392 Achter Abschnitt: Die Landesverwaltg. III. Die Verwaltg. d. Kirchen= u. Schulwesens. § 111.
Das Vorsteheramt der Kirchengemeinde besteht aus dem Rabbiner und seinem
Stellvertreter, dem Vorsänger und — nach der Zahl der Gemeindegenossen — aus drei
bis fünf Beisitzern, welche von den steuerzahlenden, im Genusse der staatsbürgerlichen
Rechte stehenden israelitischen Gemeindegenossen unter Leitung einer aus dem Ortsvorsteher
der bürgerlichen Gemeinde, dem Vorsänger und dem ältesten Beisitzer des Kirchenvorsteher-
amts zusammengesetzten Kommission auf sechs Jahre gewählt werden. Der Gewählte ist
verpflichtet, die Wahl anzunehmen, sofern er nicht aus erheblichen Gründen von dem
Bezirksamt oder in der höhern Instanz von der israelitischen Oberkirchenbehörde hiervon
entbunden wird. Nach Ablauf der sechs Jahre kann er eine weitere Wahl sechs Jahre
lang ablehnen 1). Die gewählten Beisitzer sind von dem Ortsvorsteher (s. o.) dem zu-
ständigen Bezirksamt anzuzeigen.
Den Wirkungskreis des Kirchenvorsteheramts bildet: die Sorge für den öffentlichen
Gottesdienst; Kirchenzucht; Berathung armer Kirchengenossen; die Besorgung der ökonomischen
Angelegenheiten der Kirchengemeinde. Zum Behuf der Kirchenzucht kann das Vorsteheramt
Verweise und Geldstrafen bis zu 6 Mark, welche in die Kasse der Kirchengemeinde fließen, er-
kennen.
Den Bezirksämtern bezw. den Kreisregierungen steht als Aufsichtsbehörden dieselbe Kom-
petenz zu, wie gegenüber den bisherigen Stiftungsräthen. In nicht ökonomischen Angelegenheiten
stehen die Vorsteherämter unmittelbar unter der Oberkirchenbehörde.
Die Rabbinen werden auf Vorschlag der israelitischen Oberkirchenbehörde von der
Staatsregierung ernannt ?) und können von derselben „aus hinlänglichen Gründen“ ent-
lassen werden; ihr Gehalt wird aus der israelitischen Centralkirchenkasse (s. u.) bezahlt.
2. Die Aufsicht und Leitung des gesammten israelitischen Kirchenwesens ist der
von der Regierung bestellten Oberkirchenbehörde übertragen, welche aus einem Regierungs-
bevollmächtigten, einem israelitischen Theologen und wenigstens drei weiteren israelitischen
Beisitzern besteht. Für wichtigere Angelegenheiten können einzelne der im Lande ange-
stellten Rabbinen als außerordentliche Beisitzer einberufen werden. Die Behörde steht
unmittelbar unter dem Ministerium des Kirchen= und Schulwesens und hat die Rechte
einer Mittelstelle. Ihr Geschäftskreis umfaßt theils die oberste Verwaltung des israe-
litischen Kirchenwesens, insbesondere auch der verschiedenen kirchlichen Fonds, theils Reli-
gions= und Kultusfragen?).
3. Zur Deckung des kirchlichen Aufwandes dienen:
a) in jeder Gemeinde die örtlichen Fonds für Schul= und Kirchenzwecke, bestehend
theils aus Stiftungen, theils aus regelmäßigen Beiträgen der Kirchengenossen;
b) der israelitische Zentralkirchenfond, aus welchem namentlich die Gehalte der
Rabbinen, Unterstützungen an arme Rabbinats= und Schulamtszöglinge 2c. gezahlt werden.
Soweit die vorhandenen Einkünfte dieses Fonds 4) für die ihm obliegenden Leistungen
nicht zureichen, wird der weitere Bedarf von der Oberkirchenbehörde auf sämmtliche
israelitische Kirchengemeinden umgelegt.
Demgemäß wurde unter dem 18. Febr. 1876 von der Oberkirchenbehörde in allen israel.
Kirchengemeinden die Vermögensaufnahme zum Zwecke der Landesumlage verfügt. Die frühere
Personalsteuer von jährlich sechs Gulden (Art. 59 des Israel. Ges. v. 25. April 1828) ist
durch das Ges. v. 23. Dez. 1873 aufgehoben worden.
II. Ueber die Organisation der anderen Kirchen- und Religionsgenossenschaften ins-
besondere auch der griechisch-katholischen und anglikanischen Kirche und über ihr Verhältniß
1) S. die Königl. V O. v. 23. März 1851 §§8 1—5.
2) Ueber die Dienstprüfungen der Rabbinen vgl. die M.V. v. 31. Jan. 1834.
3) Vgl. das Ges. v. 1828 Art. 57, die Instr. v. 27. Okt. 1831 8§ 16—28.
4) Vgl. hierüber Riecke, Verf. 2c. S. 242 und das Ges. v. 24. März 1881 Art. 13. Der
I#hrliche Staatsbeitrag zu der israel. Centralkirchenkasse beträgt dermalen (nach dem Etat v. 1893/95)