§ 64. Die Staatsausgaben. 205
während sie eine staatsrechtliche Seite insoweit darbieten, als sie in Erfüllung von Ver-
bindlichkeiten der Staatsgewalt (II) geleistet werden.
II. Staatsschulden i. w. S. sind alle vermögensrechtlichen Verbindlichkeiten des
Staates, mögen sie nun auf einem civilrechtlichen oder öffentlich rechtlichen Grunde
beruhen. Diese Staatsschulden ohne Unterschied des Gegenstandes der Leistung stehen
nach Aufhebung der Privilegien des Fiskus (S. 194) durchaus unter dem allgemeinen
Rechte. Eine besondere staatsrechtliche Bedeutung hat nur die Staatsschuld im
engeren Sinne. Auf diese allein beziehen sich die früher erörterten Bestimmungen der
§§ 119 —123 der V. U.
Als Staatsschuld i. e. S. gelten hiernach diejenigen Schulden, welche unter die
Gewährleistung der Stände gestellt sind, also entweder mit Einwilligung der
Stände kontrahirt wurden oder mit solcher nachträglich auf den Staat übernommen
worden sind, sei es nun, daß die Verbindlichkeit durch Aufnahme von Geldanlehen (gegen
Ausstellung von Schuldscheinen oder Ausgabe von sog. Schatzanweisungen) ¹) oder durch
Bürgschaftsleistung (Uebernahme einer Staatsgarantie, wie z. B. in dem Gesetze vom
1. Juli 1875 betr. die Kettenschleppschifffahrt auf dem Neckar) begründet wird, wobei
nur zu berücksichtigen ist, daß die Staatsgarantie noch kein unter der Verwaltung der
Stände stehendes Schuldverhältniß, sondern nur den Rechtsgrund für die Entstehung eines
solchen involvirt ²).
Demgemäß bezeichnet das revidirte Staatsschuldenstatut vom 22. Februar 1837 ³)
als Staatsschuld „diejenigen Passivkapitalien, welche schon ein erworbenes Recht auf die
Staatsschuldenzahlungskasse haben oder welche durch gemeinschaftliche Verabschiedung
zwischen Regierung und Ständen künftig auf die Staatsschuldenzahlungskasse werden
übernommen werden“ ⁴). Damit ist von selbst ausgesprochen, daß ohne eine solche Ver-
abschiedung eine Staatsschuld nicht giltig kontrahirt werden kann, ein Grundsatz, welcher,
wenn er auch in der V. U. nicht ausdrücklich ausgesprochen wurde (vgl. übrigens arg.
V. U. § 119), anerkannten Rechtens ist. Insbesondere gilt dies auch bezüglich der Auf-
nahme von Geldschulden zur Deckung vorübergehender Bedürfnisse der Staatskasse oder
der Staatsgewerbebetriebe. Ausnahmen könnten nur durch den Nothstandsparagraphen
(89) der V. U. begründet werden, aber auch nur, soweit die Stände nachträglich die
Uebernahme einer hiernach einseitig von der Regierung kontrahirten Schuld unter ihre
Garantie beschließen ⁵).
Die dermalige Staatsschuld ist seit dem Gesetze vom 30. Juni 1845 seitens der
Gläubiger unaufkündbar. In Gemäßheit der einzelnen Darlehens-Verträge werden die
Staatsschuldscheine in Beträgen von 2000 M., 1000 M., 500 M. und 200 M.
auf den Inhaber ausgestellt; sie können aber auch auf den Namen eingeschrieben werden.
Die Inhaberschuldscheine sind mit halbjährlich verfallenden Zinscoupons versehen. In
bestimmten Fällen werden die Zinsen von den auf den Namen eingetragenen Schuldscheinen
1) Die Ausgabe von Staatspapiergeld kommt nach dem R.G. v. 30. April 1874 § 8 nicht
mehr in Frage.
2) Vgl. auch Laband R. St. R. II S. 876 ff. 885.
3) Ueber die Geschichte der älteren wie der neueren Staatsschuld vgl. v. Mohl in der
Tüb. Zeitschr. f. Staatsw. B. III S. 618; Staatsr. B. II S. 778 und Riecke, Verfs. ꝛc. S. 374 ff.,
u. derselbe im Bericht der Fin. Komm. der K. der Standesh. v. 18. April 1891.
4) S. dieses Statut mit der Abänderung durch die Gesetze v. 4. Sept. 1853 u. 20. März
1881 bei R. Gaupp, V. U. (2. Aufl.) S. 227 ff.
5) Vgl. auch Mohl, I S. 651. Daß übrigens der Grundsatz in dem großen Geldverkehre
der Staatskasse und der Staatsgewerbe nicht streng durchgeführt werden kann, versteht sich von selbst;
entscheidend ist, daß solche zeitliche Guthaben keinerlei Anspruch an die Staatsschuldenzahlungskasse
begründen.