§ 35. Der Staatsgerichtshof. 121
verfassung nicht als ein Theil der württ. Landesverfassung und es begründet daher weder
ein Unternehmen zum Umsturz der Reichsverfassung noch die Verletzung einzelner Punkte
der R.Verf. die Zuständigkeit des Staatsgerichtshofs ¹):
2. was die dem Staatsgerichtshofe unterworfenen Personen anbelangt, so ist
derselbe zuständig:
a) für Anklagen der Regierung gegen einzelne Mitglieder der Ständekammer,
insbesondere des ständischen Ausschusses, jedoch selbstverständlich nur, soweit dieselben nicht
nach § 185 der V. U. wegen ihrer Aeußerungen und Abstimmungen jeder Verantwortung
entzogen sind;
b) für Anklagen der Stände (jeder Kammer für sich),
o) gegen Minister oder Departementschefs ²),
6) gegen einzelne Mitglieder und höhere Beamte der Ständeversammlung ³),
7) gegen andere Staatsbeamte, als Minister und Departementsvorstände, je-
doch nur wegen Uebertretung der Vorschriften des § 53 der V. U., also nur wenn sie
ohne höheren Befehl durch eine selbständig vorgenommene amtliche Handlung oder Unter-
lassung die Verfassung verletzt haben, s. § 46 B 2. Zu den Staatsbeamten gehören
übrigens die Amtskörperschafts- und Gemeindebeamten nicht ⁴). Unter den höheren Beamten
der Ständeversammlung sind der Staatsschuldenzahlungskassier und der Kontroleur,
der Archivar und die Registratoren zu verstehen. Die Präsidenten gehören dagegen nach
dem Sprachgebrauche der V. U. nicht zu den Beamten, sondern sind als Mitglieder der
Ständekammer bezw. des Ausschusses verantwortlich. Die Zuständigkeit des Staatsgerichts-
hofes wird durch den Verlust des Amts bezw. der Funktion, durch welche dieselbe begründet
wurde, nicht aufgehoben ⁵).
Andere Personen als die unter a - b Aufgeführten sind dem Staatsgerichtshofe nicht
unterworfen, sollten sie auch gemeinsam mit Jenen eine der Aburtheilung durch Letzteren
unterliegende Handlung begangen haben, also namentlich nicht Offiziere und Militärbeamte,
da diese als Reichsbeamte keine Staatsdiener im Sinne der V. U. sind ⁶).
II. Zusammensetzung. Der Staatsgerichtshof ist ein außerordentlicher ständiger Ge-
richtshof mit Beimischung richterlicher Bestandtheile, aber von wesentlich politischem Cha-
rakter ⁷). Er besteht aus einem Präsidenten und 12 Richtern. Der Präsident wird vom
König aus der Zahl der ersten Vorstände der höheren Gerichte ernannt. Von den
Richtern ernennt der König die eine, die Ständekammer die andere Hälfte. Die vom
1) Wie Sarwey, II S. 253 und Thudichum a. a. O. S. 644 annehmen. Die R.V. beruht
jetzt ausschließlich auf der Sanktion des Reichs und letzteres hat seine Autorität gegenüber den
Einzelstaaten und ihren Organen selbständig zu wahren, sei es nun durch das R. Gericht (G.V.G.
§ 136) oder nöthigenfalls im Wege der Reichsexekution (R.V. Art. 17 u. 19, Laband, I S. 105),
solange ein besonderer Gerichtshof zum Schutze der R.V nicht besteht. Dem württ. Staatsgerichts-
hof würde es nach § 195 der V. U. an jeder Zuständigkeit zur Feststellung einer Verletzung der
R. V. fehlen (Laband, I 356 N. 3), f. auch gegen Sarwey: Pistorius a. a. O.
S. 190 ff., 207.
2) Vgl. auch Mohl, I S. 774 und bezüglich der Stellung der einzelnen Minister gegen-
über dem Staatsministerium § 37.
3) Zu den Mitgliedern gehören hier auch die Mitglieder des Ausschusses: Mohl, I S. 781f.
4) S. hierüber Mohl, I S. 780 Note 4 und über die Ausdehnung der Kompetenz des St. G. H.
auf andere Personen als die Minister; Pistorius, S. 61.
5) Also namentlich nicht dadurch, daß der König einen Minister ꝛc. entläßt. Vgl. Mohl,
I S. 771 Note 5, Pistorius, S. 51, und die Verh. des Staatsgerichtshofes v. 1850 S. 17, 209, 221.
6) V. U. § 199.
7) An dieser Auffassung hielt auch bei den Verh. v. 1850 die Mehrheit des Gerichtshofes
fest, indem sie aus diesem Gesichtspunkte die subsidiäre Anwendung der Vorschriften der jeweiligen
Str. P.O zurückwies.