§ 55. Die Verordnung. 175
sind. In diesem Sinne bestimmt die V. U. § 89, daß der König das Recht habe, ohne
die Mitwirkung der Stände die zur Vollstreckung und Handhabung der Gesetze erforder-
lichen Verordnungen und Anstalten zu treffen. Damit ist jedoch nicht ausgesprochen,
daß das Recht, Verordnungen zu erlassen, ausschließlich dem Könige zustehe, Verordnungen
also nur in der für Königl. Verordnungen vorgeschriebenen Form (s. über diese o. S. 73)
erlassen werden können. Für die Art und Weise der Ausführung ist vielmehr nur der
Inhalt des Gesetzes entscheidend, auf welchem die Vollmacht zur Erlassung von Verord-
nungen beruht. Es kann ausdrücklich auf die Königl. Verordnung verwiesen oder das be-
treffende Ministerium, ausnahmsweise auch eine einzelne Staats- oder Gemeindebehörde
mit der Vollziehung beauftragt werden ¹).
Ist nur der Staatsregierung im Allgemeinen, z. B. durch die „Verweisung auf
den Verordnungsweg“ die Ermächtigung ertheilt, so hängt es von dem Ermessen derselben
nach Beschaffenheit des Gegenstandes ab, ob die Vorschriften im Wege der Königl. Ver-
ordnung oder durch das betreffende Ministerium oder durch andere Behörden erlassen
werden sollen ²). Nur gilt auch hier der Grundsatz, daß Vorschriften, welche in Königl.
Verordnungen enthalten sind, nur wieder im Wege der Königl. Verordnung aufgehoben
oder abgeändert werden können. Der Auftrag an die Ressortministerien wird vom Könige
in der Schlußformel der Gesetze ertheilt. Die rechtliche Giltigkeit des Inhalts der Ver-
ordnungen ist dadurch bedingt, daß dieselben die durch das Gesetz ertheilte Vollmacht nicht
überschreiten, überhaupt dem Gesetze nicht widersprechen. Dem Richter steht in dieser Be-
ziehung ein unbeschränktes Prüfungsrecht zu ³).
Diese Grundsätze über das Verordnungsrecht sollten zwar schon nach § 90 der V. U. auch
auf Verordnungen im Landespolizeiwesen Anwendung finden. Die Regierung nahm jedoch
— im Widerspruche mit den Ständen — das Recht in Anspruch, durch allgemeine Verfügungen
der Centralpolizeibehörde und ohne die Legitimation durch ein Gesetz gemeingefährliche Hand-
lungen in Polizeiverboten mit Strafe zu bedrohen. Eine Lösung dieses Streites fand erst in
Folge der Einführung des R. St. G. B. durch das Landespolizeistrafgesetz vom 27. Dez. 1871
statt ⁴). Hiernach ist — in Uebereinstimmung mit dem R. St. G. B. — das Verordnungsrecht in
Polizeisachen durch eine ausdrückliche gesetzliche Ermächtigung bedingt, wobei das Gesetz selbst die
Strafen für die Nichtbeachtung der auf Grund dieser Ermächtigung erlassenen Verordnungen und
Verfügungen feststellt.
Wo das St. G. B. oder das württemberg. Polizeistrafgesetz auf Polizeiverordnungen, poli-
zeiliche Vorschriften oder Anordnungen Bezug nimmt oder solche voraussetzt, können dieselben
durch Königl. V. O. oder Min. Verfügung, sowie für den Geltungsbereich eines Oberamtsbezirkes
oder mehrerer Gemeinden durch die Polizeibehörden, für den Bereich eines Gemeindebezirkes durch
die Ortsbehörden erlassen werden. Die ortspolizeilichen Vorschriften vorübergehender Art können
von dem Ortsvorsteher, die bezirkspolizeilichen Vorschriften dieser Art von dem Oberamtmann
erlassen werden, wogegen zur Erlassung einer für fortdauernde Geltung bestimmten Anordnung
die Zustimmung des Gemeinderathes bezw. des Amtsversammlungs-Ausschusses erforderlich ist.
Verordnungen der letzteren Art sind, wenn nicht im Verordnungswege eine andere Behörde hier-
für bestimmt ist, der unmittelbar vorgesetzten höheren Verwaltungsbehörde zur Prüfung vorzu-
legen und werden erst 30 Tage nach der durch Empfangsbescheinigung nachgewiesenen Vorlegung
vollziehbar, sofern dieselben nicht früher schon von letzterer Behörde für vollziehbar erklärt sind.
Die Befugniß der Bezirks- und Ortspolizeibehörden kann für einzelne der hiernach ihrer Ver-
1) So die verschiedenen Polizeibehörden in dem Pol. Str. G. v. 27. Dez. 1871;
dann die Gemeindebehör den in dem Ges. über die zusammengesetzten Gemeinden v. 17. Sept.
1853 Art. 1 (Gemeindestatut), und in der Bauordnung v. 6. Oct. 1872. Art. 2, 3, 11, 13, 15 ꝛc.
(Ortsbaustatut). Häufig wird auch die Form gewählt, daß in der M. Vf. auf die vorangegangene
Königl. Ermächtigung Bezug genommen wird, s. o. S. 172 N. 1.
2) Ueber die Organisation der Behörden und über die Regelung des Tax- und Gebühren-
wesens s. o. § 53 I 3 u. 4.
3) S. hierüber oben S. 172. Dieses Recht des Richters wird auch von solchen anerkannt,
welche dasselbe gegenüber den Gesetzen bestreiten, wie z. B. von Laband, I 609, vgl. auch R.G.E.
in Civ. S. XXIV S. 3 ff.; in Württemberg ist dasselbe außer Streit.
4) S. auch Bitzer a. a. O. S. 276 f., Schicker, W.P. Str. R. S. 84, insbesondere auch
bezüglich des Verhältnisses zur B.O. u. R.Gew.O.