236 Siebenter Abschnitt: Die Selbstverwaltung und ihre Organe. I. Die Gemeinden. § 73.
jahr zurückgelegt hat, sofern er nur nicht wegen Verurtheilung zur Zuchthausstrafe dauernd,
oder wegen eines der oben S. 97 II Lit. a—e angeführten fünf Ausschließungsgründe ¹) zeit-
weise von der gemeindebürgerlichen Wählbarkeit ausgeschlossen ist. Von dem Erforderniß
des zurückgelegten 25. Lebensjahrs kann aus besonderen Gründen bei der Bestätigung dispen-
sirt werden ²). Die Wahlkommission wird durch den Oberamtmann, einen von ihm bestellten
Protokollführer und ein vom Gemeinderath gewähltes Gemeinderathsmitglied gebildet ³).
Die Wahl selbst erfolgt nach den Vorschriften über die Gemeinderathswahlen ⁴). Als gewählt
gilt derjenige, welcher verhältnißmäßig die meisten der gültig abgegebenen Stimmen erhalten
hat. Die Wahl bedarf der Bestätigung, welche in den Gemeinden I. Klasse durch den
König, in den übrigen Gemeinden durch die Kreisregierung ertheilt wird. Im Falle der
Stimmengleichheit kann jeder der mit den meisten Stimmen bedachten Bewerber bestätigt
werden ⁵). Wird die Bestätigung durch die Kreisregierung versagt, so steht dem Gewählten
das Recht der Beschwerde an das Ministerium des Innern zu. Hat der Gewählte mehr als
zwei Drittel aller abgegebenen Stimmen auf sich vereinigt, so darf die Bestätigung ⁶) nur
versagt werden, wenn sich der Disziplinarhof für Körperschaftsbeamte (s. o. S. 165)
dahin ausgesprochen hat, daß der Gewählte zur Verwaltung des Amts untauglich sei ⁷).
— Im Falle der Nichtbestätigung ist eine neue Wahl vorzunehmen. Wenn auch diese
nicht bestätigt wird, so ist die Staatsregierung befugt, die erledigte Stelle einstweilen
durch einen von ihr zu bestellenden Amtsverweser auf Kosten der Gemeinde verwalten zu
lassen, in diesem Fall ist aber spätestens nach Ablauf eines Jahres ein neues Wahlverfahren
einzuleiten ⁸).
Eine Pflicht, die Wahl anzunehmen, besteht auch für Gemeindebürger nicht. Die Be-
eidigung und die Einweisung in die Stelle findet öffentlich durch den Oberamtmann statt ⁹).
Der Ortsvorsteher erhält für seine ordentlichen Dienstverrichtungen eine feste Besoldung 10)
aus der Gemeindekasse, neben welcher er in der Regel 11) nur bei Verrichtungen außerhalb
des Gemeindebezirks Taggeld und Reisekosten und in den gesetzlich bestimmten Fällen Ge-
bühren anzusprechen hat 12).
1) Art. 14 Z. 1—5 des Gem. A.G.
2) Verw.Nov. Art. 2.
3) Ueber die Wahlkommission in Gemeinden über 10 000 Einwohner, wenn vom Vorstand
des Bezirks die Wahl in mehreren Räumlichkeiten angeordnet wird, s. Art. 24 der Verw.Nov.
4) Verw. Nov. Art. 4 Abs. 1 u. 3; es gelten also namentlich die Art. 9 Abs. 3 u. 4, 10 Abs. 2—4,
11 Abs. 1 (Fortsetzung der Wahl, wenn nicht mehr als die Hälfte der Wahlberechtigten abgestimmt
haben, Art. 12 Abs. 1 Satz 2, Abs. 3 u. 4 des Ges. v. 6. Juli 1849). Nur wird über die Be-
schwerde gegen die Gültigkeit der Wahl in Gemeinden 1. Klasse vom Ministerium des Innern, in
den übrigen Gemeinden von der Kreisregierung entschieden.
5) Art. 1 Abs. 1, Art. 4 Abs. 2 S. 2 der Gem, Verw.Nov. v. 1891.
6) Auch wo diese dem König zusteht.
7) Verw.Nov. Art. 1 u. 5.
8) A. a. O. Art. 6.
9) Verw. Ed. § 117 Abs. 6. — Ueber den Wohnsitz des Ortsvorstehers in zusammengesetzten
Gemeinden s. das Ges. v. 17. Sept. 1853 Art. 1 Abs. 4.
10) Für die Besoldung ist nach Verhältniß der Zahl der Ortseinwohner eine Scala fest-
gesetzt mit Maximal- u. Minimalgrenze, innerhalb welcher die besonderen Verhältnisse der Gemeinde
Berücksichtung finden können; höhere Gehalte erfordern Genehmigung der Kreisregierung, s. die
folg. Note.
11) Vgl. die M. Verf. v. 20. Febr. 1841 u. 2. Juni 1875 bei Fleischhauer, Beil. Nr. 26.
Besondere Belohnungen erhalten dieselben a) für die Besorgung der Geschäfte des Standesamts,
vgl. die Königl. V.O. v. 4. Okt. u. die M.Verf. v. 23. Sept. 1876 a. a. O. Beil. Nr. 27, b) für
die Besorgung der Geschäfte der Arbeiterversicherung, M. Erl. v. 26. Sept. 1890 a. a. O. Nr. 28,
c) für die Versehung des Gerichtsvollzieherdienstes nach Maßgabe der R.G.O. f. G.V. Außerdem
beziehen fie die für bestimmte Fälle sestgesetzen Gebühren u. haben Antheil an den Gebühren des
Gemeinderaths, s. hierüber S. 234 N. 2.
12) Vgl. die Königl. V.O. v. 742 Juni 1875.