384 Achter Abschnitt: Die Landesverwaltg. III. Die Verwaltg. d. Kirchen= u. Schulwesens. § 110.
scheidungsjahre !) erreicht haben, also Knaben mit vollendetem 16., Mädchen mit vollendetem
14. Lebensjahre die Konfession, zu welcher sie sich bekennen wollen, unbeschränkt selbst wählen ?.
III. Das Verhältniß des Staates zur katholischen Kirche.
§ 110. I. Das Bisthum Nottenburg. Die oberrheinische Kirchenprovinz, welche
durch die Cirkumseriptionsbulle Provida solersque vom 16. Aug. 1821 errichtet worden,
umfaßt neben der Dibzese des die bischöflichen Rechte in Baden und in den Hohenzollern-
schen Fürstenthümern ausüben den Erzbischofs von Freiburg — das Bisthum Rottenburg
sowie die Bisthümer Fulda (für Kurhessen und Weimar), Limburg (für Nassau und Frank-
furt), Mainz (für das Großherzogthum Hessen und Hessen-Homburg). Wie diese Bisthümer
räumlich mit den Grenzen der bezeichneten Staaten bezw. Provinzen zusammenfallen, so
erstreckt sich auch das Bisthum Rottenburg auf den ganzen Staat Württemberg und auf
sämmtliche württemb. Katholiken ohne Exemtionen. Der Landesbischof hat seinen Sitz in
Nottenburg; sein Gehalt sowie die übrigen Geldbedürfnisse des Bisthums als solchen sind
auf die Einkünfte des Kameralamts Rottenburg, nöthigenfalls auch Horb radicirt. Das
Domkapitel, welches aus einem Dekane und sechs Kapitularen besteht :), bildet unter dem
Bischof die oberste Verwaltungsbehörde der Diözese und sorgt für die Diözesanverwaltung,
wenn der Bischofssitz gehindert oder erledigt ist. Den Vorsitz führt der Dekan. Das
Kapitel wählt aus dem Dibzesanklerus den Bischof, welcher nach der in dieser Beziehung
durch Art. 4 des Kirchenges. von 1862 aufrecht erhaltenen Vorschrift des Fundations-
instruments (s. S. 373) Z. 2, ein Deutscher von Geburt und württemb. Staatsbürger
sein muß und entweder die Seelsorge oder ein akademisches Lehramt oder sonst eine öffent-
liche Stelle mit Verdienst und Auszeichnung verwaltet haben, auch der inländischen Staats-
und Kirchengesetze und Einrichtungen kundig sein soll.
Was den Wahlakt selbst betrifft, so hat nach der Bulle Ad dominici gregis custo-
diam vom 11. April 1827 das Domkapitel innerhalb eines Monats vom Tage der Er-
1) Ges. v. 15. Aug. 1817 §. 17.
2) Gegen diese schon in der 1. Aufl. im Anschluß an die bisherigen Darstellungen des
württemberg. Privatrechts (v. Weishaar, Reyscher, C. G. v. Wächter und Lang) vor-
getragene Lehre wurde in Boscher's Z. B. XXVIII (1886) S. 176 geltend gemacht, daß nach einem
angeblichen Gewohnheitsrecht, welches an einen Erlaß des Kultministeriums vom 14. September
1826 anknüpfen soll, in Württemberg das Recht der freien Konfessionswahl ohne Unterscheidung
zwischen Knaben und Mädchen schon mit dem zurückgelegten 13. Lebensjahre eintrete. Ich habe
hierauf in der erwähnten Zeitschr. B. XXIX S. 16—27, 48—64, 121 f. unter Darlegung der Vor-
gänge seit dem westphälischen Frieden die historische Unrichtigkeit und juristische Unhaltbarkeit dieser
von dem evangelischen Konsistorium und dem Kultusministerium festgehaltenen Auffassung (s. auch
Steinheil, Kirchengemeinde 2c. S. 244) auseinandergesetzt und glaube, nachdem neuestens zwei
hervorragende Bearbeiter dieser Lehre von katholischer wie protestantischer Seite (Karl Schmidt,
die Konfession der Kinder, Freiburg, Herder, 1890, S. 383 ff., vgl. m. S. S88—90 und Arth. Schmidt, der
Austritt aus der Kirche, Leipzig 1893 S. 112ff.) meinen Ausführungen nach allen Theilen beigetreten
sind, auf diese Ausführungen verweisen zu dürfen, indem ich nur beifüge, daß nach einer authentischen
Mittheilung das württemberg. Oberlandesgericht in seinem von dem Kultusministerium veranlaßten,
bisher nicht veröffentlichten Gutachten „nicht“ — wie behauptet worden — „,„ein Gewohn-
heitsrecht des Inhalts, daß das Unterscheidungsjahrmit dem zurückgeleg-
tem 13. Jahr eintrete, angenommen, „sondern umgekehrt ausgeführt hat, daß und welche
Bedenken gegen die Annahme des vom Kultusministerium unterstellten Gewohnheitsrechts zu erheben
seien“. — Hieraus, wie aus der von K. Schmidt a. a. O. veröffentlichten Entscheidung eines
württemberg. Landgerichts vom Jahre 1885 ergibt sich zugleich, daß auch die Praxis der württem-
berg. Gerichte der Auffassung des evangelischen Konfistoriums und des Kultministeriums niemals
beigetreten ist. Es handelt sich hier um eine Frage des interkonfessionellen Rechts (s. auch Sehling,
die relig. Erz. d. Kinder, 1891, S. 11 ff.) und um den Inhalt des elterlichen Erziehungsrechts, für
welche die Praxis des evangelischen Konsistoriums — und faktisch handelt es sich nur um diese —
nicht maßgebend sein kann.
3) Vgl. das Fundationsinstrument v. 14. Mai 1828 Z. 8 und die Königl. V.O. v. 30. Jan.
1830 § 21 u. O. Mejer, Gesch. der römisch-deutschen Frage, III B. 2 H. (1885).