94 Vierter Abschnitt: Die Organisation des Staates. II. Die Ständeversammlung. § 24.
D. Aus den vom Könige erblichernannten Mitgliedern. Zu solchen können
nur Gutsbesitzer aus dem standesherrlichen oder ritterschaftlichen Adel berufen werden,
welche von einem mit Fideikommiß belegten, nach dem Rechte der Erstgeburt sich ver-
erbenden Vermögen nach Abzug der Zinsen aus den darauf haftenden Schulden eine jähr-
liche Rente von 6000 Gulden (10 285,70 Mark) beziehen. (V.U. § 130.) Solcher
Mitglieder zählt die Kammer der Standesherren zwei ¹).
E. Aus den lebenslänglichen Mitgliedern, welche vom Könige, ohne
Rücksicht auf Geburt und Vermögen, aus den würdigsten Staatsbürgern ernannt werden.
(V.U. § 131.) Der König ist bei der Auswahl nur insoweit beschränkt, als er ein kraft
Amts der Zweiten Kammer angehöriges Mitglied nicht in die Erste Kammer berufen
kann und als der zu Ernennende die persönliche Befähigung zum Ständemitgliede (s. den
vorh. Paragraphen) besitzen muß.
Die Zahl der vom König erblich oder auf Lebenszeit ernannten Mitglieder darf
jedoch nach § 132 der V. U. den dritten Theil der übrigen Mitglieder der Ersten Kammer
nicht übersteigen. Maßgebend ist das Zahlenverhältniß zur Zeit des Eintritts eines vom
Könige neuernannten Mitgliedes. Die etwa ruhenden Stimmen der Höupter standesherr-
licher Familien werden hierbei nach der von der Regierung festgehaltenen und schließlich auch
von der Kammer der Standesherren anerkannten Uebung mitgezählt. Ein sog. Pairs-
schub ist in Württemberg nicht möglich ²). Die Zahl der lebenslänglichen Mitglieder
beträgt zur Zeit sechs.
Die erblichen Mitglieder der Ersten Kammer (A—D), soweit sie zur Ausübung
der Standschaft persönlich befähigt sind, haben das Recht, ihre Stimme einem anderen in
der Versammlung anwesenden Mitgliede dieser Kammer oder einem Sohne oder dem
sonstigen präsumtiven Nachfolger in der Standesherrschaft zu übertragen. Dieses be-
sondere Recht der Stimmübertragung kann auf gleiche Weise auch für einen
wegen Minderjährigkeit oder anderer persönlicher Unfähigkeit unter Vormundschaft
stehenden Standesherren von dessen Vormund ausgeübt werden (V. U. § 156). Die
Uebertragung kann hiernach auch an ein lebenslängliches Mitglied oder an den Stell-
vertreter eines erblichen Mitgliedes erfolgen ³); nur besteht die Beschränkung, daß ein
Mitglied der Ersten Kammer oder der Stellvertreter eines solchen niemals mehr als
eine übertragene Stimme führen kann (a. a. O. Abs. 3). Der Stimmführer muß
übrigens die allgemeine persönliche Befähigung zum Eintritt in die Ständeversammlung
besitzen. Der Vormund kann daher, wenn er zu der angeführten Kategorie von qualifi-
zirten Personen gehört, auch die Stimme an sich selbst übertragen, das Stimmrecht also
selbst ausüben, wogegen eine Vormünderin die Stimme nur an eine der angeführten
Personen übertragen kann. Der Stellvertreter hat die Uebertragung durch eine Vollmachts-
urkunde, welche dem an den Stimmübertrager erlassenen Einberufungsschreiben beizulegen
ist und welche auch die Substitutionsklausel enthalten kann — aber nicht muß — nach-
schaft Limburg-Gaildor deren Vertreter zur Zeit ein Graf Pückler-Limburg ist; vgl. auch Mohl, I S. 549.
1) Die Grafen von Neipperg und von Rechberg-Rothenlöwen, welche bis 1806
nur Personalisten waren. Dieselben sind zwar nicht Standesherren im Sinne des deutschen Staats-
rechts, werden aber innerhalb Württembergs ganz den Standesherren gleichgestellt, so namentlich auch in
Beziehung auf § 164 Abs. 2 der V. U. (Art. 2 des Ges. v. 23. Juni 1874); vgl. auch Mohl, I S. 550.
2) Den königl. Prinzen und den Standesherren ist hiernach durch den garantirten Besitz von
¾ sämmtlicher Stimmen ein exorbitantes, auf verfassungsmäßigem Wege nicht wohl zu durchbrechendes
Uebergewicht eingeräumt.
3). So nach der Praxis, während Mohl, I S. 553 N. 14 wegen der Fassung des § 156
Abs. 3 die Führung einer weiteren Stimme durch einen Stellvertreter für unzulässig hält.