8 109. Das Verhältniß des Staates zur evangelischen Kirche. 383
Die Ehesachen gehören, seitdem durch die Einführung der obligatorischen Civilehe
(R.G. v. 6. Febr. 1875) das staatliche und kirchliche Gebiet geschieden worden ist, nicht mehr
zu den sog. gemischten Gegenständen. Für die evangelische Kirche ist jetzt der kirchliche
Trauungsakt einschließlich der Verkündung desselben durch ein mit der Landessynode ver-
abschiedetes Kirchengesetz v. 23. Nov. 18761) geregelt. Hiernach sind die Genossen der evang.
Landeskirche verpflichtet, sich kirchlich trauen zu lassen; an die Nichtbeachtung dieser Pflicht hat
jetzt die staatliche Gesetzgebung inkonsequenterweise die bereits oben S. 381 angeführte Folge
geknüpft. Die durch das R.G. bestimmten Hindernisse der bürgerlichen Ehe gelten auch für die
kirchliche Trauung. Außerdem sind von letzterer ausgeschlossen: 1. die Ehen mit Nichtchristen,
und zwar ohne Zulassung einer Dispensation; 2. die Ehe eines evangelischen Mannes mit
einer Angehörigen der katholischen Konfession, wenn die Erziehung sämmtlicher zu erwartenden
Kinder in der Konfession der Mutter im Voraus zugesagt ist; 3. vor Ablauf von 12 Wochen
nach dem Tode eines Ehegatten eine vom anderen Theil geschlossene Ehe?2); 4. die Ehe mit dem
Bruder oder der Schwester des geschiedenen, noch am Leben befindlichen Ehegatten; 5. die Ehe
zwischen einem wegen Ehebruchs Geschiedenen und seinem Mitschuldigen. Jedoch findet in den
Fällen 2—5 Dispensation statt — bei 2 und 3 durch die Oberkirchenbehörde, bei 4 und 5 durch
den evang. Landesherrn.
In dem kirchengesetzlich festgestellten Trauformular (a. a. O. Art. 13) werden die
zu Trauenden in Anerkennung des vorangegangenen rechtsgiltigen Civilaktes als „neue Ehe-
leute“ angeredet, ihr „Ehebund“ wird als „gesetzlicher Ordnung gemäß von ihnen geschlossen"
betont; für den kirchlichen Trauungsakt selbst aber wird an dem Ausdrucke „bestätigen“ fest-
gehalten, angeblich, weil diese Formel schon aus einer Zeit herrühre, wo die kirchliche Trauung,
wie jetzt, die Rechtsgiltigkeit der Ehe nicht bedingte 5).
Soweit die staatlichen Gerichte in Ehesachen zu entscheiden haben (C. Pr. O. B. VI, Ab-
schnitt 1), sollen dieselben als materielle Rechtsnormen bei Ehen der Protestanten
und bei gemischten Ehen die Grundsätze des evangelisch-kirchlichen, bei Ehen von Katholiken die
Grundsätze des katholisch-kirchlichen Eherechts, wie solche bisher bei kirchlich getrauten Ehen
maßgebend waren, zur Anwendung bringen“).
Bezüglich der Bestimmung der Religion der Kinder bei gemischten Ehen
besteht seit dem Religions Edikt vom 15. Okt. 1806 Nr. VI und der — gleichfalls mit Gesetzes-
kraft versehenen — Königl. V. O. vom 14. März 1817 (s. o. S. 8 N. 5, S. 34 N. 8) staat-
licherseits unbeschränkte Vertragsfreiheit der Ehegatten. Solche Verträge sind jedoch nur
giltig, wenn sie vor der Obrigkeit des Ehemanns bezw. Bräutigams abgeschlossen werden?).
Liegt ein giltiger Vertrag nicht vor, so hat der Vater die Erziehungsreligion der Kinder zu
bestimmen, kann dieselben also auch in einer anderen, als seiner eigenen Konfession erziehen
lassen. Im einen wie im anderen Falle können aber die Kinder, wenn sie die sog. Unter-
tung bezüglichen staatlichen Normen der Disziplinargewalt der Staatsaufsichtsbehörden (Oberämter u.
Kreisregierungen), Art. 86 u. 87 des staatl. Ges. v. 14. Juni 1887 (Art. 63 des kath. Pf. Gem.G.)
Gegen solche Disziplinarstraferkenntnisse findet (wie oben) der Rekurs nach dem Rekursges. v. 26. Juni
1821 statt. — Die Entlassung der gewählten Mitglieder des Kirchengemeinderaths erfolgt in den
Fällen des Art. 83 des staatl. Kirchengemeindegesetzes auf Antrag oder nach vorgängiger Ver-
nehmung des Kirchengemeinderaths durch das Konsistorium, gegen dessen Beschluß das Recht der
Beschwerde an das Kultministerium zusteht, welches endgiltig entscheidet. Dem Konsistorium steht
auch die Entlassung der Kirchenpfleger und anderer Rechner im Disziplinarweg zu, vorbehaltlich der
Beschwerde an das ebengenannte Ministerium, Art. 28 des staatl. Ges. vgl. mit Art. 83 a. E. u. 86.
Die Entlassung der Organisten, Kantoren und niederen Kirchendiener kann, sofern deren Anstellung
dem Kirchengemeinderath zukommt, von demselben im Disziplinarwege wegen Dienstunfähigkeit, Ver-
säumung der Dienstpflichten, schlechten Lebenswandels oder strafbarer Handlungen vorbehaltlich der
Beschwerde an das Konsistorium verfügt werden. Art. 52 a. a. O.
1) Vgl. Hauber, württemberg. Eherecht der Evangelischen. 2. Aufl. Ulm 1876, S. 63 ff., 95 ff.
2) Dieses Hinderniß ist hiernach ein blos aufschiebendes.
3) S. Hauber a. a. O.
4) Ausf.G. v. 8. Aug. 1875 Art. 5; vgl. auch Gaupp, Anh. zum Komm. z. C. Pr. O.
S. 37. Daflir, daß die Gerichte von den anzuwendenden neuen Dekreten der Kurie in Ehesachen
zuverlässige Kenntniß erlangen, ist übrigens von Staatswegen nicht gesorgt.
5) Einer „Bestätigung“ durch das „Bezirksgericht“ bedarf es hiernach nicht. Der Vertrag
kann giltig auch vor dem Schultheißenamt (Ortsvorsteher) abgeschlossen werden. Die im I. Ergänz.-
Band z. Reg. Bl. S. 33 abgedruckten Ministerial= und Konsistorial Erlasse haben hieran nichts
geändert; Entsch, d. O. L. G. Stuttg. v. 25. Okt. 1883; unrichtig Lang, Pers. R. 8 78 I.