Full text: Handbuch des Öffentlichen Rechts. Band III.1.2. Das Staatsrecht des Königreichs Württemberg. (2)

104 Vierter Abschnitt: Die Organisation des Staates. II. Die Ständeversammlung. § 31. 
mitglieder innerhalb der Ständeversammlung und während der Sitzungen enthält das 
V. G. vom 23. Juni 1874 in Art. 9 Abs. 2 die besondere Bestimmung, daß, „wenn 
ein Ständemitglied seine Stellung in der Kammer zu einer Beleidigung oder Verläumdung 
der Regierung, der Stände oder einzelner Personen mißbrauche, die betreffende Kammer 
dies zu rügen habe ¹).“ Auch abgesehen hievon hat übrigens der Präsident nach den 
Geschäftsordnungen das Recht, Verfehlungen gegen die Gesetze des Anstandes oder der 
inneren Polizei oder gegen die Geschäftsvorschriften zu rügen und nöthigenfalls den Redner 
zur Ordnung oder zur Sache zu rufen; sind die Verfehlungen aber bedeutend, solche zur 
Kenntniß der Kammer zu bringen. Gegen die Rügen und den Ordnungsruf des Präsidenten 
steht eine Berufung an die Versammlung zu, welche nach vorgängiger Berichterstattung 
durch die Kommission für die Geschäftsordnung endgiltig entscheidet. Ist ein Mitglied in 
der nämlichen Sache zweimal ohne Erfolg zur Ordnung oder zur Sache zurückgerufen 
worden, so kann ihm gemäß der Geschäftsordnung der Kammer der Abgeordneten die Ver- 
sammlung auf die Anfrage des Präsidenten, nach vorheriger Hinweisung des Redners auf 
diese Folge, das Wort über den vorliegenden Gegenstand entziehen ²). 
3. Die Mitglieder beider Kammern sind verbunden, jeder Sitzung anzuwohnen, 
im Falle eines gegründeten Hindernisses aber solches dem Präsidenten anzuzeigen. Den 
erforderlichen Urlaub ertheilt der Präsident; in der Abgeordnetenkammer bedarf es zu einer 
Abwesenheit von mehr als acht Tagen der Bewilligung der Kammer ³). Mittel, um die 
Theilnahme an den Sitzungen zu erzwingen, bestehen jedoch nicht; nur erhalten abwesende 
Mitglieder — außer im Falle der Erkrankung — kein Taggeld. 
4. Die Mitglieder der Kammer der Abgeordneten erhalten ohne Unterschied, von den 
standesherrlichen, den erblichen und den nicht in Stuttgart wohnenden lebenslänglichen 
Mitgliedern der Kammer der Standesherren aber diejenigen, welche darauf Anspruch machen, 
Reisekostenersatz und Taggelder. Das Taggeld beträgt 5 fl. 30 kr. (9 M. 43 Pf. ). 
Die durch Wahl berufenen Mitglieder der Abgeordnetenkammer erhalten jedoch, wenn sie 
Beamte im Sinne des Art. 1 des B.G. sind, von diesem Taggeld nur 7 M. ausbezahlt, 
wogegen der weitere Betrag von der ständischen Sustentationskasse an die Staatshauptkasse 
abgeliefert wird, welche dagegen die aufzuwendenden Kosten der Stellvertretung bestreitet. 
Auf den Präsidenten und die „anwesenden“ Mitglieder des ständisches Ausschusses findet 
dies jedoch, solange sie statt der Taggelder Entschädigungsgehalte beziehen, keine Anwendung; 
ebensowenig auf Professoren der Landesuniversität, auf die lebenslänglich angestellten Volks- 
schullehrer und die Inhaber gewisser Nebenämter. Diese haben nämlich nur die wirklichen 
Stellvertretungskosten zu tragen, also nur, wenn sie einen Stellvertreter haben, dann aber 
sämmtliche Kosten ⁵). Die Reisekostenentschädigung wird nach Maßgabe der Königl. V.O. 
vom 2. Juli 1848 § 2, sowie des Ges. vom 31. Juli 1849 berechnet. Statt dieser Ent- 
schädigung erhalten jedoch seit der Verf. des Ministeriums der ausw. Angelegenheiten vom 
14. Jan. 1876 die nicht in Stuttgart wohnenden Ständemitglieder auf ihren Wunsch für 
Strecken, auf welchen Staatseisenbahnen bestehen, während der Dauer der Einberufung des 
 
1) Ueber die Entstehung dieses Zusatzes s. Bitzer a. a. O. S. 182. Ueber die Verant- 
wortlichkeit der Ständemitglieder vor dem Staatsgerichtshof s. u. 
2) Gesch. Ordn. d. K. d. A. v. 24. Juni 1875 §§ 5 u. 67, innere Gesch. Ordn. d. K. d. 
St. H. v. 21. Juni 1876 § 23. 
3) Gesch. Ordn. der Abg. Kammer § 12, der K. d. St. H. § 34. 
4) Vgl. das Ges. v. 20. Juni 1821. 
5) Vgl. d. Ges. v. 1. März 1886, Art. 1 und 2; bei Körperschaftsbeamten ist die Frage, 
ob sie die Kosten der Stellvertretung zu bezahlen haben, nach dem Inhalt des Dienstvertrages zu 
beurtheilen. Die Bestimmung des Art. 56, letzter Abs. der Gem.V. Nov. v. 1891 steht einer aus- 
drücklichen Verabredung über die Auflösung des Dienstverhältnisses in Folge der Ausübung eines 
Mandats nicht entgegen; s. auch Fleischhauer S. 214 N. 6.
	        
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