874. Der Gemeindehaushalt. 253
Jeder Gemeinderechner hat seine Rechnung sofort nach dem Schlusse des Rech-
nungsjahrs jedenfalls so bald zu stellen, daß sie noch vor dem Schlusse des neuen Rechnungs-
jahrs abgehört werden kann. — Sollte der Ortsvorsteher und der Rechner zur eigenen
Bearbeitung der ihnen obliegenden Rechnungsgeschäfte (Entwerfung des Gemeinde= und
Stiftungsetats, Steuersatz, Kommunschadensumlage, Führung der einzelnen Rechnungen 2c.)
nicht die nöthige Kenntniß und Fertigkeit besitzen, so kann der Gemeinderath zu diesem
Zwecke einen besonderen, auf jedes Verwaltungsjahr entlaßbaren Hilfsbeamten (sg. Ver-
waltungsaktuar) aufstellen (s. o.)).
Sobald die Rechnung gestellt ist, wird sie in Abwesenheit des Rechners der versam-
melten Gemeinde durch den Rathschreiber vorgelesen2), sofort durch den Gemeinderath und
dann durch den Bürgerausschuß geprüft), hierauf mit den Bemerkungen beider Kollegien
dem Oberamt vorgelegt, welches die Revision und Abhör noch vor dem Ablauf des neuen
Rechnungsjahres zu besorgen hat“).
In Städten von mehr als 10000 Einwohnerrn finden diese Vorschriften über
die Revision und Abhör der Gemeinderechnung durch das Oberamt keine Anwendung?).
In zusammengesetzten Gemeinden ist für die einzelne Theilgemeinde, wenn sie
20 oder mehr Familien begreift, durch den Ortsrechner eine regelmäßige Rechnung zu
stellen, welche durch den Anwalt (wo der Schultheiß seinen Wohnsitz hat, durch diesen)
den Ortseinwohnern zu verkünden und dem Oberamt zur Revision einzusenden ist. In
kleineren Theilgemeinden dagegen ist eine Rechnungsstellung nur erforderlich, wenn Schulden
vorhanden sind oder eine Umlage nach dem Steuerfuß stattfindet, während es im Uebrigen
genügt, wenn der Ortsrechner den Einwohnern die gehörig aufgezeichneten Einnahmen und
Ausgaben jährlich vorträgt. Auch bedarf es einer Rechnung nicht, wenn in einer Theil-
gemeinde der Eigenthümer des ganzen oder des überwiegend größten Theils der Markung
oder mehrere gemeinschaftlich wirthschaftende Eigenthümer den gesammten örtlichen Aufwand
aus eigenen Mitteln bestreiten J.
C. Die Oberausfsicht über den Gemeindehaushalt führt das Oberamt, welches nicht
nur (s. B) die Rechnungs= und Kassenkontrolle auszuüben, sondern auch in angemessenen
Zwischenräumen eine umfassende Untersuchung der Amtsthätigkeit der Gemeindebehörden
und des gesammten ökonomischen — wie des polizeilichen — Zustands der Gemeinden an
Ort und Stelle vorzunehmen hat. Diese Untersuchung ist in der Regel alle drei Jahre,
in den Oberamtsstädten alle sechs Jahre vorzunehmen; nur in den Städten von mehr als
10 000 Einwohnern findet eine solche Visitation in der Regel nicht statt?). Hierbei wird
dann auch sämmtlichen Männern der Gemeinde, welche das 16. Lebensjahr zurückgelegt
Nr. 138) mit Art. 15 Z. 9 u. Abs. 2 der Verw.Nov. v. 1891. Durch Art. 35 des Gem.Ang.G. ist,
wie der Art. 15 Z. 9 ergibt, dieses Vertheilungsrecht nicht aufgehoben, wohl aber dürfte die Be-
schränkung der Vertheilung auf sog. „Aktivbürger“ (G. A. G. Art. 22) beseitigt sein; s. auch
Boscher's 3. B. 35 S. 29 u. Fleischhauer S. 49.
1) Derselbe wird für die einzelnen Geschäfte aus der Gemeindekasse nach Maßgabe des mit
dem Gemeinderath abgeschlossenen, der Genehmigung der Kreisregierung unterliegenden Vertrags
bezahlt. Die Wahl ist dem Oberamt anzuzeigen. Mehrere Gemeinden desselben Oberamts können
sich zur Aufstellung gemeinsamer Verwaltungsaktuare vereinigen; Verw.Ed. §§ 33 u. 35.
2) Verw. Ed. §§ 36 u. 37. Das Vorlesen wird in größeren Gemeinden ersetzt durch das öffent-
liche Auflegen der Rechnung zur Einsicht durch die Gemeindeangehörigen.
3) A. a. O. §§ 58 u. 59.
4) A. a. O. §§ 94 u. 95.
5) Verw.Nov. v. 1891 Art. 26; es gelten hier vielmehr die §§ 17—24 der Vollz.Verf.
zu diesem Gesetz; s. Fleischhauer a. a. O. S. 56 f. u. Beil. Nr. 172—180.
6) Vgl. hierüber das Ges. v. 17. Sept. 1853 Art. 11— 13.
7) Die näheren Vorschriften über diese Visitation sind in der M. Verf. v. 19. Jan. 1892
enthalten, vgl. die Beil. Nr. 223 bei Fleischhauer.