§ 57. Die Staatsverträge. 183
1. Ohne Einwilligung der letzteren kann nämlich durch Verträge mit Auswärtigen
kein Landesgesetz aufgehoben oder abgeändert und keine Verpflich-
tung, welche den Rechten der Staatsbürger Eintrag thun würde, eingegangen
werden. Es gilt also in dieser Beziehung ganz dasselbe wie bezüglich der Erlassung von
Gesetzen ¹). Verträge, welche nur allgemeine politische Interessen betreffen, bedürfen der
ständischen Genehmigung nicht, obgleich durch solche Verträge die Freiheit der Entschließung
der Staatsgewalt für die Zukunft beschränkt werden kann²). Im Falle der Nicht-
genehmigung einzelner, der ständischen Zustimmung unterworfener Vertragsbestimmungen
hängt es von den Kontrahenten ab, ob sie den noch übrigen Inhalt des Vertrages aufrecht
erhalten und ratifiziren wollen oder nicht.
2. Ohne Einwilligung der Stände kann kein Theil des Staatsgebiets und
Staatseigenthums veräußert werden. Diese Bestimmung ist in Beziehung auf die
freiwillige Abtretung an außerdeutsche wie an deutsche Staaten durch die Reichsverfassung
nicht berührt worden ³), dagegen kann dieselbe auf die gezwungene Abtretung an einen
fremden Staat im Fall eines Friedensschlusses nach Art. 11 Abs. 1 der R.V. fernerhin
keine Anwendung mehr finden. Unter der Veräußerung von „Staatseigenthum“ werden
solche Fälle begriffen, in welchen nicht die Hoheitsrechte des Staates über ein bestimmtes
Territorium, sondern nur das Eigenthum, liege dieses nun innerhalb Landes oder auf
einem fremden Staatsgebiete, an einen andern Staat veräußert wird.
3. Ohne ständische Zustimmung kann keine neue Last auf das Königreich und
dessen Angehörige übernommen werden. Es gehört hierher sowohl die Belastung des
Landes mit Zahlungsverbindlichkeiten, als die Uebernahme von sogen. Staatsdienstbarkeiten⁴).
Selbstverständlich findet dieses Bestimmung keine Anwendung auf Verbindlichkeiten, welche
durch die Stellung Württembergs im Deutschen Reiche begründet werden ⁵), wohl aber
auf Verträge mit andern deutschen Staaten, welche außerhalb der Kompetenz des Reiches
sich bewegen ⁶).
Recht ist diese Kontroverse ohne Bedeutung. Die Zustimmung der Stände bedingt die Legitimation
der Staatsregierung zur Ratisikation.
1) Dieselben Grundsätze müssen daher auch gelten in Beziehung auf die Prolongation
bestehender Staatsverträge und auf die Aufhebung solcher.
2) Mohl, I S. 674.
3) Vgl. auch Laband, R. St. R. I S. 181 ff. Soweit hiernach das Reich zu Gebietsände-
rungen der Zustimmung des Einzelstaats bedarf, ist auch die Einwilligung der Stände in Württem-
berg erforderlich.
4) Staatsservituten im Sinne von Beschränkungen der Gebietshoheit (s. o. S. 16 u. 17 N.5 a. E.
und Zachariä, D. St. R. §§ 240, 293; Laband, 1 S. 186; J. Clauß, Staatsdienstb. 1894,
S. 106 ff.) bestehen, zumal seit dem Art. 34 der Rhein B. A. in Württemberg nicht mehr; denn die
Eisenbahnverträge mit Baden z. B. vom 6. Nov. 1860 und 15. Juli 1887, sowie mit Bayern vom
12. Dez. 1868 und 10. Febr. 1887 haben keine Staatsservituten begründet, da sie keine Schranke
der Gebietshoheit enthalten, wie jetzt in Beziehung auf Bayern in Art. 8 u. 15 Abs. 9 des vor-
genannten Vertrags v. 10. Febr. 1887 und bezüglich Badens in Art. 10 des Vertrags v. 15. Juli
1887 ausdrücklich anerkannt ist. Es handelt sich hierbei vielmehr um rein persönliche, vertrags-
mäßige Einräumungen; s. auch Clauß a. a. O. S. 188. Der Vertrag mit Bayern über zwei
Militärstraßen zur Verbindung der Pfalz mit den rechtsrheinischen Landestheilen v. 23. Apr. 1815
ist dagegen durch die Gründung des Deutschen Reiches gegenstandslos geworden; s. auch Clauß
a. a. O. S. 185; ebenso die übrigen ähnlichen Verträge aus der Zeit des Deutschen Bundes
(Mohl, II S. 732). Ueber den der Geschichte angehörigen Allianzvertrag mit Preußen v. 13. Aug.
1866, s. I. Aufl. S. 170 N. 6. Beschränkungen der Gebietshoheit durch Ausübung der dem
Deutschen Reich zustehenden Befugnisse (vgl. z. B. R.V. Art. 41 u. 65) fallen als Rechte einer
übergeordneten Staatsgewalt nicht unter den Begriff der Staatsdienstbarkeit.
5) So bedurfte z. B. der Vertrag v. 16. Juli 1874 betr. die Bundesfestung Ulm der ständi-
schen Zustimmung nicht.
6) Die Bestimmungen des § 85 der V. U. über Handels- und Subsidienverträge sind durch
die R.V. wirkungslos geworden.