Object: Bernhard Fürst von Bülow - Denkwürdigkeiten. Zweiter Band. Von der Marokko-Krise bis zum Abschied. (2)

Nach An- 
nahme des 
Kompromisses 
Adickes 
492 POLEN-KOMPROMISS 
des Auslandes zu erbeben, ist nicht die Art großer Völker. Es ist unsere 
Pflicht, durch eine gerechte und ruhige Politik Vertrauen und Achtung 
zu erwerben und mitzuarbeiten an der großen, gemeinsamen Aufgabe 
der Zivilisation. Aber allen Haß und jeden Neid zu entwaflnen, das ist 
weder dem einzelnen möglich noch einem ganzen Volk. Wir müssen uns 
mehr ruhiges Nationalgefühl angewöhnen, mehr trotzigen Selbsterhaltungs- 
trieb.‘“ Schließlich gelang es mir, in beiden Häusern des Landtags den 
Kompromißantrag Adickes durchzubringen, durch den die Beschränkung 
der Enteignung auf neun Kreise von Posen und Westpreußen beseitigt 
und der Regierung das Recht eingeräumt wurde, in allen Teilen der ge- 
nannten Provinzen bis zu einer Gesamtfläche von siebzigtausend Hektar 
zu enteignen. Im Gegensatz zu manchen seiner konservativen und agra- 
rischen Freunde trat Herr von Oldenburg mit Schwung und Schneid für 
die Enteignungsvorlage ein. Er war mit seinem Humor, in seiner Originali- 
tät und Urwüchsigkeit ein Junker von der besten Sorte. Er sprach mir aus 
der Seele, als er seine Rede mit den Worten schloß: 
Der Adler Preußens wendet sich zum Lichte, 
Schwer ist sein Flug, er trägt die Weltgeschichte. 
Nach Durchbringung der Vorlage erhielt ich von dem Vorstand des Ost- 
markenvereins ein Dankschreiben, in dem die unter meiner „hingebungs- 
vollen und zielbewußten Führung‘ erkämpfte Annahme des Enteignungs- 
gesetzes als ein dem Deutschtum in den Ostmarken erwiesener Dienst von 
weltgeschichtlicher Tragweite bezeichnet wurde. Die überwältigende Mehr- 
heit der ostdeutschen Bevölkerung atme, von einem schweren Alpdruck 
befreit, freudig und hoffnungsvoll auf. Der ehrwürdige, mehr als achtzig- 
jährige General Graf Wartensleben, im siegreichen Kriege gegen Frankreich 
der ruhmvolle Oberquartiermeister der Ersten Armee, schrieb mir: „Euer 
Durchlaucht beglückwünsche ich von ganzem Herzen zu dem schweren, 
aber entscheidenden Siege in der Ostmarkensache. Ich hatte mich schon vor 
längerer Zeit für den 26. zum Wort gemeldet. Leider bin ich aber zum 
erstenmal mit meinen einundachtzig Jahren zur unrechten Zeit erkrankt 
und mußte auf entschiedenes Verbot des Arztes die Reise nach Berlin 
aufgeben. Ich trage schwer daran, daß ich dieses Mal meiner Pflicht nicht 
genügen konnte. Die Hauptsache aber ist das gestrige, anscheinend über 
Erwarten günstige Ergebnis. In altbekannter Verehrung Eurer Durch- 
laucht aufrichtig ergebenster Graf Wartensleben, General der Kavallerie.“ 
Mein Personalreferent Fürst Lichnowsky erzählte mir bald nach der An- 
nahme der Enteignungsvorlage vertraulich, daß seine an den Polen 
Lanskoronski verheiratete jüngste Schwester ihm geschrieben habe, sie 
höre von allen ihren galizischen Verwandten, Nachbarn und Freunden die
	        
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