122 Vierter Abschnitt: Die Organisation des Staates. II. Die Ständeversammlung. § 35.
Könige berufenen Richter werden den Mitgliedern der höheren Gerichte entnommen; sie
treten, wie der Präsident, aus dem Gerichtshof aus, wenn sie aufhören, ihr ordentliches
Richteramt zu bekleiden.
Die ständischen Richter werden im Zusammentritt beider Kammern mit relativer
Stimmenmehrheit ¹) gewählt. Sie dürfen so wenig als der Präsident und die vom
König ernannten Richter Mitglieder der Ständekammer, zwei derselben müssen Rechts-
gelehrte sein, d. h. durch Erstehung der Dienstprüfungen die Befähigung zum Richteramt
erlangt haben. Diese können — was übrigens nach der bestehenden Uebung auch von
den andern ständischen Mitgliedern gilt — mit Einwilligung des Königs auch aus den
Staatsbeamten gewählt werden. Daneben hat die Ständeversammlung noch drei Stell-
vertreter zu wählen.
Sowohl die königlichen als die ständischen Mitglieder müssen die zur Stelle eines
Ständemitgliedes erforderlichen Eigenschaften besitzen (s. o. S. 90f.).
Die Mitgliedschaft im Staatsgerichtshofe hört auf, wenn ein vom König ernannter
Richter aus seinem richterlichen Hauptamte ausscheidet, oder ein ständischer Richter ein
Staatsamt annimmt oder in einem solchen auf eine höhere Stelle vorrückt, ebenso wenn
ein vom König ernanntes oder ein ständisches Mitglied in die Ständekammer eintritt.
Sämmtliche Mitglieder werden für ihren Beruf besonders verpflichtet und zwar
(nach dem Vorgange v. 1850) der Präsident durch den König, die übrigen Mitglieder
durch den Präsidenten ²). Sie können gleich andern Richtern nur durch Urtheilsspruch als
Mitglieder dieses Gerichtshofes entsetzt werden ³).
Bei jedem Beschluß muß neben dem Präsidenten eine gleiche Zahl von könig-
lichen und ständischen Mitgliedern anwesend sein. Sollte durch Zufall eine Ungleichheit
der Zahl eintreten, welche nicht sogleich durch anderweitige Ernennung oder Eintritt
eines Stellvertreters gehoben werden kann, so tritt der jüngste im Dienste von der über-
zähligen Seite aus; doch darf die Zahl der Richter nie unter zehn herabsinken. Dem
Präsidenten steht keine Stimme zu. Im Verhinderungsfalle vertritt seine Stelle der erste
königliche Richter ⁴).
Das Kanzleipersonal wird aus dem Oberlandesgerichte genommen ⁵).
III. Die Strafbefugniß des Staatsgerichtshofes erstreckt sich nur auf „Verweise,
Geldstrafen, Suspension und Entfernung vom Ante, zeitliche oder immerwährende Aus-
schließung von der Landstandschaft“ ⁶). Die Anwendung des einen oder des andern Straf-
übels hängt vom sachgemäßen Ermessen des Gerichts ab. Für Inhalt und Umfang der
angeführten Strafen ist nur der vorstehende Wortlaut der V. U., welche sich hierbei an
keine bestimmte Strafgesetzgebung anschließt, maßgebend. Die Strafen können daher auch
kumulirt werden ⁷). Die nach der Reichsgesetzgebung begründete Strafgerichtsbarkeit der
ordentlichen bürgerlichen Gerichte wird durch die Jurisdiktion des Staatsgerichtshofes nicht
berührt, namentlich begründet die Erhebung einer Staatsanklage keine Aussetzung oder
Unterbrechung des ordentlichen Strafverfahrens (s. oben S. 120 f.).
IV. Das Verfahren. Der Staatsgerichtshof versammelt sich nur, wenn er aus
Anlaß einer bestimmten Anklage einberufen wird. Die Einberufung erfolgt durch den
1) Ges. v. 6. Juli 1855.
2) V. U. § 196 u. Verh. des Staatsgerichtshofes v. 1850 S. 1 ff., 206.
3) V. U. § 197.
4) V. U. § 202.
5) A. a. O. § 196.
6) V. U. § 203.
7) Unrichtig Scheurlen a. a. O. S. 71 und nach diesem Bitzer ꝛc. S. 385: s. dagegen
Mohl, I S. 810 Note 2, S. 813 Note 6.