§ 73. Die Organe der Gemeindeverwaltung. 243
Gesetze vom 14. Juni 1887 betreffend die Vertretung der evangelischen Kirchengemeinden bezw.
der katholischen Pfarrgemeinden vollzogen, indem diese Gesetze die Verwaltung aller kirchlichen
Stiftungen den neugeschaffenen Organen der Kirchengemeinde überwiesen. Dabei wurde jedoch¹)
denjenigen Gemeinden, in welchen die Gemeindegenossen in ihrer überwiegenden Mehrheit der
evangelischen oder der katholischen Kirche angehören und der kirchliche Aufwand bisher ganz oder
zum größeren Theil aus Mitteln der Stiftung gedeckt oder von der bürgerlichen Gemeinde
bestritten wurde, gestattet, den bisherigen Zustand aufrecht zu erhalten d. h. jetzt: die Vertretung
der Kirchengemeinde und die Verwaltung des Kirchenvermögens auch fernerhin dem bisherigen
Stiftungsrath und dem Gemeinderath zu übertragen. Nur muß in diesem Fall 1. die bürger-
liche Gemeinde, soweit die Mittel des Stiftungsvermögens nicht zureichen, die Deckung des kirch-
lichen Aufwands übernehmen und 2. es darf ein Steuerpflichtiger, welcher nicht Genosse der
Kirchengemeinde ist, hierdurch nicht erheblich belastet werden, 3. das Uebereinkommen bedarf der
Genehmigung des ev. Konsistoriums bezw. des bischöflichen Ordinariats und der Kreisregierung
und kann mit einer Kündigungsfrist von drei Jahren jederzeit auf Antrag des Stiftungsraths
oder Gemeinderaths oder von Amtswegen unter Angabe der maßgebenden Gründe durch Ver-
fügung des evangelischen Konsistoriums bezw. des bischöflichen Ordinariats oder der Kreisregie-
rung aufgehoben werden ²). Es bestehen hiernach zur Zeit zwei verschiedene Kategorien von Ge-
meinden in Württemberg: Die große Mehrzahl, in welchen auf Grund der neuen Gesetzgebung
die Verwaltung des kirchlichen Vermögens besonderen Organen der Kirchengemeinde ³) zugewiesen,
die hiervon ausgeschiedenen weltlichen Stiftungen dagegen den Organen der politischen Gemeinde
nach Maßgabe der zu diesem Zwecke erlassenen neuen Vorschriften der Verwaltungsnovelle vom
21. Mai 1891 übertragen sind (s. Lit. a) und die übrigen Gemeinden, in welchen auf Grund
der obigen Bedingungen zur Zeit noch das alte Recht — die Einheit der politischen und
kirchlichen Gemeinde und die damit zusammenhängende bisherige Organisation — aufrecht erhalten
ist (Lit. b).
a) Wo die Ausscheidung des örtlichen Kirchenvermögens vollzo gen ist,
steht die Verwaltung der in jeder Gemeinde vorhandenen Stiftungen ⁴), welche für wohl-
thätige oder sonst gemeinnützige Zwecke der Gemeinde oder ihrer Angehörigen bestimmt
und nicht ausschließlich kirchlicher Natur sind ⁵), mit Einschluß der für jene Zwecke mit-
bestimmten Familienstiftungen ⁶), wofern die Stifter keine anderweitigen Vorschriften über
die Verwaltung getroffen haben, oder deren Ausführung nicht mehr möglich ist, dem
Gemeinderath zu, in Theilgemeinden dem zur Verwaltung der Gemeindeangelegen-
heiten berufenen Organ ⁷).
Zum Zwecke der Vollziehung des Stiftungsetats, der Deeretur der einzelnen im
Etat vorgesehenen Einnahmen und Ausgaben, der speziellen Verwendung der Stiftungs-
erträgnisse und der Besorgung der laufenden Verwaltung überhaupt, soweit solche nicht
ausdrücklich dem Gemeinderath zugewiesen ist, kann durch Beschluß der bürgerlichen Kol-
legien ein Ausschuß bestellt werden, welcher aus dem Ortsvorsteher und zwei bis
fünf weiteren, vom Gemeinderath je auf zwei Jahre aus seiner Mitte zu wählenden Mit-
gliedern besteht. (Verwaltungsausschuß.) Der Gemeinderath kann für die Verwaltung
der Gemeindestiftungen besondere Rechner bestellen oder die Verwaltung dem Gemeinde-
pfleger übertragen; im ersteren Fall finden auf die besonders bestellten Stiftungsrechner die
für den Gemeindepfleger bestehenden Vorschriften Anwendung, nur ist ihre Belohnung
von den betreffenden Stiftungskassen zu tragen.
1) Um dem aus rein praktischen Erwägungen und aus Anhänglichkeit an das bestehende
Recht sehr angefochtenen Gesetz eine Mehrheit in der Ständekammer zu sichern.
2) K.Gem. G. v. 14. Juni 1887 Art. 92.
3) Welche jetzt im protestantischen und katholischen Landes-Kirchenrecht darzustellen sind.
4) D. h. eben ein einem bestimmten Zweck gewidmetes Vermögen, ob mit oder ohne selb-
ständige Persönlichkeit ist gleichgiltig. ·
5) Vgl. hierüber Art. 30 ff. des evangelischen, Art. 22ff. des katholischen Kirchengemeinde G.
Die Verwaltung der ausschließlich kirchlichen Stiftungen ist von den Kirchengemeinderäthen, bezw.
den Kirchenstiftungsräthen nach den Vorschriften dieser Gesetze zu führen.
6) S. hierüber Fleischhauer a. a. O. S. 157 N. 7 ff.
7) Ges. v. 17. Sept. 1853 Art. 8², 5, 6.
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