Full text: Handbuch des Öffentlichen Rechts. Band III.1.2. Das Staatsrecht des Königreichs Württemberg. (2)

§ 73. Die Organe der Gemeindeverwaltung. 235 
In Polizeisachen hat er die erforderlichen Anordnungen, besonders wenn sie 
mit Kosten verbunden sind, im Gemeinderathe vorzutragen, und wenn er sich bei dem 
Beschlusse des Letzteren nicht beruhigen zu können glaubt, die oberamtliche Entscheidung 
einzuholen. In dringenden Fällen kann er ohne Mitwirkung des Gemeinderaths das 
Erforderliche verfügen ¹). Der Oberamtmann hat über die Ausübung der Polizeigewalt 
durch den Ortsvorsteher „die strengste und beständige Aufsicht zu führen, die Lokalan- 
ordnungen nach vorgängiger Prüfung von Amtswegen zu unterstützen und mit den Landes- 
polizeigesetzen in Uebereinstimmung zu erhalten; rücksichtlich der Ortspolizei in der Ober- 
amtsstadt insbesondere kann und soll er in wichtigen und dringenden Fällen unmittelbar 
und persönlich einschreiten“ ²). 
Im Auftrage der Landesjustizverwaltung ist ferner der Orts- 
vorsteher für seinen Bezirk der Vollstreckungsbeamte und in denjenigen Ge- 
meinden, in welchen sich ein Gerichtssitz nicht befindet, der Zustellungsbeamte 
für diejenigen Zustellungen, welche innerhalb des Gemeindebezirks mittels Behändigung 
durch einen Gerichtsvollzieher zu bewirken sind. Doch können mit Zustimmung der bür- 
gerlichen Kollegien unter Enthebung des Ortsvorstehers von dieser Funktion besondere Ge- 
richtsvollzieher von dem Gemeinderathe gewählt werden, welche der Bestätigung des Amts- 
richters unterliegen ³). Die Ortsvorsteher sind ferner nach Maßgabe des R.G. vom 6. Fe- 
bruar 1875 die Standesbeamten, auch sind sie Hilfsbeamte der Staatsanwaltschaft und 
Schiedsmänner im Sinne des § 420 der Str. P.O. ⁴) und haben, soweit nicht besondere 
Beamte bestellt sind, die Geschäfte der Ortsbehörde für die Arbeiterversicherung zu über- 
nehmen ⁵). Die Befugniß der Ortsvorsteher zur Erlassung von Strafverfügungen in 
den hierzu geeigneten Fällen von Uebertretungen ⁶), sowie zur Erkennung von Strafen wegen 
Ungehorsams oder Ungebühr erstreckt sich in Gemeinden I. Klasse bis zu sechs Tagen Haft 
und 36 Mark Geldstrafe, in Gemeinden II. Klasse bis zu vier Tagen bezw. 24 Mark, in 
Gemeinden III. Klasse bis zu zwei Tagen bezw. 12 Mark ⁷). Im Disziplinarverfahren 
gegen Gemeindebeamte ist er auch auf Verweis zu erkennen befugt ⁸). 
Der Ortsvorsteher wird von den wahlberechtigten Gemeindebürgern ⁹) auf Lebenszeit 
gewählt. Ueber die Wahlberechtigung gelten dieselben Bestimmungen wie bei den Ge- 
meinderathswahlen (s. o. S. 230 f.) 10). Wählbar ist jeder Deutsche 11), welcher das 25. Lebens- 
  
1) A. a. O. § 41, vgl. m. § 113. Die Beschränkung des Gemeinderaths auf solche poli- 
zeiliche Angelegenheiten, welche ihm durch ausdrückliche Bestimmung des Gesetzes oder durch Ver- 
fügung höherer Behörden zugewiesen sind, ist mit dem Gesetze nicht vereinbar (A. M. Fleisch- 
hauer S. 60). Dagegen ist die Ausübung der Polizeistrafjustiz jetzt dem Ortsvorsteher allein 
zugewiesen s. Art. 2—5 der Pol. Str. Nov. v. 12. Aug. 1879. 
2) A. a. O. §§ 112, 113 vgl. m. Art. 16 der Verw. Nov. 
3) Ausf.G. z. G. V.G. Art. 29—32. 
4) V.O. v. 27. Sept. 1879 u. Art. 6 des Ausf.G. z. Str. Pr. O. 
5) M. Verf. v. 18. Juni 1890 § 1 R. Bl. S. 86. 
6) Nämlich bei einfachen polizeilichen Uebertretungen (Art. 9 ff. der Pol. Str. Nov. v. 1879); 
bei forstpolizeilichen Uebertretungen (Art. 40 des Forst. P. Str. G. v. 8. Sept. 1879); bei 
Hinterziehung örtlicher Verbrauchsabgaben (Art. 35 des Steuer Str. G. v. 25. Aug. 
1879); dazu die Abrügung von Dienstverfehlungen der Mitglieder der Gemeindekollegien 
und der Gemeindebeamten i. e. S. (Art. 58 Z. 1 der Verw.Nov. v. 1891). 
7) Ges. v. 12. Aug. 1870 Art. 2—5, 11. Eine Strafgewalt als Vorstand des Kirchenkonvents 
(s. o.) besteht nicht mehr. Boscher's Z. B. XXX 313f. 
8) Verw.Nov. v. 1891 Art. 57 Nr. 1 a vgl. m. Art. 58 Nr. 1. 
9) Art. 12 ff. der Gem. Ang. G. v. 1885. 
10) Art. 4 ³ der Verw.Nov. v. 1891 vgl. mit Art. 9 ff. des Ges. v. 6. Juli 1849. 
11) Besitz der württ. Staatsangehörigkeit oder eines Gemeindebürgerrechts ist hiernach nicht 
erforderlich, dagegen erwirbt der Gewählte in Folge der Bestätigung das württ. Staatsbürgerrecht 
(R.G. v. 1. Juni 1870 § 9) u. das Gemeindebürgerrecht (Art. 10 des Gem. A.G.).
	        
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