§ 36. Centralorgane. — Geschichtliche Entwickelung. 125
III. Kapitel.
Die Centralorgane der Staatsregierung; die öffentlichen Aemter;
die Rechtsverhältnisse der Beamten.
A. Die Centralorgane der Staatsregierung.
§ 36. Geschichtliche Entwickelung ¹). Solange die altwürttemb. Verfassung bestand und
Regent und Land unter der Souveränetät des Deutschen Reichs in einem vorherrschend privatrecht-
lichen Verhältniß sich gegenüberstanden, bildete der Geheime Rath ein vermittelndes Glied zwischen
diesen beiden Parteien ²). Er war das mit verfassungsmäßiger Unabhängigkeit zwischen Beiden
stehende, zur Wahrung der Verfassung verpflichtete und zugleich mit der Ausübung der Regierung
betraute Organ der Staatsgewalt, welchem sämmtliche Kollegien und einzelne Beamte unterstellt
waren, durch welches alle Befehle des Herzogs an die untergeordneten Stellen vermittelt wurden
und dessen Rath und Gutachten der Herzog in allen Staats- und Landesangelegenheiten einzuholen
hatte. Ungeachtet seiner verfassungsmäßigen Selbständigkeit vereinigte der Geheime Rath neben
seiner berathenden Stellung alle Funktionen eines modernen Staatsministeriums in sich; und schloß
damit von selbst die Coexistenz eines Staatsministeriums aus ³). Als daher 1806 die altwürttemberg.
Verf. aufgehoben worden, wurde auch sofort durch ein Manifest vom 18. März 1806 der Geheime
Rath beseitigt und durch ein Staatsministerium ersetzt. In der Folge bildete die Wiederherstellung
des Geheimen Raths eines der Hauptdesiderien der altwürttemberg. Verfassungspartei. Die Ver-
fassungs-Urkunde von 1819 ⁴) stellte dann auch den Geheimen Rath als oberste zunächst unter dem
Könige stehende Staatsbehörde wieder her, setzte aber neben den Geheimen Rath die Minister als
Chefs der (6) Verwaltungsdepartements. Hiernach war jeder Minister für die sein Departement
betreffenden Verfügungen persönlich verantwortlich. Der aus den Ministern (bezw. Departements-
chefs) und den weiteren vom Könige ernannten Mitgliedern bestehende Geheime Rath wurde die
oberste, den König in allen wichtigeren (in §§ 58 und 59 der V. U. aufgeführten) Angelegenheiten
berathende Behörde. Daneben war derselbe die oberste entscheidende und verfügende Be-
hörde in Verwaltungsrechtssachen und in Rekursen von Straferkenntnissen der Administratiostellen
(V. U. § 60), und die Behörde, welche in erster und letzter Instanz über die Nothwendigkeit der
Zwangsenteignung zu erkennen hatte. (V. U. § 30.) Endlich sollte der ganze geschäftliche Verkehr
zwischen dem König und den Ständen nur durch den Geheimen Rath vermittelt werden, indem
einerseits die Eröffnungen des Königs an die Stände durch den Geheimen Rath erlassen wurden,
andererseits die Stände durch letzteren ihre Erklärungen, Bitten und Wünsche an den König zu
bringen hatten (§ 126 der V. U., vgl. m. §§ 38 und 160), wobei der Geheime Rath die Anträge
der Stände selbständig zu begutachten hatte — während doch andererseits die Vertretung der Re-
gierung vor den Ständen ausschließlich den Ministern oblag.
Die Unvereinbarkeit dieses Zustandes mit einer wirklichen Verantwortlichkeit der Minister
wurde seit 1848 mehr und mehr erkannt, es gelang jedoch den langjährigen Bestrebungen der Stände
nicht, eine Aenderung herbeizuführen, bis endlich die Beziehungen zum Deutschen Reiche zu der noth-
1) Ueber die Geschichte des Geheimen Raths s. Spittler, Sämmtl. Werke B. XIII (B. II
der vermischten Schriften), S. 280 ff. und die Darstellung von Römer, Komm. Ber. d. Kammer
d. Abg. 1862/65 Beil. B. 1 3758 f.; Fricker u. Geßler a. a. O. S. 98 f., 138: Wächter,
W. Pr. R., I 104, 105, 328 ff.
2) Seit Herzog Christoph fungirten als oberste berathende Behörde, „Landhofmeister und
Räthe“. In Folge des Landtagsabschieds von 1629 wurde dann der „Geheime Regimentsrath",
dessen Bedeutung unter der vormundschaftlichen Regierung seit 1628 gewachsen war, als dauerndes
Institut organisirt, mit der Aufgabe, „nicht blos der Herrschaft, sondern auch allgemeiner
Landschaft Nutzen zu schaffen und Schaden zu wenden“. Einen förmlichen „Staat" (Amtsinstruktion)
erhielt der Geheime Rath erst 1660. Durch den Erbvergleich von 1770 wurde die verfassungsmäßige
Stellung des Instituts neu befestigt.
3) Daher sofort ein Konflikt entstehen mußte, wenn der Herzog, wie es unter Herzog Eberhard
Ludwig (1717) und Herzog Carl (1758) vorübergehend geschah, zwischen sich und den Geheimen
Rath ein Ministerium einzuschieben versuchte; s. den Erbvergl. v. 1770 Classe 1 grav. 2 und
Spittler, wirt. Urkunden II S. 11 f. 342f.
4) Schon eine K.V.O. v. 8. Nov. 1816 hatte das Institut wieder eingeführt, der Verf.-
Entw. v. 1817 dasselbe beibehalten; die Verhandlungen über die schließliche Feststellung der
§§ 54—61 der V. U. v. 1819 find bei Fricker, V. U. S. 27 ff., 98 ff., 281 ff. nachzulesen.