112 Vierter Abschnitt: Die Organisation des Staates. II. Die Ständeversammlung. § 33.
Vorlagen und Anträge, welche keine Gesetzesentwürfe enthalten, unterliegen regelmäßig
nur einer einmaligen Berathung. Gesetzesentwürfe sind, wenn die Berathung auf Grund eines
Kommissionsberichtes erfolgt, in der Kammer der Abgeordneten in einer Berathung zu erledigen,
andernfalls einer ersten und zweiten Berathung zu unterstellen. Soweit eine zweimalige Be-
rathung stattfindet, ist die erste auf eine allgemeine Erörterung über die Grundsätze des Entwurfs
zu beschränken. In der Kammer der Standesherren findet stets nur eine einmalige Berathung
mit oder ohne Kommissionsbericht statt.
Wird ein Gesetzentwurf während der Vertagung des Landtages zur verfassungsmäßigen
Berathung in einer der beiden Kammern dem Ausschusse übergeben, so kann dieser denselben mit
der Wirkung an eine Kommission verweisen, daß seine Berathung in der Kammer nur nach
erstattetem Kommissionsberichte zulässig ist.
Die Berathung ohne Vorberathung in der Kommission erfolgt in der Abgeordnetenkammer
frühestens am dritten Tage, nachdem der Gesetzesentwurf, die Vorlage oder der Antrag gedruckt zur
Vertheilung gekommen ist, die Berathung auf Grund eines gedruckten Kommissionsberichtes dagegen
nicht früher, als an dem der Vertheilung des Berichtes folgenden Tage. Auf einen nicht gedruckten
Bericht kann die Berathung sofort nach dem Vortrage desselben beginnen. Die zweite Berathung —
ohne Kommission — erfolgt frühestens an dem auf den Abschluß der ersten folgenden Tage ¹).
Die Kommissionen werden — mit relativer Stimmenmehrheit — theils ständig für gewisse
Kategorien von Geschäften, theils für einzelne Gegenstände gewählt. Wer bereits Mitglied einer
Kommission ist, kann die Wahl in eine weitere Kommission ablehnen; außerdem kann jede
Kammer von der Annahme einer Wahl aus besonderen Gründen dispensiren. Dasjenige Mit-
glied, welches die meisten Stimmen erhalten hat, beruft die Kommission ein, welche dann einen
Vorstand und einen Stellvertreter mit absoluter Stimmenmehrheit wählt. Zur Giltigkeit eines
Kommissionsbeschlusses wird die Anwesenheit der Hälfte der Mitglieder erfordert. Die Sitzungen
der Kommissionen sind nicht öffentlich, auch nicht für die Mitglieder der Kammern. Der Präsi-
dent der Kammer hat jedoch das Recht, mit berathender Stimme anzuwohnen, andere Mitglieder
können von der Kommission zur Berathung beigezogen werden, auch kann letztere die Minister
hierzu einladen. In der Kammer der Standesherren steht es den Mitgliedern frei, den Be-
rathungen als Zuhörer anzuwohnen. — Bei der Abstimmung steht dem Vorstande ein Stimm-
recht zu; bei Stimmengleichheit werden beide Anträge an die Kammer gebracht. Die Berichte
werden schriftlich oder mündlich nach dem Ermessen der Kommission erstattet, soweit die Kammer
nicht hierüber Beschluß gefaßt hat ²).
8. Was den äußeren Geschäftsgang betrifft, so beraumt der Präsident die
Sitzungen an, eröffnet und schließt dieselben. Die Reihenfolge der Redner bestimmt sich
nach der Zeit der Eintragung in die Rednerliste, welche — wenigstens in der Zweiten
Kammer — vor dem Beginne der Berathungen durch den Präsidenten zu verlesen ist.
Dabei wird zwischen den Rednern für und gegen den zur Diskussion stehenden Antrag
gewechselt. Den Ministern, den Königl. Kommissären, dem Berichterstatter und, wenn ein
solcher nicht vorhanden ist, den Antragstellern steht es jedoch frei, nach jedem Redner das
Wort zu ergreifen. Für die Debatte ist freier Vortrag vorgeschrieben. Nur die
Minister, die Königl. Kommissäre, die Berichterstatter, sowie diejenigen, welche selbst-
ständige Anträge eingereicht haben, dürfen schriftliche Reden ablesen. Die Mitglieder haben
in beiden Kammern von ihrem Platze aus gegen den Präsidenten zu sprechen, eine
Rednerbühne ist damit ausgeschlossen ³). Der Schluß der Berathung kann nach
jedem Redner schriftlich von fünf Mitgliedern beantragt werden, nachdem zwei Redner
für und zwei gegen den Antrag das Wort erhalten haben. Die einfache Mehrheit ent-
scheidet; im Zweifel wird die Verhandlung fortgesetzt. Ueber die Handhabung der Ord-
nung in den Sitzungen durch den Präsidenten s. o. S. 103 f., Nr. 2. Ob die Minister
und Königl. Kommissäre während der Sitzungen der Disziplinargewalt des Präsidenten
unterworfen sind, ist auch in Württemberg in Ermangelung einer bezüglichen Norm
bestritten ⁴).
1) Vgl. im Uebrigen die angef. Gesch. Ordn. der K. d. A. v. 1875 §§ 17—41, der K. d. St.
v. 1876 §§ 42—49.
2) S. die angef. Gesch.-Ordn.
3) Eine solche bestand nur bei den drei Landesversammlungen 1849—1850. Mit der V.O.
v. 6. Nov. 1850 wurde auch die Rednerbühne wieder beseitigt.
4) S. übrigens Laband I S. 320.