Full text: Handbuch des Öffentlichen Rechts. Band III.1.2. Das Staatsrecht des Königreichs Württemberg. (2)

238 Siebenter Abschnitt: Die Selbstverwaltung und ihre Organe. I. Die Gemeinden. § 73. 
vorstehern verboten ¹). Der Anwalt ist berechtigt, in dringenden Fällen polizeiliche Vor- 
kehrungen zu treffen. Bei geringeren Polizeiübertretungen, namentlich bei Verfehlungen 
durchreisender Fremder gegen die Haus-, Straßen- und Feldpolizei kann er an der Stelle 
des Schultheißen durch Strafverfügung Geldstrafen bis zu 6 Mark sowie die an die 
Stelle der Geldstrafen tretende Haft, jedoch nicht über einen Tag, festsetzen. Außerdem 
beruft und leitet der Anwalt die Sitzungen des Theilgemeinderaths und in Theilgemeinden 
mit weniger als 20 Familien die Zusammenkünfte der stimmberechtigten Gemeindebürger 
zur Berathung der gemeinsamen Angelegenheiten ²). 
3. Neben dem Ortsvorsteher hat jede Gemeinde noch folgende Beamte: 
a) Den Rathschreiber, welcher gegen fixen Gehalt alle im Namen des Gemeinderathes 
zu fertigenden schriftlichen Arbeiten, insbesondere die Aufnahme der Gemeinderathsprotokolle zu 
besorgen hat. Die Funktion des Rathschreibers kommt aber — gegen die dafür bestimmte Beloh- 
nung dem Ortsvorsteher zu, wenn nicht durch ortsstatutarische Vorschrift die Aufstellung eines oder 
mehrerer Rathschreiber angeordnet wird. In diesem Fall wird der Rathschreiber vom Gemeinde- 
rath gewählt und zwar auf bestimmte Perioden von nicht weniger als drei Jahren oder auf Lebens- 
zeit; zur Anstellung auf Lebenszeit ist jedoch Zustimmung des Bürgerausschusses erforderlich. Wird 
der Rathschreiber aus der Mitte des Gemeinderaths gewählt, so behält er seine Stimme als 
Gemeinderath. Nur der Gemeinde- und der Stiftungspfleger dürfen nicht zugleich Rath- 
schreiber sein. Eine Bestätigung durch die Regierung findet nicht statt ³). 
b) Den Gemeindepfleger, welchem die Verwaltung und Rechnungsstellung über das 
Gemeindevermögen — unter Leitung des Gemeinderathes — übertragen ist ⁴). Die Wahl durch 
den Gemeinderath erfolgt entweder (mit Zustimmung des Bürgerausschusses) auf Lebenszeit oder 
auf einen bestimmten Zeitraum von nicht weniger als drei Jahren. Einem Gemeinderathe darf 
dieses Nebenamt nur mit Zustimmung des Bürgerausschusses übertragen werden. Der Orts- 
vorsteher und der Rathschreiber sind jedoch von der Uebernahme dieser Funktion ausgeschlossen. 
Einer Bestätigung der Wahl durch die Regierung bedarf es nicht. Die Betreibung einer Wirth- 
schaft ist dem Gemeindepfleger untersagt (s. o. S. 237 N. 1). In Theilgemeinden wird, sofern 
nicht ein einzelner Gutsbesitzer die Vermögensangelegenheiten allein zu besorgen hat, von sämmt- 
lichen stimmberechtigten Bürgern unter Leitung des Ortsvorstehers auf bestimmte Zeit ein Orts- 
rechner gewählt, welcher zugleich Mitglied des Theilgemeinderathes ist ⁵). Für einzelne Ver- 
mögenstheile und Einkünfte der Gemeinde können ferner vom Gemeinderathe besondere Theil- 
rechner (Waldmeister, Steuereinbringer ꝛc.) entweder auf Lebenszeit oder auf eine bestimmte An- 
zahl von Jahren ernannt werden. Sie sind dann aber nur Unterpfleger des Hauptrechners 
(Gemeindepflegers). Den Theilrechnern, wie den Ortsrechnern ist der Wirthschaftsbetrieb nicht 
untersagt ⁶). — Die Belohnung der Gemeindepfleger besteht theils in einem festen Gehalte, theils 
in Einzugsgebühren. 
c) Die niederen Gemeindediener werden, gleichfalls ohne Regierungsbestätigung, vom 
Gemeinderathe aus den Gemeindeangehörigen auf Wohlverhalten angestellt (Rathsdiener, Polizei- 
diener, Feldschützen, Untergänger ꝛc.) ⁷). 
d) Neben diesen Beamten (a—c) fungiren in den meisten Gemeinden noch sog. Hilfs- 
beamte. Da nämlich die Vorsteher und Rechner, wie auch die Mitglieder des Gemeinderathes 
häufig die zur Erledigung der verschiedenen Geschäfte der Gemeindeverwaltung erforderlichen 
fachmännischen Kenntnisse und Fertigkeiten nicht besitzen, so hat man den Ausweg ergriffen, den 
Gemeinden für einzelne der in Frage stehenden Geschäfte technisch gebildete Hilfsbeamte beizu- 
geben, welche in Wirklichkeit die auf den Namen der Gemeinde bezw. der ordentlichen Gemeinde- 
beamten laufenden Geschäfte erledigen. Dahin gehören: 
α) Der Verwaltungsaktuar zur Besorgung der den Ortsvorstehern und Gemeinde- 
pflegern obliegenden, auf den Gemeindeetat und das Gemeinderechnungswesen bezüglichen 
Geschäfte ⁸). 
1) Ges. v. 17. Sept. 1853 Art. 8, G. A. G. v. 1885 Art. 183. 
2) Ges. v. 17. Sept. 1853 Art. 4 u. 8, Ges. v. 12. Aug. 1879 Art. 11u. G. A. G. a. a. O. 
3) Verw. Ed. v. 1822 § 20, Verw. Nov. v. 1891 Art. 8, Ges. v. 6. Juli 1849 Art. 22. 
4) Ueber die Vertheilung der Geschäfte unter mehrere Beamte mit selbständiger Verant- 
wortung in Gemeinden von mehr als 10,000 Einwohnern s. Verw.Nov. v. 1891 Art. 21. 
5) Ges. v. 17. Sept. 1853 Art. 8. 
6) Erk. des Geh. Raths v. 4. Juni 1836 bei Fleischhauer Beil. Nr. 92. 
7) Verw. Ed. § 44. Vgl. bezüglich der Untergänger die M.Verf. v. 24. Juni 1869 (R.Bl. 
S. 213) u. A. Bl. des Min. d. Inn. 1887 S. 363, Wächter, Württ. Pr. R. I S. 46, bezüglich 
der Bauschauer die BauO. v. 1872 Art. 83 u. die M.Verf. v. 23. Nov. 1882 § 64; bezüglich der 
Ortsfeuerschauer d. Königl. V.O. v. 16. Dez. 1876 §3 32ff. 
8) Vgl. Verw. Ed. §§ 33 ff. u. V.O. v. 10. Febr. 1837. Ueber ihre Funktion u. Belohnung 
s. Z.-Huzel, S. 78 ff. 
 
	        
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