208 Sechster Abschnitt: Das Finanzwesen. § 66.
b) Was dagegen die Ausgaben anbelangt, so enthält das Etatsgesetz staats-
rechtlich nur eine Ermächtigung der Regierung; diese wird dadurch nicht verpflichtet, die
in demselben aufgenommenen Ausgaben auch wirklich zu machen. Ob die Ausgabe, zu
welcher eine Ermächtigung erfolgte, abgesehen von dem Etatsgesetze auf einer civil- oder
öffentlich-rechtlichen Verpflichtung beruht, ist eine selbständig zu beurtheilende Frage.
Vom Standpunkte des Etatsrechts ist die Regierung nur politisch dafür verantwortlich,
daß sie Ausgaben, welche von Regierung und Ständen beschlossen worden sind, auch wirklich
macht, soweit nicht die Umstände sich inzwischen geändert haben.
Für Ausgaben, welche im Etat nicht verabschiedet sind oder über den
verabschiedeten Betrag hinaus, trägt die Regierung die Verantwortung bis zur nach-
träglichen Genehmigung derselben durch die Stände und zwar sowohl rücksichtlich der
Nothwendigkeit als der Angemessenheit; nur können die Stände Ausgaben, deren Noth-
wendigkeit feststeht, die nachträgliche Genehmigung so wenig versagen, als sie bei recht-
zeitiger Aufnahme derselben in den Etat diese hätten ablehnen können. Anders liegt
die Sache bei den sog. Dispositionsfonds, sofern diese gerade ausdrücklich zur Verwendung
für unvorhergesehene Ausgaben der Regierung von den Ständen verwilligt werden, wo-
mit jedoch die Pflicht, über die Verwendung dieser Fonds Rechnung abzulegen, nicht
ausgeschlossen ist, soweit es sich nicht um sog. geheime Dispositionsfonds handelt.
3. Aus der Spezialität der Etats, d. h. der Feststellung der einzelnen
Positionen des Etats als solcher durch das Etatsgesetz folgt von selbst, daß eine nicht
verwilligte Ausgabe oder die Ueberschreitung einer verwilligten nicht damit gerechtfertigt
werden kann, daß an andern Ausgabeposten Ersparnisse gemacht worden sind.
Ein solche Uebertragbarkeit der Ersparnisse von einem Ausgabeposten auf einen
anderen findet nur statt, wo neben der Spezialisirung der einzelnen Posten diese Ueber-
tragbarkeit von einem Titel auf den andern oder von einem Kapitel auf das andere
ausdrücklich vorbehalten oder gewohnheitsrechtlich zugelassen ist oder aber, wenn in Wirk-
lichkeit eine Spezialisirung gar nicht vorliegt, sondern eine Gesammtsumme exigirt und
bewilligt ist, für welche nach der Intention der gesetzgebenden Faktoren die spezielle Liqui-
dation nur als Motivirung dienen soll ¹) (s. auch oben S. 81 f.).
4. Eine Folge der Zeitbeschränkung des Finanzgesetzes ist, daß Summen,
welche von der Regierung exigirt worden, aber im Laufe des Finanzjahres bezw. der
Finanzperiode nicht zur Verwendung kamen, wieder an die Staatskasse zurückfließen und
dann zu jeder andern Art von Staatsausgaben, insbesondere auch für den laufenden
Dienst der nächsten oder einer spätern Finanzperiode verwendet werden können. Ueber
die ausnahmsweise Zulässigkeit der Uebertragung von „Resten“ einer
früheren Finanzperiode s. oben S. 81 u. 86. Findet eine Uebertragung nicht statt
und wird die betreffende Summe auch nicht nachträglich für eine weitere Finanzperiode
der Regierung zur Verfügung gestellt, so bildet der Betrag wieder einen Bestandtheil
des verfügbaren Staatsvermögens.
5. Die Summen, welche auf diese Weise in die Staatskasse zurückfließen, sowie die
Ueberschüsse, welche durch den thatsächlichen Mehrertrag der Einnahmen über die Vor-
anschläge oder durch den wirklichen Minderbetrag der im Etat veranschlagten Ausgaben
im Laufe einer Finanzperiode sich ergeben, bilden das sog. Restvermögen und damit
den Gegenstand der Restverwaltung, welche sich im Gegensatze zur laufenden Ver-
1) Vgl. auch Mohl, II 8 280, Widenmeyer S. 21f. und Riecke, Verf. S. 394 f. Ueber
die Spezialifirung der Etats in Kapitel, Titel und Positionen s. Widenmeyer S. 12 ff.