270 Achter Abschnitt: Die Landesverwaltung. I. Die Verwaltung der Rechtspflege. li 82.
der uralten Gerichtsbarkeit der Stadt= und Dorfgerichte, welche nach den verschiedensten
Wandlungen in den Grenzen des R.G.V.G. auch noch in der neuesten Gesetzgebung bei-
behalten worden ist!7).
Das Gemeindegericht wird gebildet durch den nach den Gesetzen über die Gemeindever-
fassung besetzten Gemeinderath. Es können jedoch die gemeindegerichtlichen Geschäfte auch einer
mit nur drei Mitgliedern, einschließlich des Abtheilungsvorstandes, besetzten Abtheilung des Ge-
meinderathes und die Obliegenheiten des Abtheilungsvorstandes einem Gemeindebeamten über-
tragen werden. Diesen Gemeindegerichten steht, vorbehältlich der Berufung auf den ordentlichen
Rechtsweg, die Vorentscheidung in bürgerlichen Rechtsstreitigkeiten über vermögensrechtliche An-
sprüche zu, deren Gegenstand an Geld oder Geldwerth in Gemeinden erster Klasse (s. S. 220)
50 M., in Gemeinden zweiter Klasse 40 M., in Gemeinden dritter Klasse 30 M. nicht über-
steigt, wofern der Kläger und der Beklagte in der betr. Gemeinde den Wohnsitz, eine Nieder-
lassung oder im Sinne der §§ 18, 21 der C. P.O. den Aufenthalt haben. Für dingliche Klagen
in Betreff unbeweglicher Sachen, welche außerhalb des Gemeindebezirks liegen, für Ansprüche
aus Wechseln und für die Feststellung von Konkursforderungen ist jedoch die Zuständigkeit des
Gemeindegerichts ausgeschlossen. Die näheren Bestimmungen über das Verfahren vor diesen
Gerichten und über die Form der Berufung auf den ordentlichen Rechtsweg sind in dem Ausf.=
Ges. z. C. P.O. v. 18. Aug. 1879, Art. 3 ff. enthalten. Dieses Gesetz erklärt nicht nur die Ent-
scheidungen der Gemeindegerichte für vollstreckbar, sondern es führt auch in den oben ein-
geführten Streitsachen ein Arrestverfahren vor dem Gemeindegerichte bezw. dessen Vorstand
und für Geldforderungen insbesondere ein Mahnver fahren (Schuldklagverfahren) vor dem
Vorstande des Gemeindegerichts ein; in sämmtlichen drei Richtungen ist zugleich ein — der Be-
rufung auf den Rechtsweg vorangehender — Beschwerdezug nach §§ 530—538 der C. P.O.
an das Amtsgericht geschaffen?).
2. Gewerbegerichte. Besondere Gewerbegerichte im Sinne des R.G. v. 29. Juli
1890 bestehen zur Zeit in zwölf Stadtgemeinden; sie stehen unter der Dienstaufsicht der
Landgerichte,s), sind aber Gemeindeinstitute.
# 82. IV. Die Organe für die Verwaltung der freiwilligen Gerichtsbarkeit. Das
Gebiet dieser Gerichtsbarkeit ist in Württemberg in Folge der vielfachen Bevormundung
des Rechtsverkehrs auf dem Gebiete des Privatrechts, namentlich des Erbrechts, ein sehr
ausgedehntes.
Sieht man von den Entmündigungen, Konkursen und Aufgeboten ab, welche durch die
Reichsgesetzgebung den bürgerlichen Gerichten als Organen der ordentlichen streitigen Gerichts-
barkeit übertragen worden sind, so gehören namentlich folgende Geschäfte in das Gebiet der frei-
willigen Gerichtsbarkeit:
1. die Führung der Gerichtsbücher (öffentlichen Bücher) nämlich: a. des Unter-
pfandsbuches)), b. des Güterbuchesg), c. des Vertragsbuches (Kauf= oder
Kontraktenbuches) ) und im Zusammenhange hiermit das ganze Pfandwesen (Hypotheken-
wesen);
2. das sog. Inventur= und Theilungswesen, d. h. die rechtspolizeilich vorge-
schriebene Thätigkeit bezw. Mitwirkung bei der Aufnahme von Beibringensinventarien und der
Errichtung von Eheverträgen, sowie bei der Auseinandersetzung des Nachlasses von Verstorbenen
(Obsignationen, Testamentseröffnungen, Eventual= und Realtheilungen);
1) Vgl. über die früheren Zustände Wächter, württemberg. Pr. R. B. I S. 42ff., 279ff.,
649 ff. 861 ff., 1015 ff. und über die Aufrechterhaltung der Gemeindegerichte durch das R.G.V.G.
die Prot. der Reichs Justizk. S. 121—130, 577—582. Sitz. 169 S. 12—15. Komm. Ber. S. 16, 17.
Stenogr. Ber. 1876 S. 190—204.
2) Letztere Ausführungsbestimmungen sind allerdings mit dem Wortlaute wie mit dem Sinne
des § 14 Z. 3 des R.G. V.G. kaum vereinbar.
3) Vgl. Ges. v. 14. Apr. 1893 u. die bei Gaupp, Anhang zu C.P.O. S. 34 N. 3 u. S.
VIII angef. Min. Erlasse u. die Vollz. Verf. v. 3. Nov. 1893 (A.Bl. 57).
4) S. hierüber unten A. u. Wächter, II S. 367f.
5) Vgl. das Ges. v. 13. April 1873 und die Min Verf. v. 14. April 1873, ferner die
Min Verf. v. 3. Dez. 1832 betr. die Anlegung 2c. der Gemeindegüterbücher.
6) Vgl. hierüber Wächter, B. II S. 374.