Full text: Handbuch des Öffentlichen Rechts. Band III.1.2. Das Staatsrecht des Königreichs Württemberg. (2)

§ 109. Das Verhältniß des Staates zur evangelischen Kirche. 381 
Art. 17 u. 19 des staatlichen Gesetzes geregelte Wahlrecht in dem Gemeinderath für alle 
diejenigen ruhe, welche sich bei Eingehung einer Ehe der Pflicht kirchlicher Trauung ent- 
schlagen oder ihre Kinder der Taufe oder Konfirmation entzogen haben, in so lange 
bis das Versäumte nachgeholt worden 1). Von dieser Ermächtigung hat dann auch das 
kirchliche Gesetz über die Kirchengemeinden v. 29. Juli 1888 in Art. 5 Gebrauch gemacht. 
Der Kirchengemeinderath ist daher jetzt neben seiner Funktion als Korporation im Sinne 
des staatlichen Gesetzes auch ein kirchliches Kollegium geworden, welches den Beruf hat, 
in Unterstützung der pfarramtlichen Thätigkeit zum religiösen und sittlichen Aufbau der 
Gemeinde zu helfen, die christliche Gemeindethätigkeit zu fördern und die Kirche in ihren 
inneren Angelegenheiten zu vertreten. In seiner Eigenschaft als kirchliches Institut ist 
er nunmehr der Aufsicht und der Weisung der kirchlichen Behörde ausschließlich unter- 
stellt, soweit nicht durch das Staatsgesetz von 1887 die Mitwirkung der staatlichen 
Behörde vorgeschrieben ist. Die Funktion auf Grund des Staatsgesetzes und die Funktion 
auf dem innerkirchlichen Gebiet ist daher jetzt scharf zu trennen. 
Soweit die neue Kirchengemeindegesetzgebung zur Ausführung gelangt ist, sind 
von der vorgenannten Pfarrgemeinderathsordnung von 1851 nur noch diejenigen Be- 
stimmungen in Geltung geblieben, welche die jetzt durch das kirchliche Gesetz auf den 
Kirchengemeinderath übertragene Zuständigkeit der Pfarrgemeinderäthe regeln; denn nur 
bezüglich dieser Angelegenheiten ist der kirchlichen Gesetzgebung durch das staatliche Gesetz 
(Art. 50) freie Hand gelassen worden?). 
b. Der Diözesanverband. Zur kirchlichen Vertretung sämmtlicher in einer Diöcese ver- 
einigten Kirchengemeinden sind durch die Kgl. V.O. v. 18. Nov. 1854 3) für die evangelische 
Landeskirche Diöcesansynoden eingeführt worden, welche alljährlich auf Berufung des 
Dekans zusammentreten und durch sämmtliche ordentliche Geistliche und ebenso viele (jetzt aus 
der Mitte der jeweiligen oder früheren weltlichen Kirchengemeinderathsmitglieder erwählte) 
Abgeordnete jeder Kirchengemeinde gebildet werden. Der Wirkungskreis dieser Diöcesan= 
synode ist ein rein kirchlicher!) und daher hier nicht weiter zu erörtern. Das staatliche 
Gesetz über die Kirchengemeinden v. 14. Juni 1887 hat auf die Diöcesansynodalordnung 
nur insoweit eingewirkt, als in Folge der staatlichen Ermächtigung die innerkirchlichen 
Funktionen der Pfarrgemeinderäthe auf die neuen Kirchengemeinderäthe übergegangen sind 
(s. o.)5), die Wahl der weltlichen Abgeordneten der Diöcesansynode also jetzt nicht mehr 
durch den Pfarrgemeinderath sondern durch den Kirchengemeinderath vollzogen wird und 
jetzt andere Voraussetzungen für die Mitgliedschaft beim Kirchengemeinderath und für die Ent- 
lassung der Kirchengemeinderäthe gelten, als früher bezüglich der Pfarrgemeinderäthe. 
Auch ist jetzt, nach dem das staatliche Gesetz die Normirung des kirchlichen Auf- 
  
1) Korrekter wäre es gewesen, für jenen Fall die kirchliche Gesetzgebung zu einer solchen Be- 
stimmung nur zu legitimiren, da es sich hier nur um eine kirchliche Pflicht zur Trauung handeln 
kann; denn wenn die künftige kirchliche Gesetzgebung an die Nichterfüllung der kirchlichen Pflicht 
diese Folge nicht mehr knüpfen will, hat der Staat im Sinne des Reichsehegesetzes kein Recht, das 
Ruhen des Wahlrechtes von sich aus auszusprechen. 
2) Eine Erweiterung dieser Zuständigkeit würde nicht blos einen Akt der kirchlichen Gesetz- 
gebung, sondern auch eine Abänderung des Staatsgesetzes (Art. 50 Abs. 2) erfordern. Nach Art. 5 
Abs. 3 des angef. kirchl. Ges. sind daher nur noch die §§ 1, 2 3. 1, 2, 3 u. 5, §§ 3, 25—28, 
29 Abs. 1, 2 u. 4, §§ 31, 32 Abs. 1 u. § 33 der Pfarrgemeinderathsordnung aufrecht erhalten; 
wogegen diese noch in ihrem ganzen Umfang gilt, wo nach Art. 92 des staatl. Gesetzes die Aus- 
scheidung des Ortskirchenvermögens nicht stattgefunden hat, s. auch Art. 13 des angef. kirchl. Ges. 
3) Die sog. Diöcesanfynodalordnung. 
4) § 8 der Diöc. Syn.O. 
5) In den Gemeinden, in welchen Art. 92 des staatlichen u. Art. 13 des kirchlichen Kirchen- 
gem.G. Anwendung finden, werden nach wie vor die Abgeordneten zur Diöcesansynode vom Pfarr- 
gemeinderath entsendet.
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.