Full text: Handbuch des Öffentlichen Rechts. Band III.1.2. Das Staatsrecht des Königreichs Württemberg. (2)

228 Siebenter Abschnitt: Die Selbstverwaltung und ihre Organe. I. Die Gemeinden. § 73. 
b) Von allen im Gemeindebezirk wohnenden, selbständig auf eigene Rechnung 
lebenden Personen ¹), einschließlich der Gemeindebürger, wird eine Personalabgabe, die 
sog. Wohnsteuer erhoben, und zwar nach den drei Klassen der Gemeinden, im Be- 
trag von jährlich höchstens 2, 3 bezw. 4 Mark. Frauenspersonen zahlen nur die Hälfte ²). 
§ 73. IV. Die Organe der Gemeindeverwaltung sind der Gemeinderath und dessen 
Vorstand, der Ortsvorsteher (Schultheiß, in den Städten Stadtschultheiß, in einigen 
größeren Städten mit dem vom Könige verliehenen Titel Oberbürgermeister) sowie als 
Vertretung der Bürgerschaft der Bürgerausschuß. Die Berufung zur Ausübung dieser 
Funktionen erfolgt mit einer Ausnahme (s. u. S. 233 Nr. 3) durch direkte Wahl der 
Gemeindegenossen (s. A.). Die von der Gemeinde für einzelne Geschäftszweige angestellten 
besonderen Beamten (s. B. 3) sind dem Gemeinderathe und dem Ortsvorsteher untergeordnet. 
A. Der Gemeinderath. 1. Geschäftsaufgabe und Geschäftsbehandlung. Dem Ge- 
meinberath steht die Verwaltung aller Gemeindeangelegenheiten ³) zu. Er hat die Rechte der 
Gemeinde gegenüber den Staatsbehörden zu vertreten, gegen Mißbräuche im Innern und 
gegen Eingriffe von Außen zu wahren, im Namen der Gemeinde zu berathen, zu beschließen, 
zu sprechen und zu handeln ⁴). Daneben hat er die ihm vom Staate übertragenen Geschäfte 
zu besorgen. Er kann sich nur auf Berufung durch den Vorstand versammeln ⁵). 
Jedes Mitglied ist hierbei einzuladen ⁶), es wäre denn, daß der Gegenstand der Berathung 
das Mitglied oder dessen Verwandte oder Schwäger bis zum zweiten Grad einschließlich 
persönlich angeht und das Mitglied sich deßhalb der Theilnahme an der Berathung und 
Beschlußfassung zu enthalten hat ⁷). Der Gemeinderath darf nur in versammelter Sitzung, 
also nicht im Wege schriftlicher Umfrage, berathen und beschließen. Die Beschlüsse 
werden nach der Stimmenmehrheit gefaßt ⁸); im Falle der Stimmengleichheit hat der Vor- 
stand die entscheidende Stimme, sonst steht ihm ein Stimmrecht nicht zu. Die Abstim- 
mung geschieht mündlich, soweit nicht für einzelne Fälle geheime Abstimmung beschlossen 
wird ⁹). Bei Wahlen ist letztere vorgeschrieben 10). Zur Giltigkeit eines Beschlusses wird 
 
1) S. hierüber Art. 22 Abs. 2 des G.M.G. 
2) Art. 55 u. 56 des G.A.G. (Befreiung der Landjäger, der Unteroffiziere und Gemeinen 
des Soldatenstandes) u. bezüglich der zusammengesetzten Gemeinden Art. 13 Abs. 1, Art. 14 Absf. 2 
des Ges. v. 17. Sept. 1853. Entscheidend ist der 1. April für das ganze Rechnungsjahr, vorbehalt- 
lich der Bestimmung in § 8 des R. G. v. 1. Nov. 1867. 
3) S. hierüber oben II (S. 221). 
4) V. Ed. § 9, Ges. v. 6. Juli 1849 Art. 5 Abf. 3. 
5) Sollte dieser auch bei dem Gegenstand der Verhandlung persönlich betheiligt sein, und 
sich deßhalb der Theilnahme an der Berathung und Abstimmung zu enthalten haben. Beschlüsse 
eines nicht ordnungsmäßig berufenen Gemeinderaths sind nichtig. 
A 1 Ein Zuwiderhandeln des Vorstandes ist disziplinär zu bestrafen. Ges. v. 6. Juli 1849, 
Art. 17. 
7) Es muß ein individuelles Interesse vorliegen; die Betheiligung ganzer Berufsklassen oder 
Stände genügt nicht; nur bei der Beschlußfassung über Taxen dürfen die betheiligten Gewerbs- 
genossen nicht mitstimmen, Art. 177 des Ges. v. 6. Juli 1849. — Auf die im Gemeinderath zu 
vollziehenden geheimen Wahlen können diese Bestimmungen keine Anwendung finden; denn wenn 
man auch mit dem Min. d. Inn. in jeder Wahl einen gemeinderäthlichen Beschluß finden will, so 
ist doch jedenfalls eine geheime Abstimmung keine „Berathung“, und eine vorherige Kontrolle mit 
der geheimen Abstimmung nicht vereinbar. 
8) Bei Wahlen genügt relative Stimmenmehrheit. — Zur Einleitung des Disziplinarver- 
fahrens gegen den Ortsvorsteher ist eine Mehrheit von 2⁄3 der vereinigten Gemeindekollegien erforder- 
lich; Art. 65 der Verw.Nov. v. 1891. 
9) Die Sitz- und Stimmordnung bestimmt sich nach der Zeit des Eintritts; bei gleichzeitig 
eingetretenen nach der Stimmenzahl; Art. 17 des Ges. v. 6. Juli 1849. Entscheidend ist die 
neueste Wahl; s. auch Boscher's Z. 1862, S. 71. 
10) Jedoch hat auch hier der Vorstand bei Stimmengleichheit die entscheidende Stimme; 
kann also nicht geheim abstimmen. Neben dem Vorstand hat auch der Rathschreiber bei Wahlen 
u. andern geheimen Abstimmungen sich von dem Inhalt jedes Stimmzettels zu überzeugen; M.E. 
v. 16. März 1854, bei Fleischhauer, Beil. 61.
	        
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