Full text: Handbuch des Öffentlichen Rechts. Band III.1.2. Das Staatsrecht des Königreichs Württemberg. (2)

§ 73. Die Organe der Gemeindeverwaltung. 245 
armenbehörde unterliegen (s. Nr. 2) — ein aus den Ortsgeistlichen und dem 
Gemeinderath zusammengesetzter Stiftungsrath. 
Die Leitung der Geschäfte desselben steht dem ersten Ortsgeistlichen und 
dem Ortsvorsteher gemeinschaftlich zu. Der Ortsvorsteher hat die erste Stimme, 
dann folgen, wo mehrere Geistliche vorhanden sind, die übrigen Geistlichen, 
hierauf die nicht geistlichen Mitglieder. Der erste Geistliche (und Mitvorstand) 
hat bei Stimmengleichheit die entscheidende Stimme. Soweit die Stiftungen 
nur gottesdienstliche Zwecke betreffen, sind von der Berathung diejenigen Mit- 
glieder ausgeschlossen, welche einer andern Konfession angehören ¹). Der Stif- 
tungsrath wählt die erforderlichen Verwalter der Stiftungen entweder auf Lebens- 
zeit oder auf eine bestimmte Zeit von mindestens drei Jahren. Diese Wahl muß 
durch das sog. gemeinschaftliche Oberamt (s. u.) bestätigt werden. In Beziehung 
auf das Disziplinarverfahren, insbesondere die Entlassung gelten für die Stif- 
tungspfleger dieselben Bestimmungen wie für die Ortsvorsteher ²). Die andern 
Diener werden vom Stiftungsrath in widerruflicher Weise gewählt ³). 
In Theilgemeinden bilden die Mitglieder des Theilgemeinderaths mit 
dem Geistlichen der Theilgemeinde den Stiftungsrath für die Verwaltung der 
örtlichen Stiftungen ⁴). 
β) Neben dem Stiftungsrath steht in den bezeichneten Gemeinden der Kirchen- 
konvent mit selbständiger Kompetenz. Derselbe ist ein beständiger Ausschuß 
des Stiftungsraths und besteht aus dem Ortsgeistlichen, dem Ortsvorsteher, dem 
Stiftungspfleger und 2— 3 vom Stiftungsrath aus seiner Mitte gewählten Bei- 
sitzern, in Gemeindeparzellen aus dem Geistlichen, dem Anwalt, dem Stiftungs- 
pfleger und 1—2 Beisitzern. Er ist mit der Vollziehung des Stiftungsetats 
(nach dem solcher vom Stiftungsrath (s. α) und Bürgerausschuß festgestellt 
und vom gemeinschaftlichen Amt bestätigt worden) mit der Dekretur der ein- 
zelnen Ausgaben, der Verwendung der für gewisse Zwecke jährlich ausgesetzten 
Summen im Einzelnen und mit der Besorgung der laufenden Geschäfte im 
Stiftungswesen, außerdem aber auch mit der Sorge für die Kirchenpolizei 
beauftragt ⁵). 
Ueber die Verwaltung der Stiftungen durch Stiftungsrath und Kirchenkonvent, 
über die Mitwirkung des Bürgerausschusses zu den Beschlüssen des Stiftungsraths, über 
1) Verw. Ed. v. 1822 § 120 ff. Sind nicht soviele Mitglieder einer Konfession im Gemeinde- 
rath, daß sie für solche Stiftungen zu gottesdienstlichen Zwecken ein besonderes Kollegium bilden 
können, so sind aus den zu dieser Konfession gehörigen Gemeindebürgern soviele Mitglieder zu 
wählen, daß sie einen besonderen Stiftungsrath bilden. Min. Erl. v. 7. März 1822. 
2) S. Art. 56 ff. 61 der Gem. Nov. v. 1891. 
3) Dahin gehören (wo noch ein Stiftungsrath besteht) auch die Hebammen (Ges. vom 
22. Juli 1836) u. die Todtengräber, ferner die Meßner, Organisten, Kantoren ꝛc., soweit die Stelle 
autt mit einem Schulamt verbunden ist oder Dritten das Ernennungsrecht aus besonderem Titel- 
zusteht. 
4) Diesen kommen hier auch die Funktionen des Kirchenkonvents (s. u.) zu; s. d. Ges. vom 
17. Sept. 1853 Art. 8. · 
5) Verw. Ed. 8 132. Ueber das Geschichtliche s. Mohl II S. 436 N. 1 u. Steinheil 
a. a. O. S. 277f. Die Strafgewalt ist ihm durch die neueste Gesetzgebung gänzlich entzogen, also 
auch die Handhabung der Sittenpolizei durch weltliche Zwangs- u. Strafmittel; denn auch der Art. 
46 des Polizei Str. G. v. 27. Dez. 1871 findet hier keine Anwendung; die schulpolizeilichen Funktio- 
nen aber sind durch das Ges. v. 13. Juli 1891 auf die Ortsschulbehörde übertragen. Eben deßhalb 
stehen, wo die Ausscheidung der kirchlichen Stiftungen vollzogen ist, solche weltliche Straf- und 
Zwangsmittel in Sachen der Kirchen- u. Sittenzucht auch nicht auf Grund des Art. 507 des Ges. 
v. 14. Juni 1887 u. des Art. 5 Abs. 3 des kirchl. Ges. v. 29. Juli 1888 dem Kirchengemeinde- 
rath zu; s. auch Steinheil a. a. O. S. 278 ff. 308 f.; nicht richtig in dieser Beziehung der Kons. Erl. 
v. 31. Aug. 1872 im Kons. Amtsbl. B. V S. 2095 ff. 
 
	        
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