Full text: Handbuch des Öffentlichen Rechts. Band III.1.2. Das Staatsrecht des Königreichs Württemberg. (2)

§ 72. Das Gemeindebürgerrecht. 225 
anzugehören, besteht nicht mehr; da — wenn auch der § 62, vgl. m. § 19 der V. U., 
welcher dies bestimmt hatte, nicht ausdrücklich aufgehoben worden — jetzt das Recht jedes 
Gemeindebürgers, ohne Erwerb eines Bürgerrechts in einer andern Gemeinde auf sein 
Gemeindebürgerrecht zu verzichten, prinzipiell anerkannt ist ¹). 
A. Die Erwerbung des Gemeindebürgerrechts erfolgt: 
1. Durch Abstammung, indem mit der Geburt die ehelichen Kinder das 
Bürgerrecht ihres Vaters, die unehelichen das Bürgerrecht ihrer Mutter erwerben, auch 
an dem Bürgerrechts-Erwerb und -Verlust derselben bis zum vollendeten 25. Jahre theil- 
nehmen ²). Mit letzterem Zeitpunkte treten die Kinder in den selbständigen Besitz des- 
jenigen Bürgerrechts, welches ihnen bis dahin Kraft Abstammung zustand. 
2. Für Frauen durch Verehelichung mit einem Gemeindebürger. Nach 
Auflösung der Ehe, oder wenn die Ehefrau von ihrem Gatten böslich verlassen wird, ge- 
langt die Ehefrau in den selbständigen Besitz des Bürgerrechts, welches der Ehemann in 
diesem Zeitpunkte besaß. 
3. In Folge der Ertheilung (Aufnahme) durch den Gemeinderath. Eine 
solche setzt voraus: a) Besitz der württ. Staatsangehörigkeit ³); b) daß der Aufzunehmende 
das 25. Lebensjahr zurückgelegt hat; c) irgend eine Vermögens- oder Einkommenssteuer 
an die Gemeinde entrichtet, oder wenn solche gefordert würde, zu entrichten hätte; d) daß 
bei dem Aufzunehmenden nicht einer derjenigen Umstände zutrifft, welche (s. u.) den zeit- 
weisen Ausschluß vom Wahlrechte begründen ⁴). Liegen diese Voraussetzungen vor, so besteht 
ein Anspruch auf Ertheilung des Bürgerrechts, wenn der Aufzunehmende daneben 
entweder: 
α) seit den drei vorangegangenen Rechnungsjahren innerhalb des Gemeindebezirks 
ununterbrochen irgend eine Vermögens- oder Einkommenssteuer und außerdem 
Wohnsteuer ⁵) an die Gemeinde entrichtet hat, bezw. wenn eine solche Steuer 
gefordert würde, zu entrichten gehabt hätte, o der er 
β) neben der Wohnsteuer an Staats-, Amtskörperschafts- und Gemeindesteuern aus 
Grundeigenthum, Gebäuden und Gewerben für das zuletzt vorangegangene Rech- 
nungsjahr in dieser Gemeinde wenigstens 50 M. ⁶) entrichtet hat — im Falle 
α und β jedoch nur unter der Voraussetzung, daß der Antragsteller nicht 
 
1) Unbedingt allerdings nur für die außerhalb des Gemeindebezirks wohnenden Bürger; s. u. 
B. 2, vgl. m. Art. 36 Z. 2, 37 a. a. O. u. R. Gaupp, Verf. Urk. S. 69 (2. Aufl.) u. Fleisch- 
hauer im A. Bl. d. M. d. J. 1885 S. 369. Die gesetzgebenden Factoren nahmen, wenn auch irr- 
thümlich (s. I. Aufl. S. 176) an, daß schon durch das R.G. v. 1. Juni 1870 die §§ 19 u. 62 
der Verf.U. ausgehoben seien; Fleischhauer a. a. O. S. 372. 
2) Also auch die unehelichen Kinder an dem Bürgerrechtserwerb der Mutter, wenn diese den 
natürlichen Vater ehelicht; s. o. Nr. 2, eheliche an dem Bürgerrechtserwerb des Vaters zwischen 
Konzeption und Geburt. Mit dem Zeitpunkte der Legitimation verliert das uneheliche Kind sein 
bisheriges Bürgerrecht nur, sofern der legitimirende Vater ein Bürgerrecht besitzt, da die Art. 3 
Abs. 2, Art. 4 u. folgeweise korrekt der Art. 36 Z. 6 nur auf ein bestehendes Bürgerrecht bezogen 
werden können und das Erlöschen des bis dahin vorhandenen Bürgerrechtes im Anschluß an das 
bisherige Recht nur als die Folge des Erwerbs eines anderen Bürgerrechtes auffassen; s. auch 
Beutter zu § 36; a. M. die Rez. im A.Bl. des M. d. Inn. 1886, S. 15. Ganz dasselbe muß 
nach Art. 4 gelten, wenn die Mutter einen bürgerrechtslosen Ehemann heirathet. 
3) Ein auffallender Rückschritt gegenüber dem bisherigen Gesetz v. 6. Juli 1849, welches 
bei vorhandener Gegenseitigkeit auch den Angehörigen anderer deutscher Staaten das Gemeinde- 
wahlrecht eingeräumt hatte. 
4) Art. 6 a. a. O. u. Bekanntm. v. 30. März 1886 (R. Bl. S. 145). 
5) Von 2—4 M. f. u. 
6) Ein Betrag, welcher durch Ortsstatut bis auf 25 M. herabgesetzt oder bis auf 100 M. 
erhöht werden kann. 
Handbuch des Oeffentlichen Rechts III. 2. Aufl. Württemberg. 15
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.