284 Achter Abschnitt: Die Landesverwaltung. II. Die Verwaltg. d. inneren Angelegenheiten. § 86.
Die Vermiether von Wohnungen oder Schlafstellen sind verpflichtet,
ihre Miether innerhalb acht Tagen nach dem Einzug der Ortspolizeibehörde an-
zuzeigen!).
J. Die Aufenthaltsbeschränkungen. Diese sind als Beschränkungen des
Rechts der Freizügigkeit oben S. 32 f. dargestellt.
II. Die Verwaltung in Bezug auf das physische Leben.
§ 86. 1. Das Armenwesen2). A. Das Armenrecht. Bis zum 1. Jan. 1873
beruhte in Württemberg die Pflicht zur Armenunterhaltung auf dem sog. Heimathrecht,
indem auf jeder Gemeinde subsidiär die Verbindlichkeit ruhte, ihre ortsangehörigen
Armen und nur diese zu unterstützen ).. Seit dem 1. Jan. 1873 bildet dagegen das
Reichsgesetz über den Unterstützungswohnsitz vom 6. Juni 1870 und die Novelle zu diesem
Reichsgesetz vom 12. März 1894 nebst dem württ. Ausführungsgesetz vom 17. April
18734) und der Novelle hierzu vom 2. Juli 1889 5) die Grundlage des geltenden Armen-
rechts. Hier sind daher nur die ergänzenden Normen des Landesrechts vorzutragen.
1. Umfang der öffentlichen Unterstützung. Dem unterstützungsbedürftigen
Deutschen ist, wenn er keine Hülfe durch die freiwillige Armenpflege erhält und keine unter-
stützungspflichtigen 0) und unterstützungsfähigen Verwandten hat, von dem zu seinem Unter-
halt verpflichteten württ. Armenverband Obdach, der unentbehrliche Lebensunterhalt, die
erforderliche Pflege in Krankheitsfällen und im Falle seines Ablebens ein angemessenes
Begräbniß zu gewähren?!). Im Falle der Verweigerung dieser Unterstützung durch die
zuständige Armenbehörde steht übrigens dem Hilfsbedürftigen nicht der Rechtsweg, sondern
nur die Beschwerde und die einmalige weitere Beschwerde — also gegenüber der Orts-
armenbehörde bis an die Kreisregierung, gegenüber der Landarmenbehörde bis an das
Ministerium des Innern zus). Personen, welche ungeachtet des Besitzes genügender Mittel
Armenunterstützung auf Grund des Gesetzes erlangt haben, sind zum Ersatz des Em-
pfangenen verpflichtet. Ueberdies ist jede nach dem U.W. Ges. an eine Person über
18 Jahren für sich, ihre Ehefrau oder die Kinder in häuslicher Gemeinschaft aus einer
Armenkasse gewährte Unterstützung — mit Ausnahme des Aufwands für Schulunterricht
als ein Vorschuß zu betrachten, dessen Wiedererstattung die Armenbehörde verlangen kann,
sobald der Unterstützte in eine Lage gekommen, welche ihm die Ersatzleistung unbeschadet
der Sicherheit seines und der Seinigen Lebensunterhaltes ermöglicht?).
2. Die Armenverbände: Jede Gemeinde bildet in Württemberg für sich einen
1) S. d. angef. V.O. v. 1872 §§ 1, 3, 4 u. 7.
2) S. Münsterberg im Wörterb. d. d. V. R. I S. 65 ff., 83 ff. u. die S. 82 f., 88 ebend.
angef. Litt. Bätzner, Handb. d. neuen Ges. über öffentl. Armenpfl., Stuttg. 1873; Scharpf,
die Armenpfl. 1894.
3) S. Mohl, II S. 354 ff., 365.
4) Vgl. auch die Instruktion z. letzterem vom 30. Mai 1873 (R. Bl. 207).
5) Vgl. die Vollz. Verf. v. 15. Juli 1889 (R. Bl. 224) u. die Abänd. Verf. v. 27. April 1892.
A. Bl. 1892 S. 125f.
6) In Württemberg besteht eine solche Pflicht nur für Ehegatten u. Blutsverwandte auf-
steigender und absteigender Linie nach den näheren Bestimmungen des L.R. IV Tit. 12, 14, 18.
7) Ausf.G. v. 1873 Art. 1 u. 2, Instr. § 1—5; vgl. übrigens bezüglich der Ablieferung
von Leichen an die anatomische Anstalt unten S. 302.
8) A. a. O. Art. 7.
9) A. a. O. Art. 3. Ueber den Ersatzanspruch entscheiden die Verwaltungsgerichte und zwar
in I. Instanz die Regierung desjenigen Kreises, in welchem die Armenunterstützung geleistet ist;
Ges. v. 16. Dez. 1876 Art. 10 Z. 3, Art. 25 Abs. 2. Ueber die Ersatzansprüche dritter Personen,
auch der Aerzte, Wundärzte, Apotheker für ihre ohne Verpflichtung geleistete Hülfe vgl. Art. 4—6
des angef. Ausf.G. v. 1873.