Full text: Handbuch des Öffentlichen Rechts. Band III.1.2. Das Staatsrecht des Königreichs Württemberg. (2)

120 Vierter Abschnitt: Die Organisation des Staates. II. Die Ständeversammlung. § 35. 
eintreten sollte, wenn eine Verurtheilung durch den Staatsgerichtshof vorangegangen und 
dieser die höchste in seiner Kompetenz liegende Strafe erkannt hat, ohne eine weitere aus- 
drücklich — wozu er hiernach berechtigt sein sollte — auszuschließen ¹). Diese Beschrän- 
kung der konkurrirenden Strafgerichtsbarkeit der ordentlichen Gerichte ist nun aber, so- 
wohl was die auf den Umsturz der Verfassung abzielenden Unternehmungen (St. G. B. 
§ 81), als was andere der Zuständigkeit der ordentlichen Gerichte unterliegende Hand- 
lungen betrifft, durch die Reichsgesetzgebung (Einf. Ges. z. Str. Pr. O. §§ 3 und 6) beseitigt, 
da die Staatsgerichtshöfe in § 14 des R.G. Verf.Ges. nicht als besondere Gerichte zu- 
gelassen sind und der in den Motiven zu diesem § 14 und zum § 3 des Einf.Ges. zur 
Str. Pr. O. enthaltene Vorbehalt für diese Gerichtshöfe nach dem Wortlaute der Gesetze 
wie nach dem Inhalte der Motive selbst nur auf die partikularrechtliche Funktion der 
Staatsgerichtshöfe zur Entscheidung von Verfassungsstreitigkeiten und auf die Dis- 
ziplinarstrafgerichtsbarkeit derselben i. w. S. — im Gegensatze zu der ordentlichen Straf- 
gerichtsbarkeit der bürgerlichen Gerichte — bezogen werden kann ²). 
Der Staatsgerichtshof ist hiernach jetzt ausschließlich ein politischer Gerichtshof zum 
Schutz der Verfassung und damit zur Verwirklichung der staatsrechtlichen Verantwortlich- 
keit der ihm unterworfenen Personen, dessen Zuständigkeit sich zwar nach Maßgabe des 
nicht aufgehobenen § 195 der V. U. auch auf Handlungen erstreckt, welche der Strafgerichts- 
barkeit der bürgerlichen Gerichte unterliegen, dessen Thätigkeit aber, soweit sie mit letzterer 
konkurrirt, diese weder zu hemmen noch zu unterbrechen geeignet ist ³). 
I. Die Zuständigkeit des Staatsgerichtshofes umfaßt hiernach: 
1. was die sachliche Kompetenz betrifft: a) Unternehmungen, welche auf den 
Umsturz der württemberg. Verfassung gerichtet sind, sei es nun, daß der Angriff die 
Selbständigkeit und Integrität des Königreiches, die Beseitigung der monarchischen Regie- 
rungsform oder der Volksvertretung ꝛc. zum Gegenstande hat. Eine solche auf Umsturz 
der Landesverfassung gerichtete Unternehmung kann auch in der Instruktion der Bundes- 
bevollmächtigten enthalten sein; dagegen liegt keine Verf.-Verletzung in der Nichteinholung 
der Zustimmung der Landesvertretung zur ertheilten Instruktion, (s. o. S. 76). b) Ver- 
letzungen einzelner Punkte der Verfassung, d. h. der V.U. von 1819 und der späteren 
Aenderungen und Ergänzungen derselben, welche verfassungsmäßig als solche verabschiedet 
worden sind. Dabei begründet es keinen Unterschied, ob die verletzte Vorschrift eine ge- 
bietende oder verbietende ist, ob es sich also um eine Handlung oder um eine Unter- 
lassung handelt, ob ferner die Handlung, durch welche die Verfassung verletzt wurde, eine 
bewußt rechtswidrige oder eine blos fahrlässige war (s. 2.) ⁴); dagegen erscheint die Reichs- 
 
1) Nach der württemberg. V. U. wurde daher der Staatsgerichtshof von Mohl, I S. 762 
mit Recht als eine Strafbehörde bezeichnet, vgl. auch §§ 195, 199, 203 der V. U. „Strafbefugniß“. 
Was dagegen Sarwey, II S. 248 bemerkt, beruht auf Verkennung des württemberg. Rechts; 
s. jetzt auch Pistorius S. 51 ff., womit auch die Ausführungen von Sarwey im W. A. XXIII 
S. 434 widerlegt sind. 
— 2912 Vgl. auch Laband, a. a. O. II S. 349, 356 ff. u. Kern im württemb. Ger. Bl. B. XX S. 291 ff. 
3) Der Staatsgerichtshof ist seit 1819 nur einmal in Thätigkeit getreten in Folge der 
Anklage der verfassunggebenden Landesversammlung (s. o. S. 11 u. 78) v. 27. Juni 1850 
gegen den prov. Chef des Departements der ausw. Angelegenheiten Frhr. v. Wächter-Spittler, 
wegen des Beitritts der württemberg. Staatsregierung zu dem Vertrage zwischen Oesterreich und 
Preußen v. 30. Sept. 1849 über die Einsetzung einer interimistischen Bundescentralgewalt (Ver- 
letzung des § 85 der V. U.). Die öffentliche Verhandlung dieses Staatsprozesses führte zur Ab- 
weisung der Klage (3. Aug./9. Sept. 1850); vgl. die Verh. des württemberg. Staatsgerichtshofes ꝛc.  
Stuttgart 1850. 
4) Vgl. auch Mohl, I S. 772 ff., Pistorius, S. 50, 189 und die Verh. des Staats- 
gerichtshofes v. 1850. S. 16.
	        
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