§ 72. Das Gemeindebürgerrecht. 227
4. durch Erwerbung des Bürgerrechts in einer andern Gemeinde, sofern
der Erwerber sich nicht sein früheres Bürgerrecht vorbehalten hat (s. o.);
5. bei Frauen durch Verehelichung mit dem Bürger einer andern Gemeinde (s. o.);
6. bei unehelichen Kindern, wenn der Vater, welcher die uneheliche Mutter ehe-
licht, das Bürgerrecht in einer andern Gemeinde besitzt ¹).
C. Streitigkeiten über den Besitz des Gemeindebürgerrechts, über den Anspruch auf
Ertheilung desselben, über den Vorbehalt des Bürgerrechts, sowie über den Anspruch auf
Theilnahme an den Gemeindenutzungen, soweit sie nicht privatrechtlicher Natur sind, ferner
über den Anspruch auf den Genuß von Stiftungen und andern Vermögensvortheilen ²),
gehören vor die Kreisregierungen als Verwaltungsgerichte erster Instanz ³).
D. Die Gemeindeeinwohner, welche das Bürgerrecht nicht besitzen, sind zwar wie
die Bürger zur Benützung der öffentlichen Gemeindeanstalten berechtigt und zur Theil-
nahme an den Gemeindelasten verpflichtet; dagegen stehen ihnen die besonderen Rechte der
Bürger (s. o.) nicht zu ⁴).
Auf den Bürgern wie auf den bloßen Gemeindeeinwohnern lastet insbesondere:
a) Die Pflicht zur Leistung von Gemeindediensten (früher sog. Gemeinde-
frohnen). Solche Dienste können von allen selbständigen steuerpflichtigen Einwohnern
für Gemeindezwecke, insbesondere zur Unterhaltung der öffentlichen Wege und zur Hand-
habung der öffentlichen Ordnung und Sicherheit gefordert werden, übrigens nur soweit
sie keine besonderen Fachkenntnisse voraussetzen; — Fuhrdienste nur von denzjenigen,
welche im Gemeindebezirk Zugthiere halten ⁵). Frauen sind nur zur Leistung von Fuhr-
diensten verpflichtet. Leistung durch Stellvertreter ist zulässig, auch kann Befreiung durch
entsprechende Ersatzleistung erlangt werden ⁶). Gewisse Kategorien von Personen sind
von den Gemeindediensten mit Ausnahme der Fuhrdienste befreit; in Fällen außer-
ordentlichen Bedürfnisses — zur Ausführung von Schutzmaßregeln oder zur Hilfeleistung
— können jedoch alle Einwohner ohne Unterschied zur persönlichen Leistung der Dienste
angehalten werden ⁷).
Sämmtliche männliche Einwohner vom vollendeten 18. bis zum voll-
endeten 50. Lebensjahre sind ferner, wenn in der Gemeinde eine freiwillige oder eine
Berufsfeuerwehr nicht besteht, zum Eintritt in die Pflichtfeuerwehr der Gemeinde,
und zur Dienstleistung bei Brandfällen sowohl in der eigenen Gemeinde als in den
Nachbarorten, sowie zur Theilnahme an den erforderlichen Uebungen und Musterungen
nach den näheren Bestimmungen der Landesfeuerlöschordnung von 1885 ⁸) verpflichtet.
die zwangsweise Beitreibung der bis dahin verfallenen Rekognitionsgebühr nicht aus. S. auch
Boscher's Z., 1886 S. 119.
1) A. a. O. 36, 39, 40; s. auch oben S. 225 N. 2.
2) Art. 33 a. a. O.
3) Die Klage ist binnen eines Monats von Eröffnung des gemeinderäthlichen Beschlusses,
welcher den Gegenstand der Anfechtung bildet, bei dem Verwaltungsgericht einzureichen, widrigen-
falls das Recht zur Anfechtung verloren geht; a. a. O. Art. 62 a. E. vgl. m. Art. 10 des Ges.
v. 16. Dez. 1876.
4) Also namentlich nicht die Wahlrechte; a. a. O. Art. 1 u. 46 (über das frühere Recht
s. d. I. Aufl.).
5) In zusammengesetzten Gemeinden sowohl für die Gesammtgemeinde als für die Theil-
gemeinde des Wohnsitzes; a. a. O. Art. 53, 62, vgl. mit Art. 14 Abs. 5 des Ges. v. 17. Sept. 1853.
6) A. a. O. Art. 48.
7) Das Nähere über diese Gemeindedienste s. a. a. O. Art. 47—54. Ueber die Frohnpflicht
sämmtlicher erwachsener Ortseinwohner behufs der Abräumung des Bauschuttes bei Brandfällen
s. die LandesfeuerlöschO. v. 7. Juni 1885 Art. 35. Diese Frohnpflicht kann in Nothfällen vom
Oberamt auch den Bewohnern der im Hilfsverband stehenden Nachbargemeinden ohne Rücksicht auf
die Grenzen des Oberamtsbezirks auferlegt werden; a. a. O.
8) Art. 14—19 vgl. m. Art. 7; hier auch die Ausnahmen von dieser Pflicht.
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