammergut ist Privateigentum
der Königlichen Familie und verfassungsmäßig
festgelegt (§ 108 VUh. Die vermögensrechtlichen
Leistungen an die Mitglieder des Kgl Hauses
(Apanagen, Sustentationen, Mitgaben, Wittume,
Donativgelder) sind vom Staat übernommen
worden; sie ruhten früher auf dem Kammergut,
das jetzt für sie an erster Stelle haftet.
2. Die Landstände (der Name und nur
dieser ist von der altwürtt. Verfassung übernom-
meng stehen der Krone in dem durch die Verfassung
bestimmten Verhältnis als unmittelbares Staats-
organ zur Wahrung der Landesinteressen zur
Seite und befinden sich, sei es zu einem Landtag
versammelt, sei es durch den Ausschuß vertreten,
in ununterbrochener Wirksamkeit.
Ihrer verfassungsmäßigen Ein-
wirkung ist keine Seite des Staatslebens ent-
zogen. Im einzelnen wirken sie mit bei Bildung
der Staatsorgane, und zwar bei der Bestel-
lung einer außerordentlichen Regentschaft und
der Zusammensetzung des Staatsgerichtshofs;
bei der Gesetzgebung in dem Sinne, daß
sie das Recht haben, Gesetze vorzuschlagen und
daß ihre Zustimmung die Voraussetzung für das
Zustandekommen eines Gesetzes oder eines die
Gesetzgebung berührenden Staatsvertrags bildet;
bei der Finanzverwaltung, indem ohne ihre Ein-
willigung das Kammergut nicht veräußert werden
darf (§ 107 Vu), Steuern nicht erhoben (§ 109
Vu), Staatsschulden nicht ausgenommen werden
dürfen und ihnen die Prüfung der Finanzetats,
die Abhörung der Staatsrechnungen (§§ 100,
188 Vü) und die eigene Verwaltung der Staats-
schulden durch ständische Beamte unter der Ober-
aufsicht der Regierung zusteht (letztere Befugnis
ist ein Ueberrest der altwürtt. Verfassung). Sie
sind ferner ein kontrollierendes Organ, indem sie
über Mängel oder Mißbräuche der Staatsverwal-
tung Wünsche, Vorstellungen und Beschwerden
dem König vorzutragen haben, und zwar aus
eigener Entschließung oder auf Grund von Peti-
tionen. Eine Einschränkung ist in 8 170 VU
dahin getroffen, daß sie Deputationen weder an-
nehmen noch ohne Erlaubnis des Königs abordnen.
dürfen, auch haben sie kein Enqueterecht. Schließ-
lich steht ihnen die Verwaltung der eigenen inneren
Angelegenheiten zu.
Für die Bildung der Landstände wurde
das Zweikammersystem zugrunde gelegt, indem
die Stände in die Erste Kammer und in die
Zweite Kammer (Kammer der Abgeordneten)
sich teilen. Jede Kammer ist ein beschließender
Körper und erst ein übereinstimmender Beschluß
beider ist ein Beschluß der Ständeversammlung.
Als vollständig besetzt gilt die Erste Kammer bei
der Anwesenheit der Hälfte, die Zweite Kammer
bei dem Erscheinen von ½ der Mitglieder. Ein
Zusammentreten beider Kammern ist nur in weni-
gen Fällen (Eröffnung, Schließung des Landtags,
Wahl des Ausschusses, Anstellung von ständischen.
Beamten) vorgesehen.
Die Erste Kammer ist von einer Pairs-
kammer durch das VG v. 16. 7. 06 zu einer ge-
mischten Kammer mit gebundener Mitgliederzahl
umgebildet worden, sie besteht aus den volljährigen
Prinzen, den Häuptern der standesherrlichen Fa-
milien, höchstens 6 vom König auf Lebenszeit
ernannten Mitgliedern, 8 gewählten Mitgliedern
des ritterschaftlichen Adels, dem Präsidenten des
Evangelischen Konsistoriums und der Evangelischen
Landessynode, 2 ev. Generalsuperintendenten,
1 Vertreter des Bischöflichen Ordinariats und 1
von den katholischen Dekanen gewählten Mit-
glied, je 1 Vertreter der Landesuniversität in
Tübingen und der Technischen Hochschule in
Stuttgart, 2 Vertretern des Handels und der
Industrie, 2 Vertretern der Landwirtschaft,
1 Vertreter des Handwerks, im ganzen zurzeit
aus 51 Mitgliedern. Ein Recht der Stellvertretung
ist in beschränktem Umfang anerkannt. 2
Die Zweite Kammer ist durch G’v.
16. 7. 06 von einer gemischten Kammer zu einer
aus allgemeiner direkter und geheimer Wahl
hervorgehenden reinen Wahlkammer umgebildet
worden und besteht aus 63 auf 6 Jahre gewählten
Abgeordneten je eines Oberamtsbezirks, 6 Ab-
geordneten der Stadt Stuttgart, 6 Abgeordneten
der weiteren 6 guten Städte, 17 Abgeordneten
zweier Landeswahlkreise. Die Abgeordneten der
Stadt Stuttgart und der Landeswahlkreise bilden
den Ersatz für die aus der früheren gemischten
Kammer ausgeschiedenen Mitglieder und werden
nach dem Grundsatz der Verhältniswahl gewählt.
Die früheren Stichwahlen bei den andern Wahlen
sind durch das romanische System ersetzt, im ersten
Wahlgang entscheidet die absolute, im zweiten
die relative Mehrheit. Die Mitglieder beider
Kammern, mit alleiniger Ausnahme der Prinzen,
erhalten Reisekostenersatz und Taggelder, die
Präsidenten beider Kammern eine Jahresent-
schädigung von je 10 000 Mk. (IJ Abgeordnetel.
Eine auf die Erinnerung an die altwürttem-
bergische Verfassung zurückzuführende Eigentüm-