§ 31. Die Rechte und Pflichten der Ständemitglieder. 103
3. wenn wesentliche Vorschriften für das Wahlverfahren unbeachtet geblieben sind
und weder eine nachträgliche Ergänzung möglich, noch nachgewiesen ist, daß durch die
Nichtbeachtung der Wahlvorschrift das Ergebniß der Wahl materiell nicht beeinflußt
werden konnte.
Wegen Nichtbeachtung der zu 3. erwähnten Vorschriften kann die Wahl nach
Ablauf von 15 Tagen von dem Eintritt des Gewählten in die Abgeordneten-
kammer an nicht mehr — weder von Dritten noch aus der Mitte der Versammlung
— angefochten werden. Die Wahlanfechtungen von Seiten Dritter sind vor Eröffnung
des Landtags bei dem ständischen Ausschusse, nachher bei der Abgeordnetenkammer
anzubringen 1).
Ist der Gewählte noch nicht in die Abgeordnetenkammer eingetreten, so hat, vor-
behaltlich der endgiltigen Entscheidung der letzteren, das Ministerium des Innern eine
neue Wahl dann anzuordnen, wenn der Gewählte zur Zeit der Wahl unzweifelhaft
wahlunfähig war oder dessen unzweifelhafte Wahlunfähigkeit nachher eingetreten ist; ebenso,
wenn derselbe wegen bei der Wahl verübter Bestechung, Erpressung oder Betrugs gerichtlich
verurtheilt worden, oder wenn der Gewählte die Wahl nicht annimmt.
Wird nach dem Eintritt des Gewählten in die Kammer eine Neuwahl nothwendig,
so hat letztere die Staatsregierung um Anordnung einer solchen zu ersuchen. Ist der
Landtag nicht versammelt und die Nothwendigkeit der Neuwahl außer Zweifel, so hat dies
Ersuchen, vorbehältlich der Entscheidung der Kammer über nachträgliche Anstände, vom
ständischen Ausschusse auszugehen (Wahlges. v. 1868, Art. 24).
Außer durch die Legitimation ist der Eintritt in die Ständeversammlung auch noch
bedingt durch die vorgängige Ableistung des Ständeeides (S. § 31 Nr. 1).
§ 31. Die Rechte und Pflichten der Ständemitglieder. 1. Jedes Mitglied der
Ständeversammlung hat bei seinem erstmaligen Eintritt in dieselbe den Ständeeid
abzuleisten. Derselbe lautet: „Ich schwöre, die Verfassung heilig zu halten und in der
Ständeversammlung das unzertrennliche Wohl des Königs und des Vaterlandes ohne alle
Nebenrücksicht nach meiner eigenen Ueberzeugung treu und gewissenhaft zu berathen. So
wahr mir Gott helfe!“ — Der Eid ²) wird von einem bei Eröffnung eines Landtages
neu eintretenden Mitgliede in die Hände des Königs selbst oder des zur Eröffnung bevoll-
mächtigten Ministers, außerdem in die Hände des Präsidenten einer jeden Kammer abgelegt
(V. U. § 163).
2. Für die Erfüllung ihrer Pflichten sind die Mitglieder der Ständekammer Nie-
mandem verantwortlich. Bezüglich der gewählten Abgeordneten insbesondere bestimmt
die V. U. § 155: „Der Gewählte ist als Abgeordneter nicht des einzelnen Wahlbezirkes,
sondern des ganzen Landes anzusehen. Es kann ihm daher auch keine Instruktion, an
welche er bei seinen künftigen Abstimmungen gebunden wäre, ertheilt werden.“ Im Uebrigen
gelten in Württemberg seit dem V.G. vom 23. Juni 1874 (Art. 8 u. 9), dessen Be-
stimmungen an die Stelle der §§ 184 und 185 der V. U. getreten sind, in Beziehung auf
den persönlichen Schutz und auf die Verantwortlichkeit der Ständemitglieder
ganz die Vorschriften der Reichsverfassung Art. 31 und 30, sowie des D. St.G.B. §§ 11,
106, 339 ³). Nur in Beziehung auf die disziplinäre Verantwortlichkeit der Stände-
1) Vgl. auch Gesch. Ordn. der Abg. Kammer v. 1875 §§ 2 u. 3, der K. d. St. H. v. 1876 § 19.
2) Der übrigens von den Angehörigen einzelner Religionsgesellschaften (vgl. hierüber
Gaupp, Komm. z. C. P.O. Anh. S. 31), in der für diese bestimmten Betheuerungsformel geleistet
werden kann; Verh. d. Abg. Kammer v. 1870/74. Pr. B. I S. 1.
3) Vgl. hierüber Laband, R. St. R. I S. 330 ff. und in dies. Hdb. S. 57, N. 1—3, Zorn,
I S. 179f., G. Meyer, St. R. § 133 N. 13; Frehsee i. Goltd. Arch. XXXII S. 361 ff.,
Kiene in Boscher's Z., XXX.I 85 f. 112 f.; s. jetzt auch R.G. v. 26. März 1893.