882. Die Organe für die Verwaltung der freiwilligen Gerichtsbarkeit. 271
3. das Vormundschaftswesenz;
4. die auf die Beurkundung des Personenstandes und die Eheschließung be-
züglichen Geschäfte, insbesondere die Führung des Standesregisters (s. S. 222);
5. die Mitwirkung bei der Errichtung gewisser Verträge, namentlich von Adop-
tionen, Einkindschaftsverträgen, Emancipationen, Interzessionen der Frauen, Kauf= und Tausch-
verträgen und einigen anderen Verträgen über liegende Güter, bei der Konstituirung von Servi-
tuten 2c., ferner die Mitwirkung bei Errichtung letztwilliger Verfügungen, sei es nun, daß hier-
bei die Mitwirkung der Behörde eine wesentliche Voraussetzung der Giltigkeit des Vertrages oder
der letztwilligen Verfügung bildet, oder daß sie nur gewisse Wirkungen dieser Geschäfte bedingt;
6. die Verschollenheitserklärung und die Ausfolge des Vermögens Ver-
schollener;
7. die Führung der Handelsregister, einschließlich der Genossenschafts-Zeichen= und
Musterregister (s. u.).
Auch in Sachen der freiwilligen Gerichtsbarkeit sind die Gerichte bei ihren Entscheidungen
nur dem Gesetze unterworfen (V. U. § 93). Das Beschwerderecht der Parteien ½ ist nicht
auf eine bestimmte Zahl von Instanzen beschränkt; vielmehr kann die Beschwerde gegen die
Entscheidungen der Gemeinderäthe und Amtsgerichte bis an das Oberlandesgericht bezw. das
Justizministerium (V. U. § 36) verfolgt werden. Nur in Unterpfandssachen findet, wenn die an-
gefochtene Entscheidung in der Beschwerdeinstanz bestätigt worden, eine weitere Beschwerde nicht
statt:), auch geht die Beschwerde gegen Erkenntnisse der Amtsgerichte in handelsgerichtlichen
Straffällen (7.), sowie gegen Entscheidungen derselben über den Ansatz der Erbschafts= und
Schenkungssteuer unmittelbar an das Oberlandesgericht#).
Die Funktionen der freiwilligen Gerichtsbarkeit werden ausgeübt:
A. in der untersten Instanz, soweit nicht auf diesem Gebiete noch ein sog. befreiter
Gerichtsstand (s. C. u. D.) besteht, durch die Gemeinden als Organe der Selbstverwal-
tung, wenn auch unter unmittelbarer Leitung und Aufsicht des vorgesetzten Amtsgerichts;
nur einzelne bestimmte Geschäfte (s. u. B.) sind den Amtsgerichten ausschließlich über-
wiesen, während bei andern Geschäften (z. B. Intercessionen, Insinuation von Schenk-
ungen, Errichtung letztwilliger Verfügungen) die Mitwirkung des Amtsgerichts oder der
Gemeindebehörde zur Wahl der Parteien gestellt ist. Da jedoch dem größten Theile der
Gemeinderäthe die technische Befähigung zur Ausübung dieser Funktionen fehlt, so werden
die Gemeinden durch das Gesetz genöthigt, sich bei einzelnen derselben durch hierzu be-
fähigte Hilfsbeamte unterstützen zu lassen 0.
Die regelmäßige unterste Behörde bildet hiernach der Gemeinderath für alle in der
Gemeinde wohnenden Personen), sowie für die zum Gemeindeverbande gehörigen Liegenschaften
(Not.G. v. 1843, Art. 1).
a) Der Gemeinderath ist insbesondere Unterpfandsbehörde für alle nicht exemten Güter ).
Durch einstimmigen Beschluß sämmtlicher Mitglieder kann jedoch der Gemeinderath die Unter-
pfandsgeschäfte einer Abtheilung übertragen, für welche aber die übrigen Gemeinderathsmit-
glieder durchaus verantwortlich bleiben?). Aktuar der Unterpfandsbehörde ist der Rathschreiber,
welcher in dieser Eigenschaft vollberechtigtes Mitglied der Pfandbehörde ist. Ist der Rath-
1) Der unteren Behörde steht ein solches gegen die Verfügung der vorgesetzten regelmäßig
nicht zu.
2) Pfandges. v. 1825 Art. 239, 240. Dagegen besteht gegenüber den Verfügungen der
Standesbeamten das unbeschränkte Beschwerderecht; s. auch Boscher's Z. XXXI S. 216.
3) Ausf.G. z. C.P.O. Art. 19; Ges. v. 24. März 1881 Art. 15 u. 23. "
4) Die Aufrechterhaltung dieser Einrichtung, bei welcher so wichtige Funktionen wie z. B.
das Hypothekenwesen von Behörden, welchen an sich die Befähigung zu dieser Funktion abgeht, auf
eigene Verantwortung — thatsächlich aber durch gesetzlich aufgenöthigte Hilfsbeamte — besorgt
werden, erklärt sich nicht allein durch das Festhalten an historischen Zuständen und durch das
Streben, den Hypothekarkredit durch die subsidiäre Haftbarkeit der Gemeinderäthe (eine rechtliche
Anomalie) zu heben, sondern vor Allem durch den Umstand, daß die erheblichen Gebühren für ein-
zelne Akte der freiwilligen Gerichtsbarkeit das Einkommen der Gemeinderathsmitglieder, welche sonst
ihre politische Funktion im Ehrendienste verrichten, bilden müssen s. auch oben S. 238 f.
5) Für die standesamtlichen Geschäfte der Standesbeamte.
6) Vgl. Römer, württemb. Unterpf. Recht S. 92 N. 5 u. d. Ges. v. 23. Juli 1877.
7) Ges. v. 6. Juli 1849 Art. 18.