190 Fünfter Abschnitt: Die Funktionen des Staates. IV. Das Expropriationsrecht. § 58.
Gegen die Entscheidung der Enteignungsbehörde über die Entschädigungssumme
findet der „ordentliche Rechtsweg“ statt (V. U. § 30). Zu diesem Zwecke kann der
Enteignete wie der Nebenberechtigte innerhalb 6 Monaten von der Zustellung der Ent-
eignungsverfügung an Klage auf Feststellung der Entschädigungssumme erheben. Mit der
Rechtshängigkeit dieser Klage erlangt der Unternehmer die Befugniß, seinerseits auf Herab-
minderung der Entschädigungssumme anzutragen. Ein Gesuch „um Einstellung“
der mit dem Grundstück zur Ausführung des Unternehmens vorzunehmenden Veränderungen
behufs Einnahme eines Augenscheins zur Führung des Beweises ist nur innerhalb
drei Tagen nach der Zustellung der Enteignungsverfügung an die Enteigneten zulässig¹);
auch kann dem Gesuch nicht auf länger als bis nach erfolgter Augenscheinseinnahme ent-
sprochen werden²).
6. Die Bestimmungen über die volle Entschädigung, die Feststellung der-
selben und über die Enteignungsverfügung (Nr. 4, 5 b u. c) finden auch An-
wendung im Falle der Enteignung zur Herstellung der in einem Ortsbauplan ³) vor-
gesehenen Straßen und Plätze, sowie zur Durchführung der Ortsbaupläne gegenüber den
dagegen verstoßenden Bauten (Art. 7³ der BauO. v. 6. Okt. 1872); jedoch bedarf
es hier keiner vorausgehenden königl. Entschließung über die Zulässigkeit der Enteignung,
vielmehr ist hier das Ministerium des Innern die Enteignungsbehörde, welche nach den
näheren Bestimmungen in Art. 46 Abs. 2 ff. des Enteignungsgesetzes über die Nothwendig-
keit der Abtretung und über die Größe der Entschädigung entscheidet und die Enteignungs-
verfügung erläßt ⁴).
B. Die Zwangsenteignung i. w. S. Neben der unter A dargestellten, auf Grund-
eigenthum und Immobiliarrechte beschränkten Enteignung gibt es noch eine Reihe von
Fällen, in welchen die Staatsgewalt zur Erfüllung ihrer Aufgaben gewisser Gegenstände
oder Berechtigungen bedarf, welche sich im Vermögen von Privatpersonen oder Korpo-
rationen befinden. Der Staat bezw. das Reich ist hier befugt, diese Gegenstände durch
einen Verwaltungsakt an sich zu ziehen, bezw. über dieselben zu verfügen, muß aber nach
den hier eingreifenden besonderen Gesetzen dem dadurch Betroffenen volle Entschädigung
gewähren. Es gehört hierher die Entschädigung:
1. bei den Beschränkungen des Grundeigenthums im Rayon der Festungen
nach Maßgabe des R.G. v. 21. Dez. 1871 (vgl. auch das R.G. v. 19. Juni 1883) ⁵);
nehmens durch Entschließung des Staatsministeriums die Enteignungsbehörde ermächtigt werden,
das Verfahren zur Feststellung des Plans mit demjenigen zur Feststellung der Entschädigung zu
verbinden und die Frist für die Auslegung des Plans (Art. 18) auf die Hälfte abzukürzen; nur
kann hierbei die Enteignungsverfügung nicht erlassen werden, ehe über die Feststellung des Plans
endgiltig entschieden ist. Hierüber und über die ausnahmsweise Gestattung der sofortigen Entziehung
eines Grundstücks vorbehältlich der Nachholung des Verfahrens in beiden Richtungen s. Art. 38
Abs. 4 a. a. O.
1) Also ausgeschlossen, wenn der Enteigner mit seinen Arbeiten erst drei Tage von der Zu-
stellung an beginnt; so wenigstens nach der Fassung des Art. 42.
2) Bgl. Gaupp, Anh.z.2.Aufl.der C.P.O.S.105.
3) Ueber diesen Begriff s. jetzt Art. 25 des Ges. v. 15. Juni 1893.
4) Bezüglich des Rechtsweges vor den Civilgerichten bei den nicht unter den Begriff der
Zwangsenteignung fallenden Entschädigungsansprüchen nach Art. 6 Abs. 3, Art. 7 Abs. 4, Art. 8
der Bau Ordnung v. 6. Okt. 1872, s. d. Ges. über d. Verw. Rechtspfl. v. 16. Dez. 1876 Art. 2 Z. 5.
5) Laband, I. S. 818 u. 830 ff. u. im Handb. d. ö. R., II I S. 241. Dem Entschädi-
gungsberechtigten steht hier gegen den Beschluß der höheren Verwaltungsbehörde, welche die Eni-
schädigung festsetzt, innerhalb einer Präclusipfrist von 90 Tagen der Rechtsweg offen. Die Klage
ist gegen den Reichsfiscus zu richten, welcher durch die Kommandantur vertreten wird. Innerhalb
dieser Frist steht auch der Milit. Behörde das Recht zu, die Enteignung des Grundstückes — in
Mürtt. nach Maßgabe des § 30 des V. U. u. des Enteign. Ges. (s. o. A. 1—5) — zu verlangen.
Uebrigens steht nach dem Rayongesetz § 40 Abs. 2 dem Besitzer des Grundstücks der Rechtsweg
auch dann zu, wenn die Kommandantur die Pflicht zur Entschädigung überhaupt bestreitet.