264 Achter Abschnitt: Die Landesverwaltung. I. Die Verwaltung der Rechtspflege. 879.
unterworfene Gerichte ausgeübt wird, wie auch schon der 8 98 der württemberg. V.U.
die Unabhängigkeit der Gerichte in Beziehung auf alle Entscheidungen innerhalb ihres
Berufes sanktionirt hat?).
Die Funktionen des Justizministeriums sind hiernach folgende:
A. Dasselbe schreibt den Gerichten und allen anderen bei der Verwaltung der Rechts-
pflege betheiligten Behörden und Personen, insbesondere den Gerichtsbeamten (Kanzlei= und
Rechnungsbeamten, Notaren und Zustellungsbeamten), der Staatsanwaltschaft und deren Be-
amten ihre formelle Geschäftsordnung in der Form von Dienstanweisungen 2cc. (Ver-
waltungsverordnungen 2c.) innerhalb des Rahmens der Reichs= und Landesgesetze vor.
B. Dem Justizminister steht die Aufsicht über die formelle Geschäfts-
behandlung der Gerichte, gegenüber den Beamten der Staatsanwaltschaft, den Kanzlei-
beamten der Gerichte und der Staatsanwaltschaft, sowie in Beziehung auf die den Gerichten
selbst übertragenen nichtrichterlichen Geschäfte der sog. Justizverwaltung auch die un-
mittelbare Aufsicht und Leitung zu. Zu diesem Zwecke sind nicht nur periodische Bericht-
erstattungen theils unmittelbar an die oberste Justizverwaltung, theils an die zunächst vorgesetzte
Aufsichtsbehörde angeordnet, sondern das Ministerium kann auch Visitationskommissäre abordnen,
deren Visitationsrecesse — soweit es sich um die Visitation der Gerichte und der ihnen unter-
geordneten Beamten handelt, nach vorgängigem Vortrag des Visitationsberichtes im Plenum
des unmittelbar vorgesetzten Gerichts — der Genehmigung des Justizministeriums zu unter-
breiten sind:). Im Zusammenhange mit der Oberaufsicht über die formelle Geschäftsführung
der Gerichte steht dem Justiz-Ministerium auch die Befugniß zu, Beschwerden über verzögerte
oder verweigerte Justizpflege entgegenzunehmen und Abhilfe bei der zuständigen Stelle zu ver-
anlassen?).
C. Zu seinem Geschäftskreise gehört die Behandlung der Diensterledigungs- und Be-
setzungsfälle, soweit dieselbe nicht dem Strafanstalten-Kollegium übertragen ist (s. u.), sowie die
Entscheidung über die Anträge auf Zulassung zur Rechtsanwaltschaft bei den
Gerichten des Königreichs nach gutächtlicher Anhörung des Vorstandes der Anwaltskammer und
nach Maßgabe der Anwaltsordnung").
D. Die Dienstprüfungen für die Aemter und Funktionen im Departement der Justiz werden
unter seiner Leitung durch die hierzu bestellten Prüfungskommissionen vorgenommen. Solche
Kommissionen bestehen
1. für die höheren Dienstprüfungen, deren Erstehung zur Bekleidung aller
Aemter des Departements und zur Zulassung zur Rechtsanwaltschaft befähigt und zwar:
a) für dieerste Prüfung der Rechtskandidaten, welche jährlich zweimal in Tübingen
vorgenommen wird, aus sämmtlichen Professoren der Rechtswissenschaft an der Landesuniversität
und einem hierzu abgeordneten Kollegialrath aus dem Justizdepartement,
b) für die zweite Prüfung (der Justizreferendäre), welche jährlich zweimal in Stutt-
gart stattfindet, aus dem Departementschef als Vorsitzendem und sechs bis sieben Mitgliedern
des Oberlandesgerichts?;:
2. für die niedere Dienstprüfung, welche jährlich einmal in Stuttgart vor-
genommen wird, und deren Erstehung zur Bekleidung von Gerichts= und Amtsnotariaten;, ferner
der Stellen von Expeditoren, Gerichtsschreibern und Kanzleiassistenten der Staatsanwaltschaft,
Pfandhilfsbeamten, Hilfsbeamten für Güterbuchsführung und Notariatsassistenten ) befähigt,
1) Vgll. auch das Ges. über die Verw. Rechtspfl. v. 16. Dez. 1876 Art. 2 u. 4. Die in
Württemberg bestehende theilweise Delegation der Dienstaufsicht an die Gerichte ändert hieran selbst-
verständlich nichts; denn die Gerichte sind, soweit sie die Justizaufsicht ausüben, Organe der Justiz-
verwaltung.
2) Vgl. die neueste Visitationsordnung v. 1. Mai 1883. (Württemberg. Ger. Bl. B. 21 Nr. 10.)
3) Das Nähere hierüber s. bei Gaupp, Komm. z. C.P.O. Anhang S. 33f.
4) Vgl. auch R.A.O. 8§ 3, 9, 10, 22, 23, 25, 47, 49, 61, 110, 116 u. unten § 80. D. 2.
5) Vgl. G. V.G. § 3 und die Königl. V. O. betr. die Dienstprüfungen im Justizdepartement
v. 25. April 1839 u. die Bekanntm. v. 24. Juni 1839 mit den Zusatz-Bestimmungen v. 11. Aug.
1846; dazu die abändernde Min, Verf. v. 3. Jan. 1850; vgl. auch die königl. V.O. betr. die Vor-
bereitung für den Justizdienst v. 31. Aug. 1879 u. 20. Dez. 1881 u. die Min. Verf. v. 1. Juli
1882 u. 6. Okt. 1882. (Württemberg. G. Bl. B. XX S. 353 ff., 452.)
6) Für die Gerichtsvollzieher und Zustellungsbeamten wird keinerlei Befähigungsnachweis,
sowenig als eine bestimmte Vorbildung verlangt; vgl. auch Gaupp, Komm. z. C. P.O. B. I S. 321
N. 16, S. 355 N. 2 u. Anhang S. 51.